Ihr eigener Erfolg hat Frankreichs „Gelbwesten“ zu Beginn wohl selbst überrascht – nun staunen sie über dessen Abklingen. Entstanden war die Bewegung im vergangenen Jahr, nachdem mehrere zornige Bürger „Es reicht!“-Videos ins Internet gestellt.
Wie alles begann
Sie riefen zur Blockade von Verkehrskreiseln auf dem Land auf, um gegen steigende Kraftstoffpreise und sinkende Kaufkraft zu demonstrieren. Bald verlagerten sich die Proteste in die Städte – und klangen auch nicht ab, als die Regierung die Erhöhung der Ökosteuer auf Benzin und Diesel aussetzte.
Dafür war es bereits zu spät. Fortan forderten die „Gelbwesten“ unter anderem auch mehr direkte Demokratie, eine Rückkehr zur Reichensteuer, sogar einen Umsturz des Systems. Allerdings ohne die Konturen eines „Danach“ aufzuzeichnen, sondern nach dem Motto: Erst die Revolution, dann sehen wir weiter.
Es fehlen klare Wortführer
Weil die dezentral organisierte Bewegung klare Wortführer ablehnte, auf konstruktive Vorschläge weitgehend verzichtete und unerfahren im Umgang mit Medien war, blieben ihre Beweggründe und Zielsetzungen diffus. Das rächt sich heute.
Zunächst aber begannen die Protestierenden ihre Macht zu spüren, sich an ihr und am Gefühl der Solidarität zu berauschen. Viele fanden bei den Kundgebungen eine Ersatzfamilie, fühlten sich nicht mehr allein mit ihren Sorgen. Präsident Emmanuel Macron geriet derart unter Druck, dass er milliardenschwere Zugeständnisse machte.
Dabei war die Bewegung zahlenmäßig nie so stark, wie sie angesichts des enormen öffentlichen Echos erschien. Waren es zu Beginn knapp 300 000, so gingen zuletzt landesweit nur noch 50 000 Aktivisten auf die Straße – und könnten gerade mal ein mittelgroßes Fußballstadion füllen.
Heftige Gewalt als Problem
Die große Aufmerksamkeit für die „Gelbwesten“ erklärt sich mitunter durch die heftige Gewalt, die ihre Kundgebungen begleitete. Vor allem in Paris kam es zu regelrechten Straßenschlachten und schweren Schäden – auch für Frankreichs Image. Unter die friedlichen Aktivisten mischten sich gewaltbereite Ultrarechte und -linke, antisemitische Töne wurden hörbar. Brutal wurden die Sicherheitskräfte angegriffen, die mit Härte zurückschlugen. Die Bilanz der teils Schwerverletzten auf beiden Seiten ist erschütternd. Deshalb bricht Unterstützung weg, zumal Journalisten, Politiker und gemäßigte Aktivisten bedroht wurden, die sich auf klassische Weise engagieren.
Dabei brachten die „Gelbwesten“ lange schwelende Konflikte zutage. Ihre Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit sind mehr als legitim. Zu Recht erzürnt sie, dass die Schere zwischen Arm und Reich aufgeht, dass die Kluft zwischen noblen Villenvierteln und vernachlässigten sozialen Brennpunkten wächst.
Abgehobene politische Klasse
Die extreme Zentralisierung des Landes und das auf den machtvollen Präsidenten zugeschnittene System führen zudem zu dem Gefühl, dass die herrschende politische Klasse nur sich selbst vertritt – nicht aber das Volk. Alle Parteien und Institutionen in Frankreich haben massiv an Glaubwürdigkeit und damit den Respekt der Menschen verloren. Als Verkörperung einer abgehobenen Elite zieht Macron teils einen Hass auf sich, der jenen auf seine Vorgänger noch übersteigt.
Der Präsident rudert heftig, um der bisher schwersten Krise seiner Amtszeit zu begegnen. Dass er sich selbst stundenlang an Debatten mit Bürgermeistern beteiligt, erkennen manche als ehrliches Engagement an, während andere darin nur eine PR-Aktion sehen.
Kurzfristig sind die Probleme Frankreichs – die auch andere Länder kennen – nicht lösbar. Sie liegen zu tief. Sie anzusprechen und über Auswege zu debattieren, ist ein erster Schritt. Entscheidend wird aber sein, was die Regierung aus all den Forderungen und Ideen macht, ob sie wirklich darauf eingeht und die Grundlage für eine gerechtere Gesellschaft legt. Dies anzustoßen, ist das Verdienst der „Gelbwesten“.