Roland Knauer

Über dunkelgrünen Stängeln und Blättern wenden sich riesige, strahlend-gelbe Blüten der aufgehenden Sonne zu. Mit diesem farbenprächtigen Bild eines Sonnenblumenfeldes startet die warme Jahreszeit zu ihrer letzten Etappe, der Spätsommer beginnt. Besonders stark beeindruckt dieses gelbe Spektakel am frühen Morgen, weil die Blüten rund um die Uhr nach Osten und damit Richtung Sonnenaufgang schauen. Da ausgewachsene Sonnenblumen sich nicht drehen, trifft sie das Abendlicht von hinten und damit weniger farbenprächtig. Ganz anders verhalten sich dagegen junge Pflanzen, die sich jeden Tag mit dem Lauf der Sonne so von Ost nach West drehen, dass sie zu jeder Tageszeit möglichst viel Sonnenlicht abbekommen.

Wie eine nicht sonderlich bewegliche Pflanze diese Drehung schafft und weshalb die Blüte der reifen Sonnenblume sich nach Osten wendet, beschreiben Stacey Harmer von der University of California in Davis und ihre Kollegen in den USA jetzt in der Zeitschrift Science.

Die aus Nordamerika stammende Sonnenblume hat einen triftigen Grund, mit ihrer Drehung möglichst viele Sonnenstrahlen einzufangen: Dieses Licht liefert fast jeder Pflanze die gesamte Energie fürs Wachsen. So passen die in Mitteleuropa gern als Vogelfutter im Winter verwendeten Sonnenblumenkerne gut in den kleinen Schnabel einer Meise. Aus diesem Winzling soll zwischen Frühling und Spätsommer eine zwei Meter hohe Pflanze mit riesigen Blättern wachsen, die bis zum Herbst in einem Blütenteller auch noch bis zu tausend neue Sonnenblumenkerne reifen lässt, die rund zur Hälfte aus nahrhaften Ölen bestehen. Für diese gewaltige Leistung versucht die Pflanze so viel Sonnenlicht wie möglich einzufangen. Gelingt ihr das nicht, weil sie ein wenig im Schatten steht, bleiben Sonnenblumen deutlich mickriger und werden oft kaum einen Meter hoch.

Signalstoffe steuern die Bewegung

Selbst in der prallen Sonne aber kann eine junge Pflanze mehr Licht und damit auch mehr Energie einfangen, wenn sie ihren Trieb so ausrichtet, dass die Flächen der Blätter immer möglichst voll von der Sonne beschienen werden.

Der 1928 geborene Pflanzenphysiologe Winslow Briggs von der Carnegie Institution for Science an der Stanford Universität in Kalifornien hat in seiner Karriere eine ganze Reihe von Signalstoffen entdeckt, mit der Pflanzen diese Bewegung steuern. Der Forscher beschreibt in Science auch zwei Mechanismen, mit denen Gewächse und Teile von ihnen sich nach Anleitung dieser Signale drehen können: So können Pflanzensäfte die Zellen auf einer Seite des Stiels eines Blattes aufquellen lassen. Wenn sich die Zellen auf der anderen Seite nicht verändern oder sogar schrumpfen, krümmt der Stiel sich zu dieser Seite hin. Fließen die Pflanzensäfte wieder zurück, richtet er sich wieder auf. Mit diesem Mechanismus orientieren sich viele Blätter nach dem jeweiligen Sonnenstand.

Die Triebe der Sonnenblume dagegen drehen sich nicht mit Hilfe aufquellender Zellen, sondern lassen ihren Stängel auf einer Seite schneller wachsen und verwirklichen so die zweite Möglichkeit einer Drehung, die Winslow Briggs nennt. Am Morgen neigen sich die kleinen Sonnenblumenpflanzen und damit auch die flache Seite ihrer Blätter nach Osten. So erntet das Gewächs die größte mögliche Menge von Sonnenstrahlen und Energie. Auf seiner Ostseite produziert ein Sonnenblumen- Stängel zu dieser Zeit offensichtlich relativ große Mengen von „Auxin“, messen Stacey Harmer und ihre Kollegen.

Diese Pflanzenhormone sind es, die das Wachstum steuern. Tatsächlich messen die Forscher, dass der Stängel der kleinen Sonnenblumen-Pflänzchen auf dieser Ostseite am Vormittag sehr schnell wächst, während auf der Westseite wenig passiert. Dadurch verlängert sich die Ostseite des Stängels und das nach Osten gekrümmte Gewächs richtet sich langsam auf.

Gegen Mittag erreicht die Ostseite dann die Länge der Westseite, die kleine Sonnenblume steht senkrecht und ihre Blätter sammeln so möglichst viele Strahlen von der hoch am Himmel stehenden Sonne ein. Auch am Nachmittag wächst die Ostseite des Stängels kräftig weiter. Die Folge: Die Pflanze neigt sich langsam nach Westen. Auch am Abend fangen die Blattflächen so möglichst viel Energie von der nach und nach untergehenden Sonne ein. In der Nacht messen Stacey Harmer und ihre Kollegen dagegen auf der Westseite der Stängel viel mehr Auxin als auf der Ostseite. Und prompt wächst in der Nacht diese Westseite relativ schnell, während die andere Seite stagniert. Langsam richtet sich der Stängel wieder auf und beginnt sich später nach Osten zu krümmen, bis er wieder seine Morgen-Position erreicht hat. Tag für Tag folgt die wachsende Sonnenblume so der Sonne von Osten nach Westen.

Pflanzen folgen einer inneren Uhr

Doch was passiert, wenn Forscher die Pflanzen im Labor unter künstlicher Beleuchtung wachsen lassen, die Tag und Nacht scheint. Das Ergebnis: Das Wachstum beider Seiten gleicht sich nach einigen Tagen an und die Sonnenblumen wachsen ohne Krümmung. Strahlen die LED-Lampen dagegen in einem Tag-und-Nacht-Rhythmus, den die Forscher von den normalen 24 auf 30 Stunden verlängern, kommt das Wachstum der Pflänzchen völlig durcheinander.

Die These: „Offensichtlich gibt es also eine innere Uhr, die einem 24-Stunden-Rhythmus folgt“, schließt Winslow Briggs aus diesem Experiment. Stacey Harmer und ihre Kollegen haben aber auch noch anderes probiert. Sie binden die kleinen Sonnenblumen an einem Stock an und verhindern so, dass sie dem Lauf der Sonne folgen. Das Ergebnis: Die Pflanzen wachsen zehn Prozent langsamer und die Fläche ihrer Blätter ist ebenfalls zehn Prozent kleiner. Offensichtlich profitieren die Pflanzen also von diesem wechselseitigen Wachsen. Diese Unterschiede zwischen der Ost- und Westseite nehmen langsam ab und verschwinden, wenn die Sonnenblumen ihre volle Größe erreichen.

Am Morgen neigen sich die bis zu 40 Zentimeter breiten Blütenkörbe der Sonnenblumen nach Osten der aufgehenden Sonne entgegen und wärmen sich rasch auf. Der Effekt: Forscher zählen an diesen Ost-Blüten immerhin fünfmal mehr Insekten als an – zu Versuchszwecken – umgedrehten Pflanzen. Neigen sich die Blütenkörbe nach Osten, verbessern die Blumen also ihre Fortpflanzungschancen deutlich, zeigen die Forscher. Bewiesen wurde das außerdem, indem man Blüten mit einem Heizgerät aufwärmte. Denn auch dann kamen deutlich mehr Insekten.

Sonnenblumen drehen sich also immer so, dass sie möglichst schnell wachsen und sich möglichst gut vermehren können. Genau das hatte bereits der Vater der Evolutionstheorie Charles Darwin beobachtet. Eineinhalb Jahrhunderte später haben Stacey Harmer und ihre Kollegen jetzt auch erklärt, wie die Pflanzen sich dabei bewegen.

Wissenswertes zur Sonnenblume

  • Sonnenblumen nennen Biologen eine Pflanzengattung, deren rund 67 Arten in der Natur normalerweise nur in Nordamerika vorkommen. Die Ureinwohner bauten die eigentliche Sonnenblume Helianthus annuus im Einzugsgebiet des Mississippi und auch im heutigen Mexico bereits 2500 vor Christus an.
  • Sonnenblumenkerne kamen 1552 nach Europa, zunächst wuchsen die Pflanzen nur zur Zierde in Gärten. Ab dem 17. Jahrhundert wurden geröstete Sonnenblumenkerne als Kaffee-Ersatz verwendet. Seit dem 19. Jahrhundert wird aus den Kernen auch Sonnenblumenöl gewonnen. Im 21. Jahrhundert kennen viele Menschen Sonnenblumenkerne als typisches Futter für Wildvögel.
  • Topinambur ist eine weitere Art aus der Sonnenblumen-Gattung, deren Knollen bereits die Indianer ähnlich wie Kartoffeln als Nahrungsmittel zubereiteten. 1612 kam Topinambur nach Europa und wurde zunächst ebenfalls als Lebensmittel angebaut. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts verdrängte die Kartoffel die süßliche Topinambur-Knolle, die seither eher als Tierfutter verwendet wurde. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erlebte die Nutzpflanze dann eine Renaissance auf dem Bio-Markt. (rhk)