Luisa Mayer

„Und wenn wir neue Kleider gebraucht haben, sind wir immer in die Stadt gefahren“, erzählt die Oma – sie soll für diese Geschichte Clara Sauter heißen – ihren Enkeln. „Da gab es Läden, in denen man T-Shirts, Hosen und Schuhe kaufen konnte.“ Ungläubig schauen die Kinder die Oma an. Die Läden, in denen sie Bekleidung einkaufen, gibt es nur virtuell. Es ist das Jahr 2050 und die Textilbranche hat einen Umbruch hinter sich, für den gerade die Weichen gestellt werden.

2016: Escada, Strenesse, Zero. 2017: Roeckl, Basler, Gardeur, Biba. 2018: Gerry Weber, Esprit, K&L. 2019: Miller&Monroe (ehemalige Charles Vögele-Filialen) und Tom Tailor. Alle diese bekannten Modemarken stecken in der Krise, müssen Filialen schließen oder bekommen neue Investoren. Und das sind nur einige der bekanntesten Beispiele. „Rund 800 Unternehmen hat die Textilbranche in Deutschland in den vergangenen Jahren jährlich verloren, darunter ganz viele kleine“, sagt Axel Augustin, Sprecher des Bundesfachverbands Textil BTE. Ein Ende sei nicht abzusehen.

Gerry Weber hat einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung gestellt. Ziel ist es, das Unternehmen zu sanieren.
Gerry Weber hat einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung gestellt. Ziel ist es, das Unternehmen zu sanieren. | Bild: Christophe Gateau

Wer verstehen will, warum das so ist, schaut sich am besten an, wie Clara Sauter, gerade 37 Jahre alt, Kleidung einkauft. Wie 60 Prozent der Deutschen macht sie das mal online, mal, indem sie durch eine Innenstadt bummelt. „Für die Modemarken bedeutet das, sie müssen ihre Filialen aufrecht erhalten, mit teuren Miet- und Personalkosten und gleichzeitig in Online-Auftritte investieren“, sagt Jochen Strähle, Professor für Internationales Mode-Management an der Hochschule Reutlingen. Dieses Mehr an Kosten könnten die Unternehmen aber nur auffangen, indem sie entweder billiger produzierten – was in der Textilindustrie mit ihren Hungerlöhnen kaum mehr möglich ist – oder indem sie stark wachsen. „Das aber gelingt nur den ganz großen Namen oder den kleinen Nischenanbietern“, sagt Jochen Strähle.

Zu heiß zum Einkaufen

Für den mittelständischen Modefachhandel reicht hingegen ein Sommer, wie der im vergangenen Jahr, um endgültig in die Krise zu rutschen. „Bei der Hitze wollte keiner einkaufen gehen. Die Nachfrage brach kurzfristig ein, produziert wird in der Textilindustrie aber eher langfristig, also bleibt die Ware liegen“, sagt Axel Augustin, Sprecher des Bundesfachverbands Textil BTE. Gleiches galt für die Winterware, die bereits im August in den Läden liegt. „Die ersten Wochen sind für den Verkauf entscheidend. Wenn es da nicht läuft, muss früh reduziert werden“, sagt Oliver Janz, Professor für Handelsmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn.

Die Hamburger Modekette Tom Tailor ist mittlerweile komplett vom chinesischen Mischkonzern Fosun übernommen worden.
Die Hamburger Modekette Tom Tailor ist mittlerweile komplett vom chinesischen Mischkonzern Fosun übernommen worden. | Bild: Christian Charisius

Das alles führte dazu, dass mehr als die Hälfte der Mode-Unternehmen ein mehr oder weniger großes Umsatzminus verzeichneten. Nicht alle konnten das verkraften. „Auch wenn inzwischen viele Filialen auf dem Prüfstand stehen: die hohen Fixkosten für Miete und Personal wird man nicht von heute auf morgen los“, sagt Axel Augustin.

Einkaufen soll Spaß machen

Und dann ist da noch das Angebot selbst. Jeder Deutsche kauft im Schnitt 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr. Benötigt werden die wenigsten davon. Mode folgt meist Impuls-Käufen, nicht Bedarfskäufen. Insbesondere Frauen wie Clara Sauter gehen shoppen, weil ihnen das einfach Spaß macht. „Und dann finden sie in allen Läden die gleichen Marken und nahezu die gleichen Sachen. Das einzige Innovative ist ein Farbwechsel oder eine Veränderung bei der Länge, das war’s“, sagt Textil-Experte Jochen Strähle von der Hochschule Reutlingen.

Nun müssen die Kunden diese Langeweile aber nicht mehr in Kauf nehmen. Im Internet steht ihnen das weltweite Mode-Angebot zur Verfügung. Überrascht sie der Händler vor Ort nicht mehr, finden sie ihre Überraschung eben anderswo. „Da stellt sich dann schon die Frage, wozu es die Filialen überhaupt noch braucht“, sagt Jochen Strähle. Ein Argument dafür fällt ihm keines ein.

Der Modekonzern Esprit ist in die roten  Zahlen gerutscht und streicht in Deutschland mindestens 400 Stellen.
Der Modekonzern Esprit ist in die roten Zahlen gerutscht und streicht in Deutschland mindestens 400 Stellen. | Bild: Sebastian Gollnow

Weshalb er auch davon ausgeht, dass Clara Sauter ihren Enkeln irgendwann davon erzählen wird, wie es damals so war, mit dem Einkaufen in den Innenstädten. Als sich samstags noch die Massen durch die Einkaufsmeilen schoben, schwer bepackt mit Tüten voller Klamotten. „Noch kaufen wir etwa 20 Prozent der Bekleidung online ein, bald werden es 50 Prozent und mehr sein“, ist Strähle überzeugt.

In den letzten Jahren haben die Innenstädte Schätzungen zufolge bereits 20 Prozent der Ladenflächen verloren, die bis dahin mit Textilien und Schuhen bestückt waren. Diese Entwicklung wird weitergehen. Textil-Experte Jochen Strähle sieht darin aber vor allem eine Chance für die Mode-Industrie. „Es wurde in den letzten Jahren ja nicht weniger Bekleidung in Deutschland gekauft als früher, sondern sogar etwas mehr.“ Der Markt ist also da, nur sein Marktplatz wird sich ändern.

Wie entwickeln sich die Innenstädte?

Was mit den alten Marktplätzen in den Innenstädten passiert, das ist eine spannende Frage. Textil-Experte Jochen Strähle würde sich wünschen, dass die überflüssig gewordenen Verkaufsflächen Platz machen für Wohnungen, Parks, Kultureinrichtungen und Gastronomie. „Dann haben wir wieder echtes Leben in den Innenstädten und keine langweiligen Konsum-Autobahnen mehr, die nach Ladenschluss tot sind.“

Zumindest einzelne Geschäfte werden sich vor Ort trotzdem behaupten können, meint dagegen Handelsexperte Oliver Janz. „Vorausgesetzt sie schaffen es, dem Kunden das Einkaufen wieder mehr als eine Freizeitbeschäftigung zu verkaufen, bei der man was erleben kann. Und sie müssen eine sinnvolle Ergänzung zum Online-Shopping bieten“, sagt er.

Als Beispiel nennt er ein Modegeschäft in Hamburg, welches die Vorteile des virtuellen und stationären Einkaufs zu vereinen versucht. Mit einer Einkaufsberatungs-App wird der Kunde dort durch den Laden geleitet. Gefällt ihm ein Teil, kann er es abscannen und sich die richtige Größe in die Umkleidekabine liefern lassen, denn volle Ladenregale zum Durchwühlen gibt es hier keine. Während der kurzen Wartezeit, bis die Ware kommt, kann man einen Kaffee trinken. Bei der Anprobe lässt ich auf Knopfdrucke eine persönliche Beratung rufen. „Das muss noch nicht das Patentrezept sein, aber solche neuen Ideen wird der stationäre Modehandel auf jeden Fall ausprobieren müssen, wenn er überleben will“, sagt Janz.