Herr Guenther, Sie verbringen im Sommer gern Zeit in Ihrer alten Heimat Konstanz. Was machen Sie, wenn Sie am Bodensee sind?

Ich bin ja nicht so der Bade-Typ. Aber ich habe das große Glück, Freunde zu haben, die ein Boot besitzen – ich mag es, auf den See rauszufahren und dort ins Wasser zu springen. Das ist ein Traum, wenn man mitten auf dem See ist. Perfekt. Und sonst bin ich in der Rheinterrasse –wenn man Glück hat, trifft man mich, wie ich da gerade Milchkaffee mache.

Im Ernst?

Tatsache!

Warum das?

Weil ich Lust darauf habe. Wenn ich in Konstanz bin, muss ich einfach etwas anderes machen. Es tut immer mal wieder gut, etwas Abstand zur Filmwelt zu bekommen – mal komplett abzuschalten. Für mich bedeutet Konstanz auch immer, wieder ein Stück weit geerdet zu werden, wenn man das so sagen kann. Die Rheinterrasse gehört einem meiner besten Freunde, da stelle ich mich tagsüber gern ein paar Stunden hin und mache Milchkaffee oder Weinschorle. Die Leute freuen sich und sind überrascht, wenn sie ihre Getränke vom Polizeiruf-Kommissar serviert bekommen.

Sie sind gebürtiger Österreicher, sind aber in Konstanz aufgewachsen. Stecken trotzdem noch österreichische Wurzeln in Ihnen?

Ich glaube, in mir steckt sowohl das Österreichische – ich liebe Wiener Schnitzel –, als auch das Deutsche – Rinderroulade und Spätzle. (lacht) So einen richtigen Nationalgedanken habe ich allerdings irgendwie gar nicht. Ich fühle mich immer da wohl, wo ich gerade bin. Wenn ich in Ungarn drehe, fühle ich mich in Ungarn wohl. Wenn ich in der Tschechei drehe, fühle ich mich dort wohl. Und wenn ich in Österreich drehe, fühle ich mich in Österreich wohl. Ich freue mich, dass ich so viel von der Welt sehen darf. Auch auf die Gefahr hin, dass sich das blöd anhört: Ich fühle mich irgendwie als Weltbürger.

Oder als Bodensee-Kind?

Ja, das bin ich natürlich! (lacht) Das ist meine Heimat – und ein verdammt schöner Platz. Das Lebensgefühl hier ist toll. Und man hat so unglaublich kurze Wege. Man kann abends sagen: „Komm, wir treffen uns in zehn Minuten!“ Das geht in Berlin nicht, da braucht man immer mindestens eine Stunde. Der Bodensee ist mein Zuhause – interessanterweise immer mehr, je älter ich werde. Früher war es ganz anders – je weiter ich weg war, umso besser habe ich mich gefühlt. Inzwischen habe ich unglaublich oft die Sehnsucht, hier zu sein. Vielleicht ziehe ich doch eines Tages wieder nach Konstanz.

Wann kam denn dieses Sehnsuchtsgefühl auf?

Vor drei Jahren.

Erst?

Das war, als ich 40 geworden bin. Zu der Zeit war ich öfter am See. Und man könnte es ganz dekadent sagen: Für mich ist das hier ein leichtfüßiges Leben, ein problemloses Leben. Ich kann alles vergessen, meine Rollen, den Stress, das ist alles weg, sobald ich hier bin – es ist wie ein anderes Leben. Das liegt natürlich auch daran, weil Konstanz für mich Urlaub bedeutet. Das wäre sicher anders, wenn ich hier leben würde, dann hätte mich der Stress gleich wieder in seinem Bann!

Wäre es für Sie tatsächlich eine Option, wieder in den Süden zu ziehen?

Ja, auf jeden Fall!

Dann wäre es wahrscheinlich nicht mehr so einfach, zu den verschiedenen Drehorten zu kommen, oder?

Warum? Ob ich jetzt von Berlin nach Köln fliege oder von Stuttgart oder Zürich, ist eigentlich egal. Ich glaube, beruflich würde ein Umzug nichts ändern. Aber auf Dauer würde ich Berlin wahrscheinlich dann doch extrem vermissen. Das ist eine so unfassbar lebendige und geile Stadt! Am besten wäre eine Kombination aus beidem. Aber um mir das leisten zu können, müsste ich echt wahnsinnig viel drehen – oder sehr viele Milchkaffees machen. (lacht)

Wie lange haben Sie in Konstanz gelebt?

Lange. Wir sind 1976 hergezogen und 1996 bin ich dann weggegangen. Ich habe meine gesamte Kindheit und Jugend hier verbracht. Manche Freundschaften von damals existieren immer noch. Und dann habe ich meine Fühler Richtung München ausgestreckt, habe ein bisschen hinter der Kamera gearbeitet und dann das Glück gehabt, dass ein Regie-Assistent (Markus Herling) gesagt hat: „Du hast ein ganz interessantes Gesicht, dich muss ich mal besetzen.“ Und dann ging es so langsam los.

Und Konstanz war dann kein Thema mehr?

Doch! Als ich nach München gegangen bin, hatte ich überhaupt keine Kohle. Ich hatte vielleicht ein paar Drehtage im Jahr, deshalb bin ich noch oft zurückgekommen und habe in Konstanz im Theater-Café gearbeitet. Zu der Zeit habe ich auch die Jungs kennengelernt, mit denen ich heute immer noch befreundet bin. Das sind Leute, die mich immer wieder erden, denen ich vertraue und die mich so kennen, wie ich bin. Wenn ich mal etwas zu viel Eitelkeit an den Tag lege, holen mich die Jungs ganz schnell wieder runter. (lacht)

Fällt es Ihnen leicht, den Kontakt zu halten? Bei der Entfernung und dem stressigen Job?

Da bin ich treu. Was mir nicht so leicht fällt, ist es, neue Freundschaften einzugehen. Da bin ich eher vorsichtig.

Wie sind Sie denn überhaupt Schauspieler geworden?

Tja … Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, wie ich das machen soll – ich wusste bloß, dass ich unbedingt Schauspieler werden wollte. Und dann hat der Bekannte eines Bekannten gerade einen Kurzfilm gemacht – und dann ging’s los.

Und dann waren Sie weg aus Konstanz?

Nein, ich bin noch ein paar Jahre gependelt, wie gesagt, weil ich am Wochenende in Konstanz gearbeitet habe, um Geld zu verdienen. In München habe ich neben der Schauspielerei auch gearbeitet – ich habe Autos geputzt, als Möbelpacker gearbeitet … Ich habe alle Jobs gemacht, die ich kriegen konnte, um meine Schauspiel-Workshops und meinen Sprachunterricht zu bezahlen. Gedreht habe ich damals nicht wirklich viel. Bevor das mit der Schauspielerei so richtig losging, habe ich auch noch hinter der Kamera gejobbt.

Klingt, als wäre es ein hartes Stück Arbeit gewesen …

In die Branche reinzukommen, das ist nicht einfach. Man braucht einen starken Glauben an sich selbst, einen langen Atem und viel Geduld. Und man braucht natürlich Leute, die dich unterstützen und an dich glauben. Die sagen: „Pass auf, lass uns das mal probieren!“ So habe ich meinen ersten Kurzfilm bekommen, den hat dann der Regisseur Stefan Ruzowitzky gesehen. Er hat mich angerufen und gesagt: „Hey, ich fand dich toll. Ich habe hier eine kleine Rolle in ,Anatomie‘. Hast du nicht Bock, das zu machen?“ Und so ging es dann los … Bald hatte ich in der Reihe „Jenny Berlin“ meine erste Hauptrolle. Man muss auch Glück haben – und ich hatte Glück.

Wie viel Anteil hat das Glück an Ihrer Karriere?

Oh, das ist schwer zu sagen. Ich glaube, das wichtigste ist harte Arbeit, man muss perfekt auf seine Rollen vorbereitet sein und seinen Job von Herzen lieben und ausüben! Fast jede Rolle, die ich spiele, erarbeite ich im Vorfeld mit einem Coach. Das mache ich selbst beim Polizeiruf – um wachzubleiben und nicht in eine Eindimensionalität zu geraten … Wenn man eine Figur über längere Zeit spielt, kann die Gefahr bestehen, dass man faul wird, dass man glaubt, man kann es. Um auf die Frage zurückzukommen: Glück, Talent und Arbeit sind in meinen Augen die drei wichtigen Baussteine – sie machen für mich gleich viel aus. Man muss auch ganz ehrlich sagen: Es muss einfach viel zusammenpassen, das richtige Drehbuch, die richtige Figur, der Sender, der Regisseur – man braucht also schon Glück. Beim Polizeiruf habe ich damals gedacht: „Wow, das ist eine Figur, die passt gut. Der bin ich nahe, die will ich spielen.“ Und dann hat wirklich alles gepasst. Das war einfach ein Geschenk.

Aber Sicherheit gibt es nicht?

Das ist schwierig. Es kann von heute auf morgen vorbei sein. Wenn der Sender sagt „Den Polizeiruf Rostock setzen wir jetzt ab!“, dann stehen wir alle blöd da. Es kann aber auch sein, dass es die nächsten fünf Jahre gut weiterläuft; das kommt auf die Quoten an. Vielleicht kommt irgendwann eine neue Reihe oder Serie. Das kann heute so sein und morgen so. Beständigkeit und Sicherheit gibt es in dem Job nicht wirklich. Also mache ich meine Arbeit, so gut ich kann, und hoffe, dass es den Menschen gefällt und Freude bereitet.

Stört Sie die fehlende Sicherheit?

Ach, absolute Sicherheit brauche ich nicht. Aber das ist schon ein ambivalentes Gefühl. Und je älter ich werde, desto mehr Gedanken mache ich mir natürlich. Mit 25 war mir das alles egal. Jetzt spukt mir der Gedanke an Absicherung im Alter schon im Kopf herum. Ich habe Glück und arbeite viel. Das ist ein Riesengeschenk, dafür bin ich extrem dankbar. Also auf Holz klopfen, dass es so weitergeht! Aber klar, wenn ich den Polizeiruf verlieren sollte, würde ich auch nicht mehr so locker sein. Dann bleibt immer noch die Rheinterrasse oder ein Job bei meinem guten Freund Christoph in der großartigen Firma Schwarz-Außenwerbung …

Ihre Karriere hat zuletzt noch einmal Fahrt aufgenommen – den Eindruck hat man als Zuschauer.

Bevor ich 2009 beim Polizeiruf angefangen habe, hatte ich hier mal einen Film, da mal eine Serienfolge und da mal einen Film. Ich hatte meine Drehtage, konnte aber keine wirklich großen Sprünge machen. Dass das Format so einschlägt, hat keiner gedacht. Es war ja auch ein Wagnis, die Geschichte der Kommissare in der Horizontalen zu erzählen, was es davor beim Tatort oder beim Polizeiruf so nicht gab. Die Figuren sind komplett konträr zueinander. Wirklich dreckig und schmutzig – der Schuss hätte auch nach hinten losgehen können. Aber Gott sei Dank haben uns sowohl die Zuschauer als auch die Kritiker mit offenen Armen empfangen. Und von Folge zu Folge lieben sie uns eigentlich noch mehr.

(lacht) Die unfassbar tolle Team-Arbeit und die große Liebe aller Beteiligten macht unsere Filme so besonders, glaube ich.

Der Polizeiruf ist schon sehr anders als der Tatort.

Was es genau ist, dass die Zuschauer so toll finden, kann ich gar nicht sagen. Aber irgendwie scheint uns da etwas gelungen zu sein. Die bisherigen Kritiken und die Quoten sprechen dafür.

Auch abgesehen vom Polizeiruf können Sie sich beruflich gerade nicht beklagen, oder?

Gott sei Dank, nein. Ich bin gut gebucht und habe wirklich viel Arbeit. Ich darf drehen – das ist immer die Hauptsache. Und es sind auch immer wieder echte Sahnestückchen dabei, dazu zähle ich auch den „Polizeiruf 110“. Jede Rolle ist eine neue Herausforderung. Egal, ob es ein Zweiteiler fürs ZDF ist oder eine Folge von „Alarm für Cobra 11“. Es ist dieselbe Arbeit. Ich muss meine Figuren mit Energie, mit Liebe, mit Glaubwürdigkeit füllen und ihnen Seele einhauchen. Das ist das, was ich liebe, und was ich am liebsten jeden Tag machen würde.

Beim Reden fällt auf, dass Sie gar keinen Dialekt haben. Oder haben Sie ihn doch?

Ja klar kann i Konschtanzerisch schwätza! Das kann ich schon, und das kommt auch immer durch, wenn ich am Bodensee bin.

Haben Sie eigentlich schon mal am Bodensee gedreht?

Leider nicht. Aber das würde ich schon wahnsinnig gerne mal machen! Beim Tatort hat es leider nie geklappt. Jetzt gibt es ja hier eine neue Serie, „Wasserschutzpolizei Bodensee“. Vielleicht klappt es da ja mal, ich hätte schon richtig Bock drauf, in meiner Heimat zu drehen.

Warum sind Sie eigentlich nach Berlin gegangen? Weil man es als Schauspieler dort leichter hat? Oder weil die Stadt einfach geil ist?

Ach, München war irgendwie einfach nie so meins. Irgendwie hat es gehakt, sage ich mal. Und dann hat ein guter Freund, mit dem ich meinen ersten Kurzfilm gedreht hatte, gesagt: „Weißt du was? Ich gehe jetzt mal nach Berlin.“ Ich habe dann hin und her überlegt, ob das auch was für mich wäre. Und wie es manchmal so ist, kam dann der Wink des Schicksals hinzu. Benno Fürmann rief mich an, den ich beim Dreh zu „Anatomie“ kennen gelernt hatte, und sagte: „Andy, ich ziehe aus meiner Wohnung aus, wenn du magst, kannst du sie haben!“ Da habe ich natürlich sofort zugesagt! Das war vor 17 Jahren – und ich wohne immer noch in Berlin! Allerdings nicht mehr in der „Rockerbude“ – so haben wir die Wohnung damals genannt. (lacht)

Haben Sie München kein bisschen vermisst?

Am Anfang schon ein bisschen. Ich hatte ja mittlerweile viele Menschen dort liebgewonnen, hatte mich da gerade eingerichtet. Klar war es nicht leicht, München zu verlassen, aber nach eineinhalb Jahren in Berlin war mir klar: Das ist die Stadt, in der ich leben will. Sie bewegt sich jeden Tag, auch wenn man nie weiß wohin. Ich meine das ernst: Berlin verändert sich ständig. Ich mache zwei Mal im Jahr eine dieser Sightseeing-Touren, um zu erfahren, was es Neues gibt. Und ich glaube, es gibt keine europäische Stadt, die so vielfältig ist. Das würde ich hundertprozentig vermissen, wenn ich dort weggehen würde.

In Berlin gibt es ja auch viele Gelegenheiten, über rote Teppiche zu gehen. Machen Sie das manchmal?

Ja, klar, das gehört zum Job, aber: Der rote Teppich stresst mich persönlich mehr als jeder Dreh. Ich schwitze dort Blut und Wasser. (lacht) das ist für mich wahnsinnig anstrengend. Überall sind Fotografen, an einem Tag läufst du dort lang und niemand ruft deinen Namen und du denkst: „Was ist denn nur los? Hab‘ ich irgendetwas Falsches an?“ Dann bist du beim nächsten Mal wieder dabei und du hörst plötzlich: „Andreas! Andreas!“ Man weiß einfach nie, was einen erwartet – so geht es jedenfalls mir.

Aber es gehört zum Geschäft, oder?

Ja, bei manchen Veranstaltungen sollte man einfach dabei sein. Ich überlege wirklich sehr genau, wo ich hingehe. Die Berlinale zum Beispiel, die ist Pflicht. Aber grundsätzlich bin ich nicht so der Rote-Teppich-Freak.

Haben Sie mal überlegt, wo Sie heute wären, wenn es mit der Schauspielerei nicht geklappt hätte?

Das ist eine interessante Frage.

Und die Antwort?

Ich hatte nie einen Plan B. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich habe immer gedacht, wenn ich mir einen Alternativplan zurechtlege, halte ich mir ein Hintertürchen offen und dann bin ich vielleicht nicht konsequent in meinen Gedanken, in meiner Leidenschaft. Deshalb habe ich gesagt: Ich mache das und ich werde das schaffen. Ich gehe diesen Weg, auch wenn er steinig ist und ich oft enttäuscht werde. Wenn man hinfällt, muss man halt wieder aufstehen – und das habe ich immer gemacht. Natürlich mache ich mir heute so meine Gedanken: Wie entwickelt sich unsere Branche? Wie verändert sich das Fernsehprogramm? Wie verändern sich die Zuschauer? Und da stellen sich natürlich auch Fragen wie: Gibt es eine Alternative zur Schauspielerei? Müsste ich mir darüber Gedanken machen?

Gibt es bei Ihren Figuren einen roten Faden? Irgendetwas, das alle verbindet?

Nein, das glaube ich nicht. Der rote Faden ist natürlich, dass die Figuren immer ein Stück von mir bekommen – und dass sie mir ein Stück von sich geben. Ich versuche, meine Figur kennenzulernen, und lasse umgekehrt die Figur auch mich kennenlernen. Bei „Alarm für Cobra 11“ habe ich zum Beispiel mal einen Auftragskiller gespielt. Das ist mir natürlich total fremd, also versuche ich zu ergründen, wie jemand zu so einem Menschen werden kann. Dahinter steckt ja immer eine Geschichte. Vorgefertigte Meinungen kann man da nicht brauchen, man muss offen sein. Dann wird eine Figur authentisch und lebendig. Ich muss meine Figuren verstehen und lieben – selbst wenn ich nichts mit ihnen gemeinsam habe. Das macht natürlich etwas mit einem.

Welche Rolle hat denn am meisten mit Ihnen gemacht?

Ich glaube, was bisher wirklich am aufregendsten und am spektakulärsten war, war der Dreh zu „Götz von Berlichingen“. Das war etwas, das ich vorher noch nie gemacht hatte und das es in Deutschland auch selten gibt. Da wurden Kindheitsträume wahr! Ich habe Reiten gelernt, Schwertkampf, habe gekämpft. Das war ein unvergessliches Abenteuer. Dass ich das machen durfte, war ein unglaubliches Geschenk. Auch wenn es harte Tage waren …Ich musste morgens um fünf Uhr aufstehen und war dann erst mal drei Stunden in der Maske. Dann wird bis abends gedreht, und das Abschminken dauert auch wieder zwei Stunden. Wenn man zweieinhalb Monate lang solche 18-Stunden-Tage hat, ist man danach komplett am Ende.

Gehen Sie eigentlich noch zu Castings, oder werden Ihnen die Rollen angeboten?

Das ist unterschiedlich. Es gibt inzwischen viele Produzenten, die direkt anfragen und mir Rollen anbieten. Viele bitten mich aber auch zum Casting, weil es ja oft auch darum geht, ob der Regisseur mit mir arbeiten kann. Und manchmal nehme ich mir das Recht heraus zu sagen: Lasst uns lieber ein Casting machen, weil ich sehen will, ob das alles auch für mich passt.

In einem Interview haben Sie mal gesagt, dass Sie von einer Rolle in einem richtigen Liebesfilm träumen. Hat sich da schon was getan?

Nein, noch nicht.

Aber den Traum haben Sie immer noch?

Ich habe zwei große Träume. Und ja, ich träume tatsächlich von einem wirklich schönen Liebesfilm – einem, der auf besondere Art von der Liebe erzählt. Ein Film, der mich total beeindruckt hat, war „Meet Joe Black“, auf so etwas hätte ich wirklich Lust. Und mein zweiter Wunsch wäre eine Serie. Ich liebe es, die Entwicklung einer Figur auf lange Sicht zu erzählen. Das gefällt mir auch bei Anton Pöschel, meiner Figur aus dem Polizeiruf. Es ist für mich als Schauspieler das Tollste überhaupt, eine Figur über eine lange Zeit zu erzählen. Wer weiß, vielleicht kommt bald das eine oder das andere auf mich zu …

Schauen Sie selbst denn gern Serien?

Ja, natürlich. Horizontal zu erzählen, das ist eine große Kunst, und die Amerikaner können das einfach. „Ray Donovan“ mag ich zum Beispiel oder „Lilyhammer“, natürlich „House of Cards“ und „Homeland“. Im Winter liebe ich es, zu Hause zu sein und einfach nur Serien zu schauen. Das ist herrlich!

Über Ihr Privatleben liest man fast gar nichts. Fragt keiner danach oder sagen Sie nur nichts dazu?

Wenn ich einmal etwas erzählt habe, dann sage ich nichts mehr dazu. Schließlich kann man das ja nachlesen. Ich habe einmal ein großes Interview gegeben, in dem es auch um meine Kindheit ging. Danach kamen ganz viele Interview-Anfragen, die ich alle abgelehnt habe – es wurde ja bereits alles gesagt.

Sie reden also gar nicht mehr darüber?

Ins Detail gehe ich nicht mehr, aber natürlich erzähle ich hin und wieder meine Geschichte. Dass ich aus sozial schwachen Verhältnissen komme, dass meine Eltern sich getrennt haben, dass mein Vater Alkoholiker war – das ist meine Geschichte. Und nur deshalb bin ich der geworden, der ich heute bin. Hätte mein Leben einen anderen Verlauf genommen, wäre ich heute ein anderer. Ich glaube, man muss sein Leben bewusst reflektieren und sich auch mit den nicht so schönen Seiten beschäftigen – dann kann man aus seiner Geschichte Kraft ziehen. Erst wenn man seine Fehler, seine Schwächen anerkennt, kommt man voran. Deshalb bin ich mit meiner Vergangenheit auch vollkommen im Reinen, selbst wenn sie oft unglücklich war. Ich glaube einfach, irgendwann sollte man das verarbeiten und sein eigenes Potenzial entwickeln. Man sollte im Stande sein zu sagen: Ja, ich habe nicht die glücklichste Kindheit gehabt, aber ich kann mich daraus befreien – und muss deshalb nicht die gleichen Fehler machen.

War es eigentlich Ihre eigene Entscheidung, nach Überlingen an die Waldorfschule zu gehen?

Nein, da war ich ja noch viel zu klein, das hat meine Mutter entschieden. (lacht) Sie hatte von einer Freundin von dieser Schule gehört und fand das ganz gut. Ich bin ab der ersten Klasse dorthin gegangen, mein älterer Bruder hat dann auch die Schule gewechselt, sodass wir den gleichen Schulweg hatten. Das war eine tolle Zeit.

Und dann sind Sie gependelt?

Ja, genau. Wir sind morgens mit dem Roten Arnold Nummer 1 zur Fähre gefahren – auf der Fähre konnte man immer noch Hausaufgaben machen – und dann in den Schulbus gestiegen und nach Überlingen gefahren. Das war natürlich ein ganz schön langer Schulweg, für so einen kleinen Bengel. (lacht) Da stehst du morgens um sechs auf und bist dann erst mal eine Stunde unterwegs. Aber im Nachhinein bin ich dankbar, dass ich auf der Waldorfschule war, weil ich dort entdeckt habe, dass mir das Kreativsein Freude bereitet. Und dass da in mir etwas schlummert, was ich später entdecken sollte.

 

Zur Person

Der Schauspieler Andreas Guenther (43) ist in Konstanz aufgewachsen. Nach dem Abitur an der Waldorfschule Überlingen zog er nach München. Seine erste Rolle hatte er 1996 in der Neuverfilmung von "Charley's Tante". Seit 2001 lebt er in Berlin und war seitdem in zahlreichen Kino- und TV-Filmen (wie "Götz von Berlichingen") sowie in Serien (wie "Der Bergdoktor") zu sehen. Seit 2010 gehört er zum Team des Rostocker Polizeirufs. Guenther war auch schon mehrfach im Tatort zu sehen. Derzeit dreht er auf der Insel Mauritius den ARD-Film "Die Inselärztin".