Im Januar 2023 wurde das Bürgergeld eingeführt. Seitdem hat sich der Hartz-IV-Nachfolger zum Dauerstreitthema entwickelt. Der Tonfall in der Bürgergeld-Debatte ist mittlerweile so scharf, dass sachliche Argumente kaum noch vorgetragen werden. So fordern die FDP und die Unions-Parteien immer wieder härtere Sanktionen für sogenannte Totalverweigerer. Dabei gibt es Schätzungen zufolge lediglich 16.000 Bürgergeld-Empfänger in Deutschland, die eine zumutbare Arbeit ohne triftigen Grund ablehnen. Das sind weniger als 0,02 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Auch das Gerücht, dass sich Arbeit für viele Bürgergeld-Empfänger nicht mehr lohnen würde, hält sich hartnäckig. Obwohl das ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München schon vor Monaten berechnet hat, dass Arbeit in Deutschland immer zu einem höheren Einkommen führt als Nichtstun.
Allerdings haben die Forscher damals auch festgestellt, dass das Bürgergeld-System Designfehler enthalte und reformbedürftig sei. Vor allem, weil das Einkommen von Bürgergeld-Empfängern mitunter nur gering ansteige, wenn sie eine Arbeit aufnehmen. In einer neuen Studie, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Auftrag gegeben hat, haben die Forscher jetzt Vorschläge gemacht, wie eine solche Reform des Bürgergeldes aussehen könnte.
Warum soll das Bürgergeld reformiert werden?
Wer Bürgergeld empfängt und eine Arbeit aufnimmt, hat immer ein höheres Einkommen, als jemand, der nichts tut. Das mag erst einmal logisch und fair klingen. Doch es gibt dabei ein Problem. Der Anstieg des verfügbaren Einkommens ist laut den Forschern vom ifo Institut mitunter nicht sehr groß.
Im Klartext heißt das: Es kann vorkommen, dass Bürgergeld-Empfänger nur wenige Euro mehr auf dem Konto haben, wenn sie sich einen Job suchen. Das liegt allerdings nicht daran, dass der Bürgergeld-Regelsatz zu hoch wäre, wie es oft behauptet wird. Schuld ist ein kompliziertes Wechselspiel von verschiedenen Sozialleistungen.
Schon gewusst? Experten gehen davon aus, dass es härtere Sanktionen nicht der richtige Weg sind, um Bürgergeld-Empfänger wieder in Arbeit zu bringen.
Bürgergeld: Kompliziertes Wechselspiel zwischen verschiedenen Sozialleistungen
Momentan, erklären die Forscher, gibt es in Deutschland ein „Neben- und Miteinander von Leistungen, die von unterschiedlichen Trägern verwaltet werden“:
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und der Kinderzuschlag (beziehungsweise: die Kindergrundsicherung)
Sehr vereinfacht gesagt, zahlt das Jobcenter die Miete von Bürgergeld-Empfängern und kommt für die Kosten ihrer Kinder auf. Wenn Bürgergeld-Empfänger sich jedoch etwas dazuverdienen wollen und eine Arbeit aufnehmen, wird dieser Teil des Bürgergeldes vom Wohngeld und vom Kinderzuschlag abgelöst.
Hier liegt der Fehler: Je höher das Einkommen ist, desto weniger Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag gibt es. Die Leistungen werden abgeschmolzen. Gleichzeitig erhöhen sich aber die Sozialabgaben und Steuern auf das Einkommen. Von dem dazuverdienten Einkommen bleibt so nicht mehr viel übrig. Wenn die Mieten besonders hoch sind, haben Haushalte laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in seltenen Fällen sogar weniger Geld als vor der Aufnahme zusätzlicher Arbeit.
Aber es wird noch komplizierter: Wie das RND schreibt, unterscheiden sich „Art und Umfang der Abschmelzung bei den verschiedenen Transferleistungen und je nach Fallkonstellation, etwa der Miethöhe oder der Zahl der Kinder“. Die Bürgergeld-Empfänger tappen dann schnell in die sogenannte Niedrigeinkommensfalle. Der Hinzuverdienst durch die Arbeit lohnt sich kaum.
Reformvorschlag 1: Das Wohngeld soll ins Bürgergeld integriert werden
Um dieses Problem zu lösen, machen die Forscher in ihrer Studie zwei Vorschläge. Der erste Vorschlag ist besonders tiefgreifend: Das Wohngeld in seiner jetzigen Form soll abgeschafft und ins Bürgergeld integriert werden. Beide Sozialleistungen sollen also zusammengelegt werden.
Außerdem plädieren die Forscher dafür, die Freibeträge für erwerbstätige Bürgergeld-Empfänger zu erhöhen. Dadurch könnten Bürgergeld-Empfänger mehr dazu verdienen, bevor ihr Einkommen mit den Sozialleistungen verrechnet wird. Das Arbeitsangebot, so die Forscher, könnte dadurch um rund 144.000 Vollzeitäquivalente zunehmen.
„Eine Integration des Wohngeldes in das Bürgergeld und eine gleichzeitige Reform der Erwerbstätigenfreibeträge könnten mehr Arbeitsanreize schaffen und das System effizienter machen“, erklärt Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen, in einer Pressemitteilung.
Reformvorschlag 2: besseres Wohngeld und Kinderzuschlag sollen nicht gleichzeitig sinken
Der zweite Reformvorschlag der Forscher ist nicht so tiefgreifend wie der erste. Er zielt auf die Nachteile ab, die entstehen, wenn Wohngeld und Kindergrundsicherung gleichzeitig sinken.
„Um Haushalte mit Kindern besserzustellen, gibt es verschiedene Möglichkeiten“, erklärt ifo-Forscher Maximilian Blömer. Man könnte entweder die Anrechnung des Elterneinkommens beim Kinderzusatzbetrag senken oder die Formel zur Berechnung des Wohngeldanspruchs anpassen. Die erste Option, so Blömer weiter, könnte das Arbeitsangebot um 25.000 Vollzeitäquivalente erhöhen.
Wie das RND schreibt, würde das ebenso Geld kosten - wie die höheren Freibeträge für Bürgergelde-Empfänger. „Die zusätzlich geleistete Arbeit wäre aber mit zusätzlichen Einnahmen für Fiskus und Sozialsysteme verbunden.“ Laut den Ifo-Berechnungen seien beide Vorschläge allerdings nahezu kostenneutral.
Schon gewusst? Laut einer Studie nehmen viele Berechtigte das Bürgergeld überhaupt nicht in Anspruch. Darunter: auch viele Rentner.