Die Menschen im Hegau schlafen am Donnerstagmorgen noch tief und fest, als gut 5000 Meter unter ihnen die Erde rumort. Wieder einmal, wie in den vergangenen Tagen und Wochen schon mehrfach. Um kurz vor fünf Uhr schieben sich Gesteinsschichten tief im Erdinnern gegeneinander, lösen ein Beben der Stärke 1,3 auf der Richterskala aus. Oben, im hügeligen Hegau, schlummern die Bürger weiter. Auch, als kurz vor halb sieben Uhr ein zweites Mal ein Ruck durch die Erde geht, bei dem die Messgeräte den Wert 0,7 festhalten. Doch dann, um 6.48 Uhr, schreckt der ganze Hegau plötzlich auf. Ein lauter Knall durchfegt die eiskalte Herbstluft, ein Stoß, ein heftiger Rumms weckt viele Menschen morgens in ihren Betten. Ganze Häuser beginnen für kurze Augenblicke zu zittern. Der unheimliche Moment dauert nur wenige Sekunden, doch viele spüren, dass da etwas passiert ist, was nicht normal war. Manche laufen auf die Straße, um nachzusehen, was da gerade eben geschah. Ein heftiger Unfall auf der Straße? Ein Schrank im Nebenzimmer umgefallen? Kinder aus dem Bett gefallen? Hilzingens Bürgermeister Rupert Metzler steht gerade im Bad: „Da wackelte auf einmal das Deo im Regal“, schildert er seine Schrecksekunde.

Auf dieser Karte kann man sehen, wo in der SÜDKURIER-Region die meisten Erdbeben sind.
Auf dieser Karte kann man sehen, wo in der SÜDKURIER-Region die meisten Erdbeben sind.

Bei der Polizei in den Hegauorten gehen kurz vor sieben Uhr die ersten Anrufe besorgter Bürger ein, berichtet später Polizeisprecher Markus Sauter. Doch auch die Ordnungshüter können anfangs nur vermuten, was da los war. Eine Explosion jedenfalls nicht, wie viele Anrufer mutmaßen, nach dem ungewöhnlichen, lauten Knall. Rasch wird deutlich, dass es ein Erdbeben gewesen sein muss. Solche sind im Hegau jedoch in dieser Stärke selten. Auch wenn die Vulkankegel fest zum Landschaftsbild der Region am Bodensee gehören, wackelt hier nur alle paar Jahrzehnte die Erde. Der letzte stärkere Stoß wurde vor mehr als 20 Jahren im Raum Gottmadingen registriert.

Beim Landeserdbebendienst Baden-Württemberg in Freiburg meldet der automatische Sensor nach wenigen Minuten tatsächlich ein Beben der Stärke 2,9 auf der Richterskala, mit dem Hegau-Ort Hilzingen als Epizentrum. Das ist nicht ganz wenig, zählt aber noch zu den „schwachen Erdbeben“, erklärt Wolfgang Brüstle, der Erdbeben-Fachmann der Landesbehörde. Eine genauere Auswertung ergibt dort dann kurz darauf den Wert von 3,0. Über die sozialen Netzwerke verbreitet sich die Nachricht vom Beben fast so schnell wie neuerliche Schallwellen im Erdinnern. Kurz nach dem mächtigen Erdstoß rumpelt es fünf Kilometer tief erneut und mehrfach, allerdings wieder deutlich schwächer. „Das ist eine Serie“, weiß Fachmann Wolfgang Brüstle. Für Baden-Württemberg sei dies zwar „nicht alltäglich, aber auch nicht wirklich außergewöhnlich“. Es könnten in der nächsten Zeit noch weitere Beben folgen. Wie schwer? „Das lässt sich nicht vorhersagen“, erklärt Brüstle.

Das Beben ist zwischenzeitlich Gesprächsstoff Nummer eins. Nicht alle Bürger haben es gespürt, nur im Umkreis von gut zehn Kilometern war es bemerkbar. Hilzingens Bürgermeister Metzler ist nach dem ersten Schreck erleichtert: „Wir haben keine Schäden bei uns im Ort“, berichtet er. Plötzlich wird aber vielen klar, dass Erdbebenschutz wichtig ist. Singens Sparkasse etwa investierte kürzlich rund 400 000 Euro in stabilere Wände, als sie ihre Bankzentrale umbaute. Bestärkt sehen sich die Hegauer auch, was ein mögliches Atom-Endlager in ihrer Region betrifft. Das war mal grundsätzlich denkbar und in der bundesweiten Diskussion, ist nun nach neuen Vorgaben aber unmöglich geworden: Der Hegau scheidet als Endlager aus, denn er ist erdbebengefährdet. Seit Donnerstag wissen die Hegauer dies nun ganz genau.

Die Aufnahme zeigt das grenznahe Schweizer Atomkraftwerk Leibstadt am Hochrhein (Bild vom 30.03.2005). Seit Jahrzehnten bündelt das ...
Die Aufnahme zeigt das grenznahe Schweizer Atomkraftwerk Leibstadt am Hochrhein (Bild vom 30.03.2005). Seit Jahrzehnten bündelt das Nachbarland seine nuklearen Anlagen entlang der deutschen Grenze. Kritik an der Sicherheit der alten Meiler gibt es immer wieder. | Bild: Patrick Seeger (dpa)

Erdbeben in der Region

  • Basel, 18. Oktober 1356: Ein Erdbeben in der Schweiz der Stärke 6,2 bis 6,9 erschüttert Basel. Bis zu 3000 Menschen kommen ums Leben.
  • Albstadt-Ebingen, 16. November 1911: Die Erde zittert bei Albstadt-Eblingen. In Konstanz stürzte die Spitze des Münsterturmes herab, ebenso die Statue auf dem Reichspostgebäude.
  • Taiflingen, 3. September 1978: Beben in 6 Kilometer Tiefe bei Tailfingen (Schwäbische Alb), dabei wurde die Hohenzollernburg beschädigt.
  • Lörrach, 5. Mai 2009: Nordöstlich von Lörrach bebte die Erde, Schwingungen bis nach Frankreich.
    (sk)

Starke Beben in der Region sind möglich, aber selten

Wolfgang Brüstle, Erdbebenforscher aus Freiburg, spricht mit dem SÜDKURIER, über die Ursachen und Gefahren von Beben in der Region

  1. Vor wenigen Tagen bebte die Erde in Italien, nun kommt es in Hilzingen zu Erschütterungen. Besteht da ein Zusammenhang? Ein Zusammenhang zwischen den beiden Beben besteht laut Brüstle mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. „Das Erdbeben in Italien war über 600 Kilometer entfernt, das ist eine sehr große Strecke“, erklärt der Experte.
  2. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Beben und den Hegau-Vulkanen? Auch dies ist laut Brüstle eher unwahrscheinlich. „Denn die Vulkane sind seit langer Zeit erloschen.“ Ganz auszuschließen sei es jedoch nicht. „Da das Epizentrum nahe am Hohentwiel liegt, werden wir das in nächster Zeit genau beobachten“, sagt der Experte.
  3. Wie häufig bebt die Erde im Südwesten eigentlich? „Das Beben mit Epizentrum in Hilzingen und Stärke 3,0 auf der Richterskala war nicht alltäglich, aber auch nichts Außergewöhnliches“, erklärt Brüstle. Sehr kleine – nicht oder kaum noch wahrnehmbare – Erdbeben würden sogar fast täglich gemessen.
  4. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Region bald zu einem starken Beben kommt? Etwa einmal in zehn Jahren sei mit einem mittelstarken Erdbeben zu rechnen, das Gebäudeschäden und Betriebsstörungen verursachen kann, so Brüstle.
    Auch starke Erdbeben mit katastrophalen Auswirkungen seien in Baden-Württemberg zwar selten, aber nicht ausgeschlossen und im Prinzip jederzeit möglich.
  5. Baden-Württemberg zählt zu den aktivsten Erdbeben-Regionen in Deutschland. Warum eigentlich? Die tektonischen Spannungen resultieren laut Brüstle im Wesentlichen aus der Kollision der afrikanischen und der eurasischen Kontinentalplatte. Der Oberrheingraben als tektonische Schwächezone sei mit seinen Randgebieten eine Region, in der sich die Spannungen bevorzugt entladen können.
  6. Wie groß ist die Gefahr durch Atomkraftwerke oder mögliche Atommüll-Endlager in der Nord-Schweiz im Fall eines starken Bebens? Laut Brüstle, stellte das Erdbeben bei Hilzingen für Atomkraftwerke an der Schweizer Grenze keine Gefahr dar. Dies bestätigt auch Markus Fritschi, Mitglied der Geschäftsleitung der nationalen Genossenschaft zur Lagerung radioaktiver Abfälle. Zumindest Oberflächenbauten seien in der Nordschweiz ausreichend sicher, da der gefährdete Hegau-Bodensee-Graben und der tektonisch ruhigen Nordschweizscharf getrennt sind. Die Sicherheit von Bauten, die unter Tage liegen (wie zum Beispiel Atomendlager), seien anders zu bewerten .
  7. Wie sollten Häuser bei uns beschaffensein, um einem Erdbeben standzuhalten? Der Standort des Gebäudes entscheidet über die Anforderungen zur Erdbebensicherheit, erklärt Brüstle. „Die dabei zu berücksichtigende Erdbebengefährdung ist für Baden-Württemberg in einer Karte der Erdbebenzonen festgelegt.“ (sk)