Der Jurist Franz Bracht nahm es genau mit guten Sitten. „Frauen dürfen nur dann öffentlich baden, falls sie einen Badeanzug tragen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckt, unter den Armen fest anliegt sowie mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist.“ Auch eine allzu erregende Rückenansicht ließ der Politiker der Weimarer Republik ausschließen: „Der Rückenausschnitt des Badeanzuges darf nicht über das untere Ende der Schulterblätter hinausgehen.“
Der sogenannte Zwickelerlass von 1932 amüsiert heute als Beispiel preußischer Prüderie und Reglementierungs-Wut. 2016 sorgt der Burkini – ein langbeiniger und -ärmliger Zweiteiler für Muslimas – in Nizza für Empörung: Eine Frau, bekleidet mit einer Leggins, einem türkisfarbenen Oberteil und Kopftuch, ist am Strand umringt von Polizisten. Fotos zeigen, wie die Frau ihr Oberteil auszieht – angeblich um zu beweisen, dass sie darunter einen Badeanzug trägt. Seit kurzem ist es an einigen fränzösischen Stränden verboten, einen Burkini zu tragen. 15 Frauen haben deswegen schon einen Strafzettel kassiert.
Die Bilder gingen um die Welt und sorgten für mächtig Wirbel. Unklar ist allerdings, ob die Frau gezwungen wurde ihr Oberteil auszuziehen, ob sie es gemacht hat, um einem Strafzettel zu entgehen oder ob die Bilder überhaupt echt sind. Eines ist aber klar. Ob Burkini, Badeanzug oder Bikini: Am Strand gab es immer schon einige Streitpunkte.

Eine Werbeanzeige für Baumwoll-Bademode aus den 1940er-Jahren.
| Bild: Stefan Sauer (dpa-Zentralbild)Dabei ist der Zank um den Badestoff wirklich schon alt. 1907 sorgte die australische Schauspielerin und Wettkampfschwimmerin Annette Kellermann für einen Skandal. Sie wagte es in Boston am Strand in einem eng anliegenden Männer-Badeanzug schwimmen zu gehen. Prompt wurde sie deswegen verhaftet. „Ich will schwimmen, das kann ich nicht mit einer Wäscheleine voll Stoff an meinem Körper“, soll sie gesagt haben. Damals waren Badekleider noch aus Baumwolle.
Nur wenige Jahre später, 1910, sorgte die Engländerin Gladys Osborne für Unruhe. Die Wettkampfschwimmerin trat im seidenen Badeanzug an. Einmal nass, zeigte das gute Stück mehr, als einige Männer vertrugen. Zuschauen dürften Mann nur, wenn sie einen moralisch vertretbaren Sicherheitsabstand zum Schwimmbecken einhielten.

70 Jahre später sorgt nun wesentlich mehr Stoff für Zoff: der Burkini. Dabei sei die Standard-Badekleidung der Frauen im 19. Jahrhundert „gar nicht so anders“ als der heutige Burkini, behauptet Iris Hofmann-Kastner, die das Museum für Badekultur der Römerthermen Zülpich leitet. „Pumphose bis zum Fußknöchel und die Arme bedeckt, nur die Haare waren nicht verhüllt“, erklärt sie. Später kamen Trikots in Mode, die Oberkörper und Oberschenkel zu bedecken hatten – auch für Männer übrigens. Denen waren Badehosen nur gestattet, wenn sie unter sich schwammen, nicht aber im Familienbad.
Damit muslimische Frauen auch schwimmen gehen konnten, erfand die libanesischstämmige Australierin Aheda Zanetti den Burkini, der eine Wortkreuzung aus Burka und Bikini ist. Der Zweiteiler bedeckt Arme und Beine. Kopf und Hals bekleidet der angenähte Hijood – ein Wortspiel aus Hidschab (Kopftuch) und Hood (Haube). Das Gesicht bleibt frei. Das perfekte Kleidungsstück für muslimische Schwimmerinnen auf der ganzen Welt.
Jetzt sorgt der Burkini aber nicht für Abkühlungen, sondern erhitzt die Gemüter. Manche sehen hinter der heftig geführten Debatte um Hygiene, religiöse Symbolik und öffentliche Ordnung aber auch ein uraltes Muster im Geschlechter-Machtkampf. Etwa der französische Verein „Osez le féminisme“, der für die Verschleierung muslimischer Frauen eigentlich nichts übrig hat.
Im Burkini-Streit aber stellt er die Frage: „Warum verbietet man in diesem Fall dann nicht alle offen zur Schau gestellten religiösen Zeichen und nicht nur diejenigen, die ausnahmslos Frauen tragen?“ Es sei wenig überraschend, dass Frauen das Ziel der Verbotsbestrebungen seien, schreibt auch die Pulitzerpreis-Trägerin Kathleen Parker in der Washington Post. „Oder dass Männer diejenigen sind, die darüber streiten, was Frauen mit ihren Körpern tun sollten.“ Und zitiert Louise Rosine, eine Schriftstellerin, die in den 1920er-Jahren in Atlantic City lieber ins Gefängnis gegangen sei, als ihre Knie mit Strümpfen zu bedecken: „Es geht sie verdammt nochmal nichts an.“
Vorläufig gilt das auch für Burkinis. In Frankreich wurde das Verbot vorerst gekippt. Die Debatte ist damit aber noch lange nicht vorbei. Es geht nicht nur um Haut oder nicht Haut, sondern auch um den Islam, Freiwilligkeit und Unterdrückung. Die Themen vermischen sich und haben mit einem Kleidungsstück einen angenehm konkreten Aufhänger – über Bademode regt man sich schließlich seit vielen Jahrzehnten gern auf.
Badekultur
Im 18. Jahrhundert war es üblich, dass Männer und Frauen getrennt schwimmen gegangen sind. An Stränden und Badeanstalten galt eine strikte Geschlechtertrennung. Teilweise gab es vorgeschriebene Zeiten, wann Männer, wann Frauen in die Badeanstalt dürften.
An Stränden wurden im 18. und 19. Jahrhundert sogenannte Badekarren benutzt. Diese hölzernen, fensterlosen Umkleidekabine auf zwei oder vier Rädern wurden von einem Kutscher mit Gespann ins Wasser gezogen. Vor allem Frauen nutzten die Badekarren, weil sie dadurch sittlich und meist ungesehen im offenen Meer schwimmen konnten. Wollten die Damen wieder zurück an den Strand, stiegen sie wieder in den Badekarren und ließen sich zurückfahren. (sk)