Es gibt so viele schöne Dinge, die blau sind: Der Himmel, der Bodensee oder die Augen des Lieblingsmenschen. Und doch ist diese Farbe laut Forschern ein Indiz für eine Depression. Wissenschaftler der Universitäten Harvard und Cambridge haben rund 44 000 Bilder untersucht, die in der Foto-App Instagram geteilt wurden. Ihr Fazit: Wer an Depressionen leidet, dessen Bilder sehen anders aus als die eines gesunden Menschen. Sie sind eher blau, grau und dunkel, ein Indiz könne auch der Schwarz-Weiß-Filter „Inkwell“ sein. Wer gesund ist, bevorzuge hellere, lebhaftere Farben und sehe dunkle, graue Farben im Zusammenhang mit einer negativen Stimmung. Auch die Zahl der Likes, die ein Bild erhält, sowie die Zahl der Personen, die auf einem Bild zu sehen sind, soll relevant sein.

Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, haben die Forscher Bilder von 166 Menschen ausgewertet. Dabei analysierten sie Farbe, Metadaten, Gesichter und Reaktionen von Nutzern. Außerdem wurden die Bilder in den Kategorien interessant, „likeable“, glücklich und traurig bewertet. Bei einem Teil der Probanden wurde im Vorfeld eine Depression festgestellt. Die Forscher untersuchten in diesen Fällen daher die Bilder vor dieser Diagnose und sahen dort bereits die Merkmale, die sie als Zeichen für eine Depression ausmachten.

Eine Depression gehört zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland. Laut der Deutschen Depressionshilfe erkrankt jeder fünfte Deutsche ein Mal im Leben an der unterschätzten Krankheit, insgesamt beziffert die Organistaion die Zahl der Betroffenen auf 4,9 Millionen Menschen pro Jahr. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht sogar davon, dass jeder Zehnte depressiv ist. Insgesamt stieg die Zahl der Menschen mit Depression und Angstzuständen laut einer Studie weltweit stark an: Von 1990 bis 2013 sei sie von 416 auf 615 Millionen geklettert.

 

Ein von Selena Gomez (@selenagomez) gepostetes Foto am


Wenn Instagram-Bilder ein Indiz für die Volkskrankheit sind, offenbaren auch prominente Instagram-Nutzer ihren Millionen Fans ihre Probleme. Wer offen damit umgeht, ist die amerikanische Sängerin Selena Gomez. Sie leidet an der Krankheit Lupus und hat kürzlich ihre Europa-Tournee abgesagt, um sich gesundheitlich zu erholen. In einer Erklärung verwies sie darauf, dass sie unter Angstzuständen und Depressionen leide. Ihre Bilder entsprechen dem, was die amerikanischen Forscher als Indizien einer Depression ausgemacht haben, sie sind zuletzt blau und dunkel.

Experten warnen aber davor, auf Basis von Instagram-Bildern eine Diagnose zu wagen. Die Kriterien der Studie entsprechen zwar denen einer Depression, kratzen aber nur an der Oberfläche. Das schildert Sabine Zöllner, Fachärztin für Neurologie in Essen, im Doppel-Interview mti ihrem Mann Oliver Zöllner, Medienwissenschaftler an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Sabine Zöllner findet es gewagt, aus wenigen Merkmalen ein diagnostisches Kriterium zu machen: „Da gehören einige Faktoren mehr dazu.“ Die Kriterien der Studie kann sie aber bestätigen: „Menschen mit depressiver Veranlagung oder Depressionen wählen häufig dunklere Farben oder düstere Inhalte.“ Auch reduzierte soziale Kontakte könnten Hinweis sein – „wobei manche Menschen auch einfach Einzelgänger sind“.

Medienwissenschaftler Oliver Zöllner bestätigt: „Man hat auch das Recht, dunkle Farben zu mögen, und darf auch mal nicht fröhlich sein.“ Aus medienwissenschaftlicher Sicht äußert er Bedenken gegenüber dem Analyse-Programm der Forscher: „Man neigt bei computer-basierten Ergebnissen schnell dazu, diese unhinterfragt zu übernehmen.“ Außerdem sei ein Instagram-Profil selten unmittelbarer Ausdruck einer Persönlichkeit, sondern oftmals bewusst gestaltet und kuratiert. „Da findet ein Kampf um das Idealbild des Menschen statt“, sagt Zöllner.

Die Gefahr, dem Inhaber eines Instagram-Profils mit eine Depressions-Diagnose Unrecht zu tun, ist groß. Denn beispielsweise Fotografen nutzen dunkle Farben oder Schwarz-Weiß häufig als ein Stilmittel: Mit dem Hashtag #moody findet sich bei Instagram eine Vielzahl von Bildern, die optisch den Depressions-Indikatoren entspricht. Unter den beliebtesten Beiträge sind etwa das One World Trade Center in New York, zwei Selfies oder einen herbstlichen Wald, aus dem ein orange-farbener Zug fährt. Auch wer sich in der Region umsieht und nach Bilder mit dem Hashtag #bodensee, #schwarzwald oder #hochrhein sucht, findet häufig Bilder in Schwarz-Weiß oder mit überwiegend dunklen Farbtönen. Viele Landschaften sind zu sehen, selten Menschengruppen.

 

Ein von Florian Fahlenbock (@florian_fahlenbock_fotografie) gepostetes Foto am

Dass Instagram-Bilder keine Grundlage für eine sichere Diagnose sind, räumen letztlich auch die Forscher ein: Die von ihnen entwickelte Software, die Bilder automatisiert auf die von ihnen ermittelten Depressions-Indikatoren untersucht, soll aber immerhin eine Trefferquote von 70 Prozent haben. Aufmerksamkeit für die Volkskrankheit erzeugt sie in jedem Fall.

Statt künftig die Instagram-Bilder anderer zu analysieren, rät Neurologin Sabine Zöllner aber zum persönlichen Kontakt: „Wenn Sie jemanden persönlich kennen, spüren Sie sehr schnell, wie es ihm tatsächlich geht.“

Die App Instagram

Seit 2010 können angemeldete Nutzer in dem Smartphone-Programm Instagram Bilder teilen, liken und kommentieren. Bilder können direkt über die App aufgenommen und bearbeitet werden, dafür stehen voreingestellte Filter zur Verfügung. Auch an Kriterien wie Kontrast, Helligkeit oder Farbe kann geschraubt werden. Anschließend werden Bilder mit sogenannten Hashtags wie #bodensee verschlagwortet und können so gefunden werden. 2012 hat Facebook das soziale Netzwerk mit den typisch quadratischen Bildern für die Rekordsumme von einer Milliarde US-Dollar gekauft. Bis dahin war Instagram ein Zwölf-Mann-Unternehmen. Nach dem jüngsten Stand von Juni 2016 nutzen weltweit 500 Millionen Menschen die App.

Wie Instagram Wahrnehmung und Erinnerung verändert, erzählen Nutzer aus der Region hier.
 


"Da gehören einige Faktoren mehr dazu"

Sabine Zöllner ist Fachärztin für Neurologie in Essen, Oliver Zöllner lehrt an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Das Ehepaar hat die Studie eingehend besprochen und äußert aus medizinischer und medienwissenschaftlicher Sicht Bedenken

Sind Bilder in sozialen Netzwerken ein Spiegel der Seele desjenigen, der sie in seinem Profil verbreitet?

S. Zöllner: Social Media ist zu einer Ausdrucksform der Persönlichkeit geworden. Wer etwas postet, hat meist eine Botschaft, die er vermitteln will. Wenn auch nicht unbedingt im psychopathologischen oder krankhaften Sinne.

O. Zöllner: Es hat inzwischen auch etwas Künstlerisches und bewusst Expressives, weil viele Menschen wissen, dass ihre Motive angeschaut werden – ob von Familie, Freunden, Arbeitgebern oder Behörden. Mit diesem Gedanken zeigen sich Menschen vielleicht in bestimmter Art und Weise. Ob das immer authentisch ist, ist dann die Frage.

S. Zöllner: Die geposteten Bilder werden ja auch oft gleich bewertet, worüber manche Menschen sicher auch einen gewissen Selbstwert generieren.

Halten Sie Instagram-Bilder für eine gute Analyse-Grundlage?

O. Zöllner: Methodisch gesehen ist die Studie interessant, aber sie ist nur auf kleiner Stichprobenbasis durchgeführt worden – es waren nur 166 Menschen, die sich zudem selbst gemeldet haben. Das müsste man auf deutlich größerer Basis weiter überprüfen. Ethisch habe ich große Bedenken. Man neigt bei Computer-basierten Ergebnissen dazu, diese unhinterfragt zu übernehmen.

Warum ist das problematisch?

O. Zöllner: Zukünftig könnte man von Behörden, Krankenkassen oder Arbeitgebern gezwungen werden, solche Informationen zu teilen. Wenn es Standard wird, dass man sich automatisiert auf Krankheiten und Störungen untersuchen lassen muss, ist das ein sehr großer Eingriff in die Privatsphäre und auch in die Würde des Menschen.

Was bedeutet es, wenn Bilder in einem sozialen Netzwerk analysiert werden?

O. Zöllner: Schon jetzt sind Profile sehr stark kuratiert und gepflegt, um eine ganz bestimmte Version seines Selbst in die Welt zu setzen. Alles, was gesellschaftlich erwünscht wird, findet sich in solchen Profilbildern. Da findet ein Kampf um das Idealbild des Menschen statt. Wenn man nun weiß, dass diese Bilder ausgewertet werden, führt das möglicherweise zu weiteren Eigen-Manipulationen. Das würde die Aussagekraft solcher Untersuchungsmethoden ad absurdum führen. Der Druck, sich immer in einem positiven Licht zu zeigen, führt dazu, dass alle Menschen, die sich nicht konform präsentieren, stigmatisiert werden.

Kann dies das Verhalten verändern?

S. Zöllner: Wenn man weiß, dass es Untersuchungsmethoden für Instagram-Profile gibt, erhöht das natürlich den Druck. Der Druck auf diese Patienten ist ohnehin sehr groß. Außerdem finde ich es sehr gewagt, aus wenigen Merkmalen wie zum Beispiel dunklen Farben ein diagnostisches Kriterium zu machen. Da gehören einige Faktoren mehr dazu. Ich finde zudem bedenklich, wenn der Kontakt zwischen Arzt und Patient fehlt. Computerprogramme können unsere ärztliche Arbeit bestimmt ergänzen, aber nicht ersetzen.

Stichwort Krankenkassen, wie könnten die solche Daten nutzen?

S. Zöllner: Denkbar wäre etwa, dass in Zukunft das Instagram-Profil in eine Risikobewertung einbezogen wird und anhand der Bilder analysiert wird, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für eine psychische Erkrankung ist.

O. Zöllner: Schon jetzt schauen Versicherungen punktuell etwa die Facebook-Profile an. Das maschinelle Screening von Social-Media-Profilen wird noch fortschreiten. Doch was ist, wenn jemand einfach dunkle Farben mag? Und wenn sich jemand auf Bildern nur mit wenigen Personen zeigt, kann das Datenschutz-Gründe haben.

Müssen Nutzer nun noch mehr darauf achten, was sie posten?

O. Zöllner: Man muss schon jetzt sehr darauf achten, denn man ist immer in einer Öffentlichkeit und muss damit rechnen, dass alles, was man postet, auf ewige Zeit gespeichert wird. Man weiß nicht, in welchen Zusammenhängen es einmal verwendet wird.

Und müssen wir die Bilder anderer nun genauer betrachten?

S. Zöllner: Ich würde mir vielmehr wünschen, dass Freunde lieber den direkten Kontakt suchen. Wenn Sie jemanden persönlich kennen, spüren Sie sehr schnell, wie es ihm tatsächlich geht und ob er etwas vorspielt. Diese menschlich-emotionale Ebene ist der Bild-Diagnostik weit überlegen.

Wie reagiere ich am besten, wenn ich eine Depression vermute?

S. Zöllner: Wenn jemand eine Lebenskrise hat, ist es wichtig, präsent zu sein und zuzuhören, ohne zu werten. Man sollte aber auch akzeptieren, wenn derjenige gar nicht oder noch nicht darüber reden möchte. Dann hilft es, eine Brücke zu bauen und zu signalisieren, dass man für ihn da ist. Anders ist es, wenn jemand keinen Sinn mehr im Leben sieht oder lebensmüde Gedanken äußert, dann muss man unter Umständen einen Arzt rufen – das kommt aber eher selten vor. (isa)