Es hätte für Grit K. an diesem tropisch-heißen Sommerabend eine gewohnt-gemütliche Fahrt mit dem Fahrrad von Konstanz nach Allensbach werden sollen. Stattdessen erlebt die 52-Jährige seit Samstag, dem 2. Juli 2022, den Albtraum ihres Lebens.

Auf dem Bodensee-Radweg hinter dem Konstanzer Finanzamt nahe des Bahnhofs Wollmatingen sind an diesem Abend gegen 18.30 Uhr, wie Grit K. erzählt, zahlreiche Radfahrer unterwegs gewesen. Ein US-Amerikaner habe mit seiner neben ihm radelnden Freundin eine Familie in Fahrtrichtung Konstanz überholt. Dabei soll er nicht nach vorne geschaut oder auf den Gegenverkehr geachtet haben und stieß mit der entgegenkommenden Grit K. zusammen. „Er hat nicht gehört, nicht reagiert“, erzählt die Allensbacherin.

Am Weiterfahren gehindert

Während der US-Amerikaner den Zusammenprall heil überstand, stürzte die 52-Jährige und brach sich dabei den Oberschenkelhals. „Was ich erlebt habe, als ich auf dem Radweg lag, wünsche ich niemanden. Ich wurde von vorbeifahrenden Radfahrern aufgefordert, ich solle doch Platz machen, und hatte Höllenschmerzen“, erinnert sich Grit K. Vorbeikommende Radfahrer seien erst von ihrem Drahtesel abgestiegen, als später die Polizei eintraf und sie aufforderte, ihre Fahrräder zu schieben.

Am Bodensee-Radweg nahe des Bahnhofs Konstanz-Wollmatingen ereignete sich der schwere Radunfall. (Symbolbild)
Am Bodensee-Radweg nahe des Bahnhofs Konstanz-Wollmatingen ereignete sich der schwere Radunfall. (Symbolbild) | Bild: Jörg-Peter Rau

Der US-Amerikaner als mutmaßlicher Verursacher des Unfalls habe sich nicht um die am Boden liegende Frau gekümmert, sondern lediglich überprüft, ob sein Fahrrad unbeschädigt blieb. „Er wollte einem kleinen Kind aus der Familie, die er überholt hatte, die Schuld geben“, erinnert sich Grit K. Als er einfach habe weiterfahren wollen, soll ein zufällig vorbeigekommener Rot-Kreuz-Mitarbeiter und Passanten den Mann festgehalten haben. „Du wartest, bis die Polizei kommt“, sollen sie ihm unmissverständlich auf Englisch gesagt haben.

Schrauben und Nägel im Körper

Grit K. musste notfallversorgt und ins Krankenhaus transportiert werden. Gleich am nächsten Morgen wurde sie notoperiert. Mit Nägeln und Schrauben, die nach einem Jahr wieder entfernt werden müssen, fixierten die Ärzte den Oberschenkelhalsbruch, der für ältere Betroffene auch lebensgefährlich sein kann und ein statistisch erhöhtes Sterberisiko mit sich bringt. „Für jemanden, der sich gerne bewegt, ist es die Hölle. Ich jogge und wandere gern, das kann ich mir jetzt schenken“, sagt Grit K. sichtlich betrübt. Sie fuhr bis dahin alle Strecken mit dem Rad.

Links im Bild die Füße von Grit K. beim Wandern vor ihrem schweren Radunfall, rechts danach.
Links im Bild die Füße von Grit K. beim Wandern vor ihrem schweren Radunfall, rechts danach. | Bild: privat

Die den Fall aufnehmende Polizistin sei sehr nett gewesen. Doch als sie in den Urlaub ging, soll der Fall laut dem Unfallopfer erst einmal sechs Wochen liegen geblieben sein. Kein anderer könne den Fall bearbeiten, habe es auf dem Revier geheißen. „Mir ist bewusst, dass die Polizei einen Knochenjob macht, gerade im Sommer bei Dorffesten und Veranstaltungen. Aber aus Sicht einer Geschädigten ist es eine Katastrophe, wenn es siebeneinhalb Wochen dauert, bis eine Strafakte dem eigenen Anwalt übertragen wird“, so die 52-Jährige.

Polizei: Fall nicht wegen Urlaubs liegen geblieben

Eine Sprecherin des Konstanzer Polizeipräsidiums will sich zunächst dazu und zum allgemeinen Vorgehen der Polizei bei Radunfällen nur äußerst spärlich äußern. Auf Nachfrage bei ihrem Vorgesetzten heißt es später, dass es nicht zutreffe, dass die Sachbearbeiterin, also die aufnehmende Polizistin, sechs Wochen im Urlaub und die Akte deswegen so lange liegen geblieben sei. „Auch Unfallakten unterliegen gewissen Formen und Fristen, die eingehalten werden müssen. Die Bearbeitung braucht deswegen eben auch Zeit“, so der Polizeisprecher.

Das Polizeipräsidium in Konstanz.
Das Polizeipräsidium in Konstanz. | Bild: Oliver Hanser

Grundsätzlich bleibe die Unfallbearbeitung aus sachlichen Gründen „in einer Hand“. Die Tatsache, dass ein Unfallbeteiligter Ausländer ist, beschleunige das Verfahren hingegen nicht. „Sofern es sich aber um einen durchreisenden Ausländer handelt, wird in der Regel eine Zustellungsvollmacht verlangt (das bedeutet, dass eine dritte Person stellvertretend für den Empfänger an diesen adressierte Dokumente entgegennehmen kann, Anmerkung der Redaktion), um Ansprüche zu sichern“, teilt der Sprecher der Konstanzer Polizei mit. In Einzelfällen könne vor Ort auch eine Sicherheitsleitung in Form von Bargeld oder Wertgegenständen verlangt werden, worüber jedoch die Justiz entscheiden müsse, was im vorliegenden Fall nicht geschah.

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Besonders ärgert Grit K., dass der mutmaßliche Unfallverursacher seinen Urlaub am Bodensee ungehindert fortsetzen konnte, sie sich aber mit Schmerzmitteln vollpumpen musste und alle Alltäglichkeiten – bis hin zum Toilettengang – zur Herausforderung wurden. „Es ist ihm und wohl niemanden bewusst, dem sowas nicht passiert ist, was das heißt. Er weiß gar nicht, was er mir angetan hat“, sagt die 52-Jährige.

Grit K. aus Allensbach war vor ihrem schweren Radunfall eine sportbegeisterte Frau.
Grit K. aus Allensbach war vor ihrem schweren Radunfall eine sportbegeisterte Frau. | Bild: privat

Zehn Wochen ist der Vorfall nun her und sie leide nach wie vor täglich an den Schmerzen. „Ich kann noch immer nicht richtig laufen und brauche eine Gehhilfe zum Treppensteigen. Es wird nie wieder so werden, wie es war – ich muss mich umgewöhnen“, so die Allensbacherin.

Staatsanwalt ermittelt wegen fahrlässiger Körperverletzung

Kontakt zu ihr habe der Mann, der inzwischen in die USA zurückgekehrt sein soll, bisher nicht gesucht. Er soll sich sich bei den Helfern an der Unfallstelle entschuldigt haben, nicht aber beim Opfer. Auch der SÜDKURIER, dem der volle Name des Mannes vorliegt, konnte keine Kontaktmöglichkeit ausfindig machen. Die Hoffnung auf ein Schmerzensgeld hat die 52-Jährige nie. „Ich werde auf meinen Kosten sitzen bleiben, zusätzlich zum Verdienstausfall“, ist sie überzeugt.

Das Röngtenbild zeigt den mit Schrauben und Nägel korrigierten Oberschenkel von Grit K.
Das Röngtenbild zeigt den mit Schrauben und Nägel korrigierten Oberschenkel von Grit K. | Bild: privat

Dass der US-Amerikaner sich wieder an seinen Wohnort begeben hat, ist für die Konstanzer Polizei auf Nachfrage „nichts Verwerfliches“. Auf dem internationalen Rechtsweg könnte vieles geregelt werden, dafür sei aber die Justiz zuständig. Die Staatsanwaltschaft Konstanz bestätigt auf Anfrage, dass seit einer Woche ein Ermittlungsverfahren in dem Fall wegen fahrlässiger Körperverletzung anhängig sei. Eine Entscheidung brauche jedoch noch Zeit.

Wunsch nach mehr Kontrollen und Regeln

Grit K. ist bewusst, dass sie die Zeit nicht zurückdrehen kann. „Aber ich bedauere und prangere an, welche Anarchie, verstärkt durch den Tourismus und E-Bikes, auf den Radwegen rund um den Bodensee herrscht.“

Allein im Juli, als sie so schwer stürzte, hat es zwei tödliche Radunfälle zwischen Konstanz und Allensbach gegeben. „Ich bin der Meinung, dass mehr kontrolliert werden müsste. Und es braucht offenbar mehr Reglementierungen für Radfahrer, wenn wir dem Anspruch einer modernen Fahrradstadt gerecht werden wollen.“

In der langen Zeit, in der Grit K. auf Hilfe angewiesen war, konnte die Alleinlebende zumindest auf die große Unterstützung von Freunden und Bekannten zählen. „Ohne sie hätte ich das nicht geschafft“, sagt sie und kündigt an, sich bei allen Freunden mit einem Festessen bedanken zu wollen.