Singen – Während des Baubooms zwischen 1948 und 1962 hatte sich der Wohnungsbestand von Singen nahezu verdoppelt. Damals entstanden viele der freistehenden, vier- und fünfgeschossigen Zeilenbauten mit Satteldach und großen Balkonen, die bis heute das Stadtbild prägen. Die ersten Häuser dieser Art wurden 1953 und 1954 am „Lindenhain“ entlang der Aach-Promenade errichtet. Zwischen 1955 und 1960 entstand dann das Wohngebiet Uhlandstraße in der Nordstadt, das damals als Musterbeispiel für moderne städtebauliche Lösungen galt.
Dieses städtebauliche Gesicht Singens ist mit dem Namen Hannes Ott eng verknüpft, der von 1953 bis 1981 das Singener Stadtbauamt leitete. Seine Vision einer modernen Industriestadt nach amerikanischem Vorbild entwarf er quasi am Reißbrett. Mit seinen kreativen, auf Wachstum ausgerichteten und mutigen Entwürfen gelang es ihm, Bürgermeister Theopont Diez und den Stadtrat zu überzeugen. Auch die meisten öffentlichen Gebäude, die noch heute das Stadtbild prägen, sind zu jener Zeit von Ott entworfen worden: das Rathaus, die Liebfrauenkirche, die Waldeck-, die Zeppelin- und die Schillerschule, um nur einige Beispiele zu nennen. Trotz des Baubooms sollte das Angebot dem Bedarf an Wohnraum noch Jahre hinterherhinken. Grund war, dass die Singener Industriebetriebe, Maggi, die Fitting und die Alu, zu Beginn der 60er-Jahre zusammen rund 11 000 Menschen beschäftigten und ständig neue Mitarbeiter suchten.
Allerdings war eine Großzahl Singener Neubürger nicht freiwillig gekommen, sondern das Schicksal hatte sie in die Stadt am Hohentwiel verschlagen. Es handelte es sich um Flüchtlinge, die aus dem ehemaligen Reichsgebiet jenseits der Oder-Neiße-Linie stammten und aus den zahlreichen deutschen Siedlungsgebieten Osteuropas. Bis zum Jahr 1960 sollten 6000 Vertriebene ihre neue Heimat in Singen finden. Üblich war, dass sie bei ihrer Ankunft aufgrund der Wohnungsnot erst einmal in den Holzbarackenlagern an der Fitting- und Steißlinger Straße unterkamen. Der aus Prag stammende Emil Sräga wollte dies ändern und war der führende Kopf hinter den Bauinitiativen von und für Flüchtlinge, aus der 1952 die Baugenossenschaft Hegau hervorgehen sollte. Neben der alteingesessen Baugenossenschaften Oberzellerhau und der 1950 gegründeten Neuen Heimat entwickelte sie sich in den kommenden Jahren enorm. Auch die großen Industrieunternehmen gründeten ihre eigenen Baugenossenschaften und bauten für ihre Mitarbeiter in den 50er- und 60er-Jahren Werkswohnungen. 1962 erlebte das Bauwesen in Singen einen vorläufigen Höhepunkt, als innerhalb jenes Jahres 632 neue Wohnungen fertiggestellt wurden.