Eine knallorangefarbene Hebebühne aus dem 21. Jahrhundert und ein Ölgemälde von Nikolaus Hug von 1817. Auf den ersten Blick haben sie wenig gemein. Mit seiner Präsentation von Konstanzer und Kreuzlinger Stadt- und Landschaftsansichten jedoch lädt das Museum Rosenegg in Kreuzlingen noch bis Sonntag, 7. April, zum genauen Schauen ein. Zahlreiche kolorierte Stiche, Zeichnungen und Gemälde sind dort derzeit zu sehen, sie fordern das Aufsuchen der Schauplätze in und um Konstanz geradezu heraus. Wo aber, so fragt man sich, hatte der Zeichner vor knapp 200 Jahren Position bezogen, wo Zeichenstift und Palette ausgepackt? Existiert er heute noch, der Standpunkt des Betrachters damals? Eine Spurensuche vor Ort beginnt.
Wer aber glaubt, ein einfacher Druck auf den Auslöser könne heutzutage genügen, irrt. Schon ein erster Besuch auf der Marktstätte – ein Motiv, das Hug 1817 während des damaligen Hochwassers in Öl gemalt hat – zeigt, dass weder Tageszeit noch Position so einfach zu bestimmen, weder Licht noch Stimmung ohne weiteres einzufangen sind. Ein zweiter, dritter Versuch folgt. Bei Hug ist der Brunnen mitten im Bild, er blickt von oben und die Sonne steht noch tief hinter den Fassaden. Es muss sehr früh am Morgen gewesen sein. Aber wie morgens in die Höhe kommen, ohne jemandem den Schlaf zu rauben, wie sich dem Motiv annähern?
Da steht sie auf einmal, die knallorangefarbene Hebebühne, mitsamt den zwei Handwerkern, die den Höhenunterschied spielend überwinden helfen. Noch dazu zur Morgenstund', vor zehn Uhr, wie es sich für Handwerker in der Fußgängerzone gehört. Erleichtert sind sie, dass es sich nur um ein Foto handelt, hatten sie doch bereits das Ordnungsamt befürchtet.
Später in praller Frühlingssonne bei Kaffee und Apfelstrudel erzählen die beiden, wovon sie träumen. Irgendwann einmal möchte der eine ein Kunst-Café, der andere eine Eisdiele eröffnen. Ob auch Nikolaus Hug auf der Suche nach der perfekten Position für seine Bilder solch außerordentliche Begegnungen hatte? Es steht zu vermuten.
Eines scheint sicher, so detailreich und stimmungsvoll, wie Nikolaus Hug seine Stadt und ihre Umgebung ins Bild gefasst hat: Er muss sie sehr geliebt haben, seine Heimat. Nicht umsonst hat er akribisch und unermüdlich festgehalten, was er um sich wahrnahm. Der Anstoß zum Schauen, einmal anders durch heimatliche Straßen und Natur zu gehen, im Verweilen Unbekanntes an bekannten Ecken zu entdecken, das fordert Muße. Gleichzeitig schärft Entdeckerfreude den Blick – für den oft so leichtfertig vergebenen Moment und für eine verlorene Zeit.
Ob Nikolaus Hug sich wohl hat träumen lassen, dass Menschen des 21. Jahrhunderts nach seinen Bildern auf Spurensuche gehen würden? Mit der Präsentation von Hugs Werken ist Museumsleiterin Heidi Hofstetter eine Ausstellung gelungen, die Augen öffnet. Für Konstanz und seine Umgebung – aus nächster Nähe betrachtet aber auch für die Menschen, die hier leben und arbeiten, heute wie bereits vor zweihundert Jahren.