In den USA kennt man ihn als führenden Vertreter der figurativen Malerei. In Europa ist Wayne Thiebaud nahezu unbekannt. So ist die Schau der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel die erste Einzelausstellung des Künstlers überhaupt im deutschsprachigen Raum – eine Entdeckung. An den Vorbereitungen war der Künstler noch selbst beteiligt.
Ende 2021 verstarb er im biblischen Alter von 101 Jahren. Bereits 1971 hatte Thiebaud eine Ausstellung im renommierten New Yorker Whitney Museum of American Art, die anschließend durch weitere Städte innerhalb und außerhalb der USA tourte. 1972 lud ihn Harald Szeemann zur documenta ein. Man hätte ihn kennen können.
In seiner amerikanischen Heimat wurde Wayne Thiebaud immer wieder in den Kontext der Pop Art gestellt – eine Zuordnung, der er selbst widersprach. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht das Ölbild in Pastellfarben „35 Cent Masterworks“. Auf einem Ladenregal werden in dem Bild Reproduktionen von Werken berühmter Künstler zum Kauf angeboten. Es sind zum überwiegenden Teil Gemälde von Malern der Moderne wie Monet, Degas und Picasso.
Das Gemälde ist ein Bekenntnis zur europäischen Maltradition. Thiebauds Heroen heißen Vélazquez und Cézanne, Henri Rousseau – und Piet Mondrian, der einzige abstrakte Künstler unter den zwölf Malern. Dabei bewunderte Thiebaud abstrakte Malerei und bezeichnete sein eigenes Werk einmal als im Grunde abstrakt.

Die Verwechslung mit Pop Art kommt nicht von ungefähr. Thiebaud malte in Stillleben Objekte aus dem Alltagsleben: darunter Konsumartikel wie Torten, Süßigkeiten oder Eiswaffeln – und zwischendurch auch mal Micky Maus in Öl. Früh hatte er, der bereits als 15-Jähriger in den Sommerferien in den Trickfilmabteilungen der Walt Disney Studios arbeitete, sich für Cartoons und Comics interessiert.
Bei etwas oberflächlicher Betrachtung könnte man selbst seine Figurendarstellungen der Pop Art zurechnen. In einem auf Barhockern sitzenden jungen Paar, das die Hot dogs und Pappbecher in seinen Händen skeptisch beäugt, zeigt er konsumierende Menschen. Auch weisen Thiebauds ikonische Frauendarstellungen eine gewisse Ähnlichkeit mit Mel Ramos‘ Frauengestalten auf. Wobei der jüngere Kollege sich seine Figuren eher bei Thiebaud abgeschaut hatte als umgekehrt: war er doch sein Schüler.
Seine Figuren entrückt Thiebaud gern jedem lebensweltlichen Kontext und Ambiente – und stellt sie vielmehr in einen abstrakt malerischen Kontext, am sinnfälligsten in „Woman in Tub“ von 1965. Lediglich der zurückgelegte Kopf der Frau ragt in dem großformatigen Gemälde über den Rand der Badewanne hinaus. Dieser Kopf lässt die Badewanne im Auge des Betrachters überhaupt erst entstehen, die ohne ihn zur veritablen Farbfeldmalerei wird. Hier wie anderswo lässt Thiebaud seine Figuren gleichsam in abstrakter Malerei baden.

Doch wie Thiebaud seine Figuren oder Gegenstände malt, ist er auch kein realistischer Maler. Tritt man nah genug an seine Gemälde heran, erkennt man seinen Pinselstrich. Die stark akzentuierten Umrisslinien der Figuren (und die mancher Objekte in den Stillleben) beginnen vor feinsten buntfarbigen Setzungen förmlich zu vibrieren. Es ist dies Malerei vom Feinsten – so delikat wie die gemalten Kuchen, Torten oder Eiscremewaffeln, in denen sich neben brillanter Kunst mitunter ein charmanter Humor bezeugt.
So stellt uns ein Bild zwei Eiscremewaffeln vor Augen, die freilich auf den Kopf gestellt sind. Die beiden auf dem Boden aufliegenden Eiskugeln mutieren dabei durch kleine Partikel auf der Oberfläche zu Gesichtern, während die spitz zulaufenden Waffeln an Zaubererhüte und Kindergeburtstag gemahnen: Ein gemalter Comic, wenn man so will. Zumal wenn Thiebaud in einer Reihe von Stillleben libidinös besetzte Utensilien seiner Malerei wie Farbtöpfe oder Pastellkreiden zum Sujet adelt, verdichtet sich seine Kunst zu einem buntfarbigen Fest der Malerei.
Wayne Thiebauds Malerei gibt dem Auge eine Menge zu sehen. Und gleichzeitig zu denken. Und immer springt etwas vom Glück des Malens auf den Betrachter über.
Bis 21. Mai in der Fondation Beyeler, Baselstraße 77, Riehen, täglich 10-18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, Fr bis 21 Uhr. Weitere Informationen: www.fondationbeyeler.ch
Wayne Thiebaud
„Humor stand mehr oder weniger immer im Zentrum fast aller meiner Arbeiten“, sagte Wayne Thiebaud einmal. Er wurde 1920 bei Phoenix in Arizona geboren wurde. Zunächst wirkt er als freiberuflicher Cartoonist und Illustrator, später als Dozent am Sacramento City College. Zu seinen berühmtesten Schülern zählten Mel Ramos und Bruce Nauman. Den brillanten Maler lud Harald Szeeman 1972 zur documenta 5 ein. (hdf)