Liebevoll halten sich Maja Rackuff und Pascal Schlegel an den Händen. Bei schönsten Sonnenschein sitzen die beiden auf Klein Venedig im Gras, unterhalten sich, genießen die Zweisamkeit. Es klingt nach einem perfekten Nachmittag im Frühling – wäre da nicht der Zaun, der sich entlang der deutsch-schweizerischen Grenze hinzieht und neben Maja Rackuff und Pascal Schlegel auch andere Paare derzeit stark einschränkt.

Aufgestellt im Zuge der Corona-Krise, trennt der Zaun seit Mitte März Konstanz und Kreuzlingen voneinander. Zuvor war die grüne Grenze für Fußgänger und Radfahrer offen. Dass die Grenzen zur Schweiz geschlossen wurden, erfuhr Maja Rackuff über die Medien. „Die Entwicklungen habe ich die ganze Zeit mitverfolgt“, berichtet die junge Frau. Erst habe sie sogar überlegt, noch spontan in die Schweiz zu fahren, das sei aber auf die Schnelle nicht gegangen. Etwa drei Wochen habe sie ihren Freund seitdem nicht mehr gesehen, nur noch per Telefon oder Videotelefonie mit ihm Kontakt gehabt.

Erst jetzt treffen sie sich wieder, am Grenzzaun – denn Paaren ohne Trauschein ist es nicht möglich, sich im jeweils anderen Land aufzuhalten, mit Trauschein geht das auch nur unter bestimmten Bedingungen. Wer dennoch in die Schweiz reist, dem droht nach dem Bußgeldkatalog, den das Land Baden-Württemberg im März veröffentlicht hat, 250 bis 1000 Euro Strafe.

Die Zeit des Duldens ist vorbei

Durch den zweiten Zaun geht das jetzt nicht mehr: Maja Rackuff und Pascal Schlegel halten sich an den Händen.
Durch den zweiten Zaun geht das jetzt nicht mehr: Maja Rackuff und Pascal Schlegel halten sich an den Händen. | Bild: Marinovic, Laura

Die Bundespolizei führt derzeit Grenzkontrollen zur Schweiz durch, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Allerdings gilt die Corona-Rechtsverordnung laut Innenministerium streng genommen nur bis zur Grenze. Was jenseits des provisorischen Grenzzauns passiert, liege im Zuständigkeitsbereich der Schweiz. Die Kontaktaufnahme – in Form von innigen Umarmungen und zärtlichen Küssen – wäre also juristisch gar nicht so leicht zu beanstanden. Auch wenn damit sicherlich gegen den Sinn der Corona-Regeln verstoßen wird. „Das ist eben die Frage, ob man das duldet“, sagt Renato Gigliotti, Pressereferent beim Innenministerium, noch Mitte vergangener Woche. Seit Freitag ist klar: Die Zeit des Duldens ist vorbei. Parallel zum ersten Provisorium hat nun auch Kreuzlingen einen Grenzzaun errichtet. Dazwischen rund zwei Meter Abstand, die Berührungen unmöglich machen.

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Als Maja Rackuff und Pascal Schlegel sich am Grenzzaun verabreden, ahnen sie noch nichts davon. Zweieinhalb Stunden lang ist die Deutsche aus der Nähe von Pfullendorf hierher gefahren, ihr Schweizer Freund war von seinem Wohnort im Kanton Aargau aus zwei Stunden lang unterwegs. Lange Fahrten seien sie gewohnt, erklärt das Paar. „Aber es war nie so schlimm wie jetzt.“ Und auch, wenn sie sich jetzt sehen können: „Es ist etwas ganz anderes“, sagt Pascal Schlegel. Kein gewöhnliches Treffen zu zweit.

Stattdessen stehen am vergangenen Donnerstag neben den beiden noch mehr Menschen am Grenzzaun, weitere Paare, aber auch Familien und Freunde. Ein paar Meter entfernt lehnen Virginia Grolimund und Vincent Pöhl an der Absperrung. Auch sie halten sich an den Händen. Vor zweieinhalb Jahren hat das Paar sich im Urlaub kennengelernt, bisher sei es nie ein Problem gewesen, in unterschiedlichen Ländern zu leben. Er wohnt in Konstanz, sie in Zürich, mit dem Zug oder dem Auto konnten sie sich besuchen.

Auch Virginia Grolimund und Vincent Pöhl freuen sich, sich endlich wieder sehen zu können.
Auch Virginia Grolimund und Vincent Pöhl freuen sich, sich endlich wieder sehen zu können. | Bild: Marinovic, Laura

Jetzt ist das anders. Auch Virginia Grolimund und Vincent Pöhl treffen sich erst Wochen nach der Grenzschließung wieder, davor musste eine virtuelle Verabredung reichen: „Wir telefonieren eigentlich jeden Tag“, erklärt Virginia Grolimund. Aber als Paar wolle man schließlich oft Kontakt zueinander haben. „Und wir können das jetzt nicht.“ Aber es sei schön, sich überhaupt sehen zu können. Dennoch: So ärgerlich die Situation ist, das junge Paar versteht sie durchaus. Natürlich müssen Maßnahmen getroffen werden, um das Coronavirus zu bekämpfen. „Es ist, wie es ist“, fasst es Vincent Pöhl zusammen.

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„Wir werden degradiert“

Etwas weniger Verständnis für den eingeschränkten Kontakt hat Kati Sallai-Balog. Sie kennt ihren Freund Adrian Lottenbach bereits seit vier Jahren, normalerweise sehen sich die beiden etwa dreimal die Woche. Dass er in Rorschacherberg lebt und sie in Litzelstetten, ist nicht weiter schlimm.

Kati Sallai-Balog aus Litzelstetten und ihr Freund Adrian Lottenbach aus Rorschacherberg.
Kati Sallai-Balog aus Litzelstetten und ihr Freund Adrian Lottenbach aus Rorschacherberg. | Bild: Schuler, Andreas

Im Gegenteil sogar: deutsch-schweizerische Beziehungen seien überhaupt kein Problem. Viele Deutsche hätten leider Vorurteile, aber die bestätigen sich in den meisten Fällen überhaupt nicht. Zwar hatte sie mit dem Schweizerdeutsch zu Beginn Schwierigkeiten: „Ich habe die Hälfte nicht verstanden“, gibt sie lachend zu und erklärt, sie habe sich sogar ein Wörterbuch besorgt. Aber daran gewöhne man sich bald.

Trotzdem – die unterschiedliche Herkunft wird jetzt zum Verhängnis. „Wir sind etwas entnervt“, sagt die 47-Jährige in Bezug auf den eingeschränkten Kontakt. Die Umstände seien ärgerlich, zumal mit Trauschein zumindest die Möglichkeit bestehe, in die Schweiz einzureisen. „Wir werden irgendwie degradiert“, beschwert sich Kati Sallai-Balog. Sich nur am Zaun zu treffen, wirke „wie ein Gefängnisbesuch“. Außerdem ginge das auch nicht immer, schließlich müsse das Wetter mitspielen.

Sie fordert daher den Passierschein, auch ohne mit ihrem Partner verheiratet zu sein. Auch Maja Rackuff, Pascal Schlegel, Virginia Grolimund und Vincent Pöhl sind sich einig: Sie hoffen, sich möglichst bald auch abseits des Grenzzauns sehen zu können. Dass sich schnell etwas an der Lage ändert, glauben Virginia Grolimund und Vincent Pöhl allerdings nicht. Und nicht zu wissen, wann es soweit sein wird, sei das Schlimmste. Das sieht auch Maja Rackuff so: „Es ist das Schlimmste, dass man nicht weiß, wie lange das dauert.“

Einen Tag darauf kommt es dann erstmal noch schlimmer. Denn aus dem Zaun wird ein Doppelzaun. Zärtlichkeiten sind erst einmal also nicht mehr möglich. Eine zusätzliche Belastung für die Paare.