Herr Mangott, Russlands Präsident Wladimir Putin hat eine Teilmobilmachung angekündigt. Was unterscheidet diese von einer Generalmobilmachung?

Sicherlich zunächst der Umfang. Die russische Armee hat nicht die ausreichende Infrastruktur, um eine Generalmobilmachung vorzunehmen, also viele hunderttausend Soldaten zu mobilisieren.

Zum Zweiten wäre die Ankündigung einer Generalmobilmachung ein zu großer Schock für die russische Bevölkerung, die bislang unter dem Anschein der Normalität gelebt hat. Wenn zunächst nur eine Teilmobilmachung möglicherweise als erster Schritt zu einer Generalmobilmachung vorgenommen wird, kommt dieser Schock in homöopathischen Dosen.

Das Märchen von der begrenzten Spezialoperation ist endgültig geplatzt …

Wenn jetzt eine Teilmobilmachung angeordnet werden muss, zeigt das, dass die sogenannte militärische Spezialoperation nicht nach Plan läuft und ihre Ziele erreichen wird, wie das immer Mantra-artig behauptet worden ist. Auch für die russische Bevölkerung wird jetzt offenkundig, dass etwas nicht läuft und Russland seine Anstrengungen verstärken muss.

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Wird die Teilmobilmachung die Situation zugunsten Russlands verändern?

Sie wird etwas bringen, weil die Reihen der russischen Soldaten ausgedünnt sind. Die Frage ist, wie schnell das passiert. Es ist die Rede davon, dass zunächst nur Reservisten mit militärischer Erfahrung einberufen werden sollen – etwa 300.000 Mann laut Verteidigungsminister Sergej Schoigu.

Politikwissenschaftler Gerhard Mangott ist Russland-Experte der österreichischen Universität Innsbruck.
Politikwissenschaftler Gerhard Mangott ist Russland-Experte der österreichischen Universität Innsbruck. | Bild: Celia di Pauli/dpa

Diese Personen könnte man relativ schnell mobilisieren und in die Ukraine schicken. Das ist sicher eine Maßnahme gegen weitere ukrainische Gegenoffensiven.

Wird Russland alles einsetzen, um seine Sicherheit zu gewährleisten?

Nach den Scheinreferenden werden auch die russisch besetzten Gebiete in der Ukraine russisches Staatsgebiet sein. Das soll ein starkes Signal an die Ukraine sein, die Kampfhandlungen nicht weiter voranzutreiben und nicht weiter auf von Russland erobertes Gebiet vorzustoßen.

Gehen Sie davon aus, dass sich die Ukraine davon beeindrucken lässt?

Davon gehe ich nicht aus. Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj hat schon angekündigt, die Ukraine werde sich weiter verteidigen und es gebe keine offenen Gesprächskanäle mehr mit Moskau. Der Westen müsse jetzt liefern, was die Ukraine schon lange fordert, nämlich Kampfpanzer, Schützenpanzer und neuere weiter reichende Artilleriesysteme, wie sie die USA zur Verfügung haben.

Die Bundesregierung zögert aber. Haben Sie dafür eine Erklärung?

SPD und Kanzler Olaf Scholz sagen, kein westlicher Staat habe bisher westliche Panzer an die Ukraine geliefert und Deutschland würde nur im Einvernehmen mit den westlichen Partnern darüber nachdenken. Tatsächlich wollen die SPD und Scholz immer noch alles tun, um eine Ausweitung dieses Krieges zu vermeiden.

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Wenn die Ukraine westliche Kampf- und Schützenpanzer oder weit reichende Artillerie bekommt, dann ist sie zu weiteren offensiven Aktionen gegen russische besetzte Gebiete fähig. Scholz befürchtet, dass dies zu einer Eskalation führen könnte, wie sie Putin angedeutet hat.

Liegt Scholz da richtig?

Jedenfalls ist es geboten, abzuwarten, vorsichtig zu sein und nichts zu tun, was die Lage militärisch noch weiter eskalieren kann. Russland hat sich als wirklich unberechenbarer Krieg führender Staat, der zu allem befreit und fähig ist, geoutet. So bitter es ist: Vorsicht ist jetzt erst recht geboten.