Herr Hohenhaus, wann waren Sie das erste Mal als Dark Tourist unterwegs?
Irgendwie war ich schon immer ein "Dark Tourist" – und das noch bevor ich überhaupt auf den Begriff gestoßen bin. Erst 2007 hatte ich von Dark Tourism gehört – zu dem Zeitpunkt war ich schon in Tschernobyl gewesen. Auch Nordkorea, Robben Island und mehrere KZ-Gedenkstätten hatte ich da schon besucht. Ab 2008 habe ich meine Reisen speziell darauf ausgerichtet, möglichst viele Dark Tourism-Ziele zu besuchen, auch um diese auf meiner Website vorzustellen.

Was fasziniert Sie so sehr an diesen dunklen Orten?
Die Faszination kann ganz unterschiedlicher Natur sein, das kommt sehr auf den Ort an. Für mich persönlich sind Orte faszinierend, die mit dem Thema Kalter Krieg zu tun haben. Das hat mit meiner persönlichen Biografie zu tun: Anfang der 80er Jahre wurde ich erwachsen und fing an, mich politisch zu interessieren.

Das war genau zur Zeit des NATO-Doppelbeschlusses – eine der gefährlichsten Phasen unserer Zeit. Auch die Orte der Nazizeit und des Zweiten Weltkriegs haben für mich persönlichen Bezug, nicht zuletzt, weil meine Eltern Vertriebene aus Ostpreußen sind.
Geht es dem "Dark Tourist" also vor allem um geschichtliches Interesse?
Generell interessieren mich immer solche Orte, über die und von denen man besonders viel lernen kann. Und darum geht es meiner Auffassung nach am meisten im Dark Tourism: das Dunkle zu erhellen, zu versuchen, es zu verstehen.

So waren meine Reisen nach Ruanda oder Ost-Timor besonders erhellend, weil beide Länder dunkle Kapitel in ihrer Geschichte haben, die im Westen wenig Beachtung in den Medien fanden.

Was zieht Menschen sonst an dunkle Orte – vom historischen Faible abgesehen?
"Dark Tourists" sind in ihren Interessen sehr unterschiedlich – und sie können sehr verschiedene Interessen haben. Für meine Website habe ich auch Orte besucht, die mich geschichtlich etwas weniger bewegen. Es ist auch so, dass viele dunkle Orte einfach ungemein fotogen sind – gerade, wenn man wie ich die Ästhetik des Verfalls zu schätzen weiß. Ein Beispiel dafür ist Tschernobyl – für mich der faszinierendste aller Orte. Er bietet uns darüber hinaus eine einzigartige doppelte Zeitreise, und zwar geht es gleichzeitig zurück in die sowjetische Zeit und vorwärts in eine post-zivilisatorische Zukunft.

Beschleicht Sie ein schlechtes Gewissen, als "Dark Tourist" Orte zu besuchen, wo andere Leid erfuhren?
Der Vorwurf des Voyeurismus gilt für den größten Teil von Dark Tourism nicht, weil es um Vergangenes geht und niemand mehr da ist, der sich voyeuristisch betrachtet fühlen könnte. Das wäre eher bei "Slum Tourismus" der Fall, den ich genau deshalb ablehne. Bei geschichtlich dunklen Reisezielen, an denen es Menschen schlecht ging, ist der Besuch weniger ein Grund für schlechtes Gewissen als es das Ignorieren wäre. Es mag emotional anstrengend sein, aber dass ich mich dafür moralisch rechtfertigen müsste, sehe ich nicht.

Ist Dark Tourism eher Individualtourismus – oder kann man bei Reiseanbietern buchen?
Ich kenne keinen Reiseanbieter, der explizit mit dem Begriff wirbt oder entsprechende Reisepaket-Angebote zur Buchung anbietet. Es gibt ein paar Nischen, in denen der Begriff mal am Rande fällt, aber in der Tourismusbranche wird er kaum verwendet.

Was muss ich als Einsteiger im "Dark Tourism" beachten, um sicher zu reisen?
"Danger Tourism" (Gefahrentourismus) ist prinzipiell etwas anderes als "Dark Tourism", mit allenfalls einem kleinen Überlappungsbereich. Ich selber begebe mich nie gezielt in Gefahr, abgesehen von dem sehr gut kalkulierbaren und eher geringen Risiko der Strahlenbelastung an Orten wie Tschernobyl oder Fukushima. Die größte Gefahr geht bei meinen Reisen eher von den Verkehrsmitteln aus – in manchen Ländern ist ja allein schon der Autoverkehr abenteuerlich.

Wie hat sich das Phänomen des „Dark Tourism“ in den letzten Jahren entwickelt?
Ich habe den Eindruck, dass es stark zugenommen hat. Allerdings ist das statistisch nur punktuell nachweisbar. Im Fall von Tschernobyl braucht man eine offizielle Genehmigung, sodass Besucherzahlen erfasst werden. Deshalb weiß man, dass die Besucherzahlen in den letzten zehn Jahren um ein vielfaches angestiegen sind. Im vergangenen Jahr waren etwa 60.000 Besucher dort.

Zur Person
Peter Hohenhaus (56, im Bild auf Spitzbergen zu sehen) befasst sich seit 2008 mit dem Phänomen des "Dark Tourism" und berichtet seit 2010 auf seinem Reiseblog http://www.dark-tourism.com über düstere Orte weltweit. Er teilt Erfahrungen von fast 900 Orten in 112 verschiedenen Ländern mit Interessierten. Zudem gibt er Ratschläge, wie sich Touristen in "Dark Destinations" am besten verhalten. Derzeit schreibt er an einem Buch über den Reise-Trend.