Der Palmer schon wieder. Natürlich. Wieder einmal hat ein Facebook-Post des Tübinger Oberbürgermeisters massive Wellen geschlagen. Und es ist durchaus kalkuliert, wie Palmer einräumt. Vermeintliches Ziel des Angriffs diesmal: die Multi-Kulti-Gesellschaft.

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Der Stein des Anstoßes: die Homepage der Deutschen Bahn. Sie zeigt auf fünf kleinen Porträtbildern Menschen, die offensichtlich eine Bahnfahrt genießen. Palmer kritisiert nicht etwa, dass hier zufriedene Bahnkunden gezeigt werden, die in der Realität etwa so häufig vorkommen wie versöhnliche Bemerkungen von Boris Palmer.

Palmer sieht sich nicht repräsentiert

Ihn stört, dass fünf der gezeigten sechs Personen – die meisten in irgendeiner Form prominent – offensichtlich einen Migrationshintergrund haben. Der sechste, Ex-Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg, ist hellhäutig und blond, aber genau genommen auch ein halber Finne. Palmer stellt die Auswahl der gezeigten Personen samt der damit repräsentierten Gesellschaft in Frage. Er selbst, schreibt er später in einem anderen Post, finde sich darin jedenfalls nicht wieder. Der Beifall vom rechten Rand ist Palmer gewiss, ebenso wie der erbitterte Protest des anderen Lagers. „Zunehmend orientierungslos“ und „untragbar“ sei der Tübinger Oberbürgermeister, faucht etwa erwartungsgemäß der grüne Tübinger Landtagsabgeordnete Daniel Lede-Abal, Palmer müsse sich überlegen, ob er sein Amt noch wahrnehmen könne.

Account wird bis zur Wahl stillgelegt

Am Abend ruderte Palmer via Facebook zurück – bis zur Kommunalwahl werde er seinen Account stillegen, schreibt er. Die Grünen vor Ort hätte protestiert, sie sehen ihren Wahlkampf untergraben.

Keine Schlagzeile zu billig?

Typisch. Mal wieder bundesweite Aufmerksamkeit für den grünen Rambo, der für ein paar provokante Schlagzeilen ungeniert via Facebook den nationalen Stammtisch bedient? Der auf Spielplätzen Migranten unterweist, wie man in Deutschland Kinder erzieht; der integrationsunwillige Flüchtlinge auf der grünen Wiese kasernieren will; der einen dunkelhäutigen Fahrradfahrer, der sich nicht verkehrskonform verhält, im Internet bloßstellt? Der profilierungssüchtige Provinzrathauschef, dem keine Schlagzeile zu billig ist und der wütende Widerspruch seiner eigenen Partei gleichgültig ist?

Das stimmt alles. Und doch wird man Palmer damit nicht gerecht.

Ihm grundsätzlich Fremdenfeindlichkeit zu unterstellen, ist absurd. Ganz sicher ist der Tübinger Oberbürgermeister auch in der Lage, gesellschaftliche Realitäten wahrzunehmen – wie die bunte, multikulturelle Gesellschaft, die ihn in Deutschland und auch in Tübingen umgibt und dort zweimal in Folge zum Oberbürgermeister gewählt hat.

Im Kern ist fast jede von Palmers Provokationen eine ernsthafte Debatte wert.

So auch der Hintergrund der Kritik an den Bahn-Porträtbildern. Palmer nimmt sie zum Anlass, auf die wissenschaftliche Debatte zur politischen Identität zu verweisen – mit entsprechenden Vertiefungshinweisen. Die Debatte fragt, inwieweit Antidiskriminierungspolitik sich ins Gegenteil verkehren und zur Spaltung der Gesellschaft beitragen kann, wenn der Abbau von Benachteiligungen einer Gruppe mit dem Aufbau von Benachteiligung einer anderen Gruppe einhergeht. Das kann man durchaus debattieren.

Er stößt auf reflexhafte Ablehnung

Doch Palmers Vorstöße enden nie in sachlichen Debatten, sondern stets in Debatten über seine Person. Gepaart mit übergroßem Selbstbewusstsein und zunehmender Dünnhäutigkeit lösen Palmers Vorstöße in der eigenen Partei bestenfalls noch Kopfschütteln aus. Was ihn treibt, vermag niemand mehr zu sagen.

Das ist extrem bitter und schade um ein großes politisches Talent und einen klugen Kopf.

Denn dass Palmer eine erfolgreiche Kommunalpolitik in Tübingen verantwortet und die Universitätsstadt in vielfacher Hinsicht zukunftsfähig gemacht hat, ist unstrittig. So einen könnte man vielerorts dringend gebrauchen. Etwa auch in Stuttgart. Dort im Rathaus saß lange Jahre der in der Landeshauptstadt posthum noch immer hochverehrte Manfred Rommel. Eine von dessen vielen klugen Erkenntnissen war: "Es erhebt sich die grundsätzliche Frage: Wie soll man in der Politik mit der Wahrheit umgehen? Die Antwort muß lauten: vorsichtig." Aber gegen solche Art von Weisheit, das hat Palmer hinlänglich bewiesen, ist er leider immun.