Herr Professor Fackler, warum sammelt der Mensch?
Die Frage klingt so richtig einfach und ist richtig schwer. Der Mensch als Jäger und Sammler – der Spruch kommt ja nicht von ungefähr. Es ist ein menschliches Phänomen, dass man sammelt. Ganz zu Beginn der Menschheitsgeschichte natürlich Nahrung. In der Antike, in Griechenland und Ägypten, beginnt es dann, dass Sammlungen entstehen. Im Totenkult zum Beispiel werden Grabbeigaben angesammelt. Sammeln ist also ein uraltes Phänomen, zeiten- und kulturenübergreifend. Entsprechend vielfältig sind die Antworten. Warum sammelt man? Da gibt es viele Theorien aus dem philosophischen, psychologischen, pädagogischen Bereich. Im Laufe des Lebens kann sich das verändern.
Kinder sammeln Kastanien, einfach so. Und die Älteren?
Alles! Es gibt für alles Museen. Und alles wird gesammelt. Zur Frage warum? Was beim Sammeln sicher eine Rolle spielt: Dass man sich mit seiner Vergänglichkeit auseinandersetzt. Kinder machen das sicher nicht bewusst. Aber wenn es darum geht, Erinnerungen und Erlebnisse festzuhalten, etwas mitzunehmen, einzusammeln, zu bewahren – da setzt man sich auch mit sich selbst auseinander, mit dem, was war. Und man konstruiert vielleicht auch so etwas wie eine eigene Geschichte, wenn man bestimmte Dinge aufhebt oder nicht aufhebt. Das sieht man ja auch an Souvenirs: Wer bin ich? Wo war ich? Da geht es um Erinnerungen, aber auch um eine Form von Selbstdarstellung. Wie repräsentiere ich mich über Dinge, die ich angesammelt habe?
Sammeln Sie selber?
Das war klar, dass diese Frage kommt. Ich wollte früher Saxofonist werden und habe relativ schnell kapiert, dass das nichts wird, dass ich dafür nicht versiert genug bin. Dafür habe ich begonnen, Miniatur-Saxofone und kleine Scherz-Saxofone zu sammeln.
Sammeln als Ersatz?
Eher Sammeln aus ästhetischem Interesse an dem Instrument. Weil ich finanziell nicht in der Lage bin, Originalinstrumente zu sammeln, stellt das eine Form von Kompensation dar: Ich gehe vom Großen ins Kleine und sammle Miniatur-Saxofone. Für mich hat das Sammeln aber an Reiz verloren, als sich meine Leidenschaft für Saxofone immer mehr rumgesprochen hat und ich sie geschenkt bekommen habe. Aufblasbare Saxofone und so. Da wären wir bei einem anderen wichtigen Sammelmotiv: Jagdfieber! Da bin ich ein Beispiel dafür. Die Spaß-Saxofone haben mich überhaupt nicht mehr interessiert, wenn ich sie nicht mehr selbst finden konnte und ihnen nicht selbst hinterhergejagt bin. Ich habe auch viele Schallplatten zu Hause. Mit der Streaming-Welt ist es für mich nicht mehr spannend, Schallplatten zu sammeln.
Waren Sie Flohmarkt-Jäger? Zufallssammler?
Zumindest habe ich bei den Dingen, die ich gesammelt habe, darauf geachtet, dass es nicht zum Exzess werden sollte. Den Perfektionismus, den Zwang, der sich durch den Jagdtrieb entwickelt, hatte ich nie. Aber ich glaube, dass es relativ viele zwanghafte Sammler gibt. Wir wissen ja nicht, was sich hinter Wohnungstüren verbirgt. Es ist ja auch die Frage: Wann bin ich Sammler? Wie viele Sammelstücke braucht es dafür? Fünf? Oder 500? Müssen die Stücke etwas wert sein? Da gibt es alle Varianten.
Ein Kollege sammelt Schwimmstifte.
Er hat 100.
Das ist doch schon was. Wie hat seine Sammlung begonnen? Weshalb interessieren ihn gerade Kugelschreiber, in denen etwas schwimmt? Wenn man noch auf die Motive schaut, weshalb man sammelt: Man grenzt sich von anderen ab, ist extrem spezialisiert in einem Bereich und hat ein Expertenwissen. Man findet andererseits eine Gemeinschaft, die auch Nähe bringt: Unter Sammlern ist man in einem Kreis von Gleichgesinnten, das ist gemeinschaftsbildend. Trotz Konkurrenz.
Profitiert die Wissenschaft, die Fachwelt von Hobbysammlern?
Das Museum ist immer davon ausgegangen: Wir haben eine Sammlung, hier sitzen die Experten dafür. Aber unsere Warenwelt vervielfältigt sich ja unendlich seit Beginn der Massenproduktion. Man geht heute davon aus, dass jeder von uns mehrere Zehntausend Gegenstände besitzt. In früheren Kulturen waren es ein paar Hundert Gegenstände über ein ganzes Leben, wenn überhaupt. Also wo soll das Expertentum heute herkommen? Museen sind daher vermehrt auf das differenzierte Wissen von außerhalb angewiesen, wenn sie spezielle Sammlungen haben.
Es gibt also viele Sammelmotive: eigene Geschichte, Ästhetik, Jagdfieber, Gemeinschaft, Spezialwissen.
Das Ordnen ist beim Sammeln auch ein wichtiger Aspekt: Einen gewissen Bereich meines Lebens habe ich im Griff, weil ich ihn systematisieren kann. Und bewahren und pflegen. Das ist ein starkes Motiv.
Dann ist die Frage: Sammle ich nur für mich? Oder zeige ich meine Sammlung anderen – vielleicht in einem Privatmuseum?
Das Repräsentationsbedürfnis spielt eine Rolle, sicher. Denn ich glaube schon, dass der Sammler die Dinge auch zeigen möchte. Alle denken, man spinnt, aber man hat ja beispielsweise die größte Lady-Di-Sammlung Deutschlands oder die gigantische Überraschungsei-Kollektion! Das Alleinstellungsmerkmal und das Hervorheben und Abgrenzen funktionieren nur, wenn ich mit meiner Sammlung an die Öffentlichkeit gehe. Die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen hat eine Liste, wie viele Museen es in Unterfranken gibt. Wir haben nach einer Umfrage gemerkt, dass wir den Begriff offener und weiter machen wollen. Also auch mit der Bierseidel-Sammlung, die z. B. alle drei Monate mal sonntags für zwei Stunden öffnet. Da kamen rund 200 Museen und Sammlungen zusammen. In Prichsenstadt gibt es ein Fossilien- und Mineralienmuseum: Die Fossiliensammlung Hans Klein ist in der Wohnung des Sammlers zugänglich. Und da Museum kein geschützter Begriff ist, wird er auch gerne benutzt, wenn private Sammlungen öffentlich zugänglich gemacht werden.
Wann ist ein Museum ein Museum? Wenn es sammelt?
Natürlich! Die Frage geht aber noch weiter: Was soll ein Museum heute sammeln? Was aus der Alltagskultur? Ist das Handy wirklich wichtig? Oder sind es nicht vielmehr die Geschichten „in“ diesem Handy? Die Fotos, Chats und so weiter, die mehr über diesen Gegenstand erzählen als das Handy an sich. Da sind wir schnell im Bereich des Immateriellen. Der Umgang mit den Dingen hat sich da in Museen auch verändert: Früher hätte man sich am Materiellen abgearbeitet und den Gegenstand beschrieben und analysiert. Wer hat ihn produziert, aus welchem Material besteht er, wie ist er stilistisch, ästhetisch zu bewerten? Inzwischen rückt bei kulturgeschichtlichen Museen die Frage in den Vordergrund, was die Dinge für die Menschen bedeuten. Es geht von der Geschichte des Objekts weg zur Geschichte und den Geschichten hinter dem Objekt.
Zur Person
Guido Fackler, Jahrgang 1963, studierte in Freiburg Volkskunde,
Musikwissenschaft und Ethnologie. Heute hat er an der Universität Würzburg die Professur für Museologie und materielle Kultur inne. Er befasste sich unter anderem mit der Bedeutung von Musik für die Insassen der NS-Konzen-trationslager, u.a. über Jazz im KZ
Theresienstadt. Zu seinen Themen gehören auch Jugendkultur, Urbanität sowie Gedenkstättenarbeit. (an/bea)