Umweltverbände und Politiker reagieren mit Besorgnis und Kritik auf den Vorfall im Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt (KKL), der am Mittwoch öffentlich bekannt wurde. Ein Mitarbeiter des Kernkraftwerks, das am Hochrhein gegenüber von Waldshut liegt, hatte innerhalb von zwei Jahren wiederholt Prüfprotokolle von Strahlenmessgeräten gefälscht. Inzwischen wurde der Mitarbeiter von seiner Tätigkeit freigestellt, wie das KKL mitteilte. Eine Gefährdung von Mensch und Umwelt habe trotz des Fehlverhaltens zu keiner Zeit bestanden, betonen die Verantwortlichen des Atomkraftwerks.
Da es sich bei dem Vorkommnis um einen schweren Fall von menschlichem Fehlverhalten handele, verlangt das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi eine tiefgreifende Überprüfung der Sicherheitskultur im KKL. „Eine solche Fälschung ist absolut inakzeptabel“, sagt der stellvertretende Ensi-Direktor Georg Schwarz. Er stellt dem Werk ein schlechtes Zeugnis aus: "Leider gab es in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Vorfällen aufgrund menschlichen Fehlverhaltens im KKL.“
"Der Bund für Umwelt und Naturschutz sieht mit zunehmenden Sorgen auf Pleiten, Pech und Pannen im AKW Leibstadt", sagt Axel Mayer, Geschäftsführer des Regionalverbands Südlicher Oberrhein beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aus Freiburg, auf Nachfrage. "Wenn selbst die mehr als atomfreundliche staatliche Kontrollorganisation Ensi die Sicherheitskultur im AKW Leibstadt kritisiert, dann ist das ein mehr als schlechtes Zeichen." Die bisher bekannten Vorfälle am Kernkraftwerk "betreffen ja nicht eine Zahnradfabrik, sondern ein Atomkraftwerk, in dem jährlich die kurz- und langlebige Radioaktivität von 1275 Hiroshima-Bomben erzeugt wird", gibt Mayer zu bedenken. "Ein schwerer Unfall hätte verheerende Folgen, nicht nur für die Hochrheinregion."
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter aus dem Wahlkreis Waldshut, verweist auf ein laufendes Projekt zur Verbesserung der Sicherheitskultur im KKL. "Offenbar reichte dies nicht aus", sagt die SPD-Politikerin auf Nachfrage und fordert vor dem Hintergrund des aktuellen Vorfalls "kurzfristig wirksame Maßnahmen".
Der Angestellte der Atomanlage hätte regelmäßig Funktionstests an Geräten vornehmen müssen, die die Strahlendosis von mit Brennstäben befüllten Containern messen – vor und nach dem Transport der Behälter ins etwa 15 Kilometer entfernte Zwischenlager in Würenlingen im Kanton Aargau. Statt die Messgeräte auf ihre Funktion zu prüfen, habe der Mitarbeiter die Werte der vorherigen Prüfung notiert. Aufgefallen war die Schummelei laut KKL, als sich die Messparameter änderten und der notierte Wert nicht mehr plausibel war. Als Sofortmaßnahme wurden die drei betroffenen Messgeräte an das Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Villigen (Schweiz) zur Eichung überstellt. Dort wurde festgestellt, dass die Geräte trotz fehlender Prüfung funktionstüchtig sind und korrekt messen. Der betroffene Mitarbeiter wurde freigestellt.
Ob er für sein Fehlverhalten strafrechtliche Konsequenzen erwarten muss, ist noch unklar. "Mehr können wir erst nach Abschluss der Untersuchungen sagen", teilt das KKL mit.
Löcher im Sicherheitsbehälter
Seit dem Jahr 1984 ist das Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) gegenüber Waldshut in Betrieb. Seit Jahrzehnten sind in der Anlage immer wieder Pannen und andere Unregelmäßigkeiten zu verzeichnen, hier einige Beispiele.
- Gefälschte Berichte: Das nun bekannt gewordene Vorkommnis um die Strahlenmessgeräte ist in Leibstadt nicht der erste Fall von manipulierten Protokollen. Während der Jahresrevision 2001 führten laut damaligem Bericht der Atomaufsichtsbehörde zwei Operateure „einen Auftrag bewusst nicht korrekt aus und fälschten Checklisten“.
- Bohrlöcher: Besonderes Aufsehen erregte eine Panne, die den Sicherheitsbehälter des Reaktors betraf. Im Juni 2014 wurde entdeckt, dass in die stählerne Wand bereits 2008 durch eine Fremdfirma irrtümlich Bohrlöcher gesetzt wurden, die zur Befestigung von Handfeuerlöschern dienten. Unter Aufsicht des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) wurden die Löcher, die laut Betreiber und Ensi keinen Einfluss auf die Stabilität des Sicherheitsbehälters hatten, ausgebessert.
- Oxidationen: Rostablagerungen an einem Teil der Brennelemente wurden bei der Jahresrevision 2016 festgestellt. Der Reaktor musste wegen der Ursachenforschung, die bislang nicht vollständig abgeschlossen ist, ein halbes Jahr abgeschaltet bleiben und darf bis heute nur mit leicht reduzierter Leistung gefahren werden.