Gabriele Renz und Stefan Hilser

Überlingen/Biel – Sie gehört seit dem vergangenen Wochenende zum Führungskader der AfD. Nun wurde bekannt, dass Alice Weidel, die stets Überlingen als Wohnort angibt, auch mit einem zweiten Wohnsitz in Biel in der Schweiz gemeldet ist. Sie bestätigte gegenüber dem SÜDKURIER, dass am Bielersee im Kanton Bern auch ihre Kinder wohnen – "aus Sicherheitsgründen", wie sie sagte. Ins Rollen brachte die Neuigkeit die Zeitung „Bund“ mit einem Artikel über die Bieler Mitbürgerin. „Nicht einmal Nachbarn wussten, dass die ‚nette Dame‘ aus der Wohnung nebenan den Bundestagswahlkampf der rechtsnationalen Alternative für Deutschland (AfD) anführt“, schrieb hernach auch der „Tagesanzeiger“.

"Politische Korrektheit" ist nicht ihr Ding, wie Alice Weidel beim Parteitag der AfD am vergangenen Wochenende in Köln sagte, sie gehöre „auf den Müllhaufen der Geschichte“. Nun steht die Ökonomin, die von der AfD zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl gewählt wurde, vor der Frage, ob es politisch korrekt ist, an der Spitze einer rechtskonservativen Partei zu stehen und den Alltag im Ausland zu verbringen. Wie Schweizer Medien berichteten, steht Weidels Name an einem Briefkasten eines Mehrfamilienhauses in der Innenstadt. Unserer Zeitung gegenüber bestätigte Weidel, dass sie in Biel in der Schweiz und in Überlingen am Bodensee lebt. Weidel: „Das ist nicht verboten.“ Der Schweizer „Tagesanzeiger“ erkennt in Weidels Wohnsitz Biel hingegen „eine gewisse Ironie“: „Obwohl sie zuletzt ihre öffentliche Islamkritik mehr und mehr verschärfte, wohnt sie – zumindest zeitweise – ausgerechnet in der Schweizer Stadt mit dem höchsten Anteil an Muslimen.“

Genau genommen hat Weidel zwei Wohnorte. In Überlingen ist sie mit Hauptwohnsitz gemeldet. Mit einem weiteren Wohnsitz ist sie in Biel in der Schweiz gemeldet, wie die dortige Stadtverwaltung gegenüber der Berner Zeitung bestätigte. Weidels Lebensgefährtin ist Schweizerin, gemeinsam haben die beiden Frauen zwei Kinder. Ob sie oder ihre Lebensgefährtin die Mutter der Kinder sei, wolle sie nicht sagen, so Alice Weidel gegenüber der SÜDKURIER-Redaktion. Auch das Alter der Kinder nennt sie mit Verweis auf Sicherheitsgründe nicht: „Dann könnte man einschätzen, wie groß sie sind.“ Doch der „Tagesanzeiger“ schilderte längst detailliert, dass die beiden Buben Weidels und ihrer Lebenspartnerin die staatliche Kindertagesstätte besuchen und dort von der AfD-Politikerin bisweilen abgeholt werden. Weidel spricht davon, dass es "aus Sicherheitsgründen" nötig sei, dass die Kinder dort wohnen. Sie sieht sich mittlerweile als gefährdete Person. "Ich bekomme Polizeischutz", erwähnt sie am Donnerstag bei einem Gespräch in der Innenstadt von Überlingen. Sie ist gerade auf dem Weg ins Kino. Gemeinsam mit zwei Jugendlichen, die sie als ihre Neffen vorstellt, schaut sie den Science Fiction Film "Guardians of the Galaxy Vol. 2" an. Wie zum Beweis dafür, dass sie in Überlingen nicht nur gemeldet ist, sondern auch lebt, lässt sie sich vor dem Kino in der Innenstadt ablichten. In Überlingen tritt die 38-Jährige – abgesehen vom Landtagswahlkampf 2015 – öffentlich sonst nicht in Erscheinung.

In den sozialen Medien schlug die Nachricht ebenfalls ein. Dort fielen die Kommentare wenig schmeichelhaft aus. Helmut Metzner, Pressesprecher der Berliner FDP, fragt süffisant: „Lässt es sich dort besser über den ‚Verfall‘ der Bundesrepublik klagen?“ Andere rätseln: „Dürfen Abgeordnete des deutschen Bundestages im Ausland wohnen?“ Die Rechtslage scheint da ziemlich klar: Wählbar für den Deutschen Bundestag sind alle volljährigen Deutschen, unabhängig von ihrem Wohnort. Ein Kommentator deutet steuerliche Gründe an: „Als ehemalige Goldman-Sachs-Mitarbeiterin wird sie schon genau wissen, warum sie einen Wohnsitz in der Schweiz hat…“. Steuerflucht, wie hier unterstellt wird, ist hingegen gar nicht möglich. Nach Auskunft eines Steuerberaters unserer Redaktion gegenüber wird ein Bürger, der mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet ist, steuerlich auch hier veranlagt. Gegebenenfalls werde die im Ausland bezahlte Steuer angerechnet, dann aber gemäß den deutschen Steuersätzen nachberechnet.

Der Fall beschäftigt trotzdem. Für die Landesvorsitzende der Grünen, Sandra Detzer, zeigt sich: „Alice Weidel ist die personifizierte Scheinheiligkeit. Die AfD-Frontfrau lebt ein Leben, das es nach dem Weltbild ihrer Partei in Zukunft nicht mehr geben soll: Die AfD fordert Vaterlandsliebe, ein Europa der geschlossenen Grenzen und die traditionelle Familie als Lebensform. Die selbst ernannte Patriotin und ehemalige Hedge-Fonds-Managerin Weidel genießt aber einen Wohnort in der Schweiz und die grüne Errungenschaft der eingetragenen Lebenspartnerschaft.“ Damit nehme Weidel für sich in Anspruch, was sie und ihre Partei anderen verwehren wolle.

Was sagen die Wähler?

Ob es die Wähler der AfD stört? Der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith hat seine Zweifel. "Es ist in der Tat ungewöhnlich und angesichts der nationalen Töne dieser Partei und ihrer Spitzenkandidatin auch verwunderlich, dass Frau Weidel wohl auch in der Schweiz – und zwar keineswegs grenznah – beheimatet ist", sagt er. "Die treuesten Anhängern der AfD wird dies derzeit aber wohl eher nicht besonders stören, da innerhalb dieser Partei kaum jemand Interesse an weiteren Auseinandersetzungen in der Parteispitze und der Demontage einer weiteren Führungspersönlichkeit haben dürfte." Anders sehe es beim politischen Gegner aus. "Da ist Frau Weidel argumentativ sehr in der Defensive und für viele auch unglaubwürdig."

Stabile Werte

Knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl verbessert sich die AfD im Wahltrend von Forsa um einen Punkt auf neun Prozent und wäre damit wieder drittstärkste Kraft. Die monatliche Allensbach-Umfrage sieht die AfD dagegen unverändert bei sieben Prozent. Die auf dem Kölner Bundesparteitag nominierten AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland und Alice Weidel sind den meisten Bundesbürgern nicht bekannt. Eine Forsa-Umfrage unter 502 Wahlberechtigten ergab, dass 21 Prozent der Befragten Gauland kennen, aber nur ein Prozent dessen Kollegin Weidel. (dpa)

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