In Baden-Württemberg wurden in den vergangenen 20 Jahren über 200 Polizeiposten geschlossen. Aus 578 wurden 338. Das blieb nicht ohne Folgen – eine Studie des Ifo-Instituts zeigt Zusammenhänge mit zunehmender Kriminalität in den Orten, aus denen Polizeiposten verschwanden.
Ein kurzer Rückblick zu den Umständen: Ab 1998 plant der damalige Landesinnenminister Thomas Schäuble (CDU) in der schwarz-gelben Koalition unter seinem Parteifreund Erwin Teufel eine große Polizeireform. Als vornehmliche Ziele werden mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Bürgernähe ausgegeben.
Postenabbau zu Optimierungszwecken?
Noch im März 1998 schreibt Schäuble in seiner Antwort auf eine kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Gerd Teßmer von einer „auch in Zukunft unabdingbaren flächendeckenden und bürgernahen Polizeipostenstruktur“. Die folgenden Jahre sind aber hart, der Wirtschaft geht es nicht gut und so will Baden-Württemberg für den Landeshaushalt eine „Effizienzrendite“ erwirtschaften. Frei übersetzt aus dem Neoliberalen bedeutet das vor allem Personalabbau.
Oder bei der Polizei: Postenabbau. Im März 2004 erklärt Schäubles Haus: „Durch die Optimierung der Polizeipostenstruktur will das Innenministerium (...) zusätzliches Potenzial für eine gezielte polizeiliche Präsenz erschließen“. „Gezielt“ meint dabei ein wohlwollendes Wort für das Gegenteil von flächendeckend.
„Optimiert wurde da nix“
Im August 2023 sagt Jürgen Vogler: „Optimiert wurde da nix.“ Vogler war bis zu seiner Pensionierung 2018 ein einflussreicher Polizist in Baden-Württemberg, zuletzt als stellvertretender Vorsitzender beim Hauptpersonalrat im Innenministerium und die meiste Zeit seiner Laufbahn als Gewerkschafter bei der Deutschen Polizeigewerkschaft.
Der Villinger war schon in den Nullerjahren gegen die Reform, auch heute kann er ihr nichts abgewinnen. „Dabei von Optimierung zu sprechen, ist reine Schaumschlägerei der Politik“, sagt Vogler.
Die blanken Zahlen aus der Studie zeigen: Nach der Reform kommt es in Gemeinden mit Postenschließungen im Vergleich zu ähnlichen Gemeinden ohne Schließungen im Durchschnitt zu einem Anstieg von etwa 18 Prozent der gemeldeten Autodiebstähle, Wohnungseinbrüche nehmen um circa zwölf Prozent zu.
Benzin zu teuer für die Streife
Es werden damals vor allem kleine Polizeiposten mit weniger als vier Beamten aufgelöst. Am Bodensee ist Uhldingen-Mühlhofen betroffen, am Hochrhein unter anderem Gailingen, im Schwarzwald beispielsweise Niedereschach, im Hegau wird der Hilzinger Posten geschlossen. In Südbaden sind insgesamt 44 Posten betroffen – so steht es damals im SÜDKURIER.
Niemand verlor den Job, das Personal wurde in größeren Posten oder Revieren untergebracht, die dann schlagkräftiger werden sollten. Auf Streife sollten die Polizisten auch dort weiter Präsenz zeigen, wo es keinen Posten mehr gab.
Fußstreifen kamen natürlich nicht mehr in Frage, dafür waren die Wege nun zu weit. Und, das wurde damals weniger offensiv kommuniziert: Mit der Zusammenlegung sollte auch an der Ausrüstung gespart werden – die wirtschaftliche Lage war schließlich angespannt. Weniger Posten brauchen weniger Streifenwagen. Dabei benutzten manche Beamte schon vor der Reform ihre Privatfahrzeuge im Dienst – zum Beispiel in Blumberg.
Jürgen Vogler erinnert sich, was der Sparkurs für manche Kontrollfahrt bedeutete: „Da hieß es auch schon mal, da sei eh nichts los, dafür sei das Benzin zu teuer.“
Eine sichtbare Polizei reduziert Straftaten
Die Studie des Ifo-Instituts legt nahe, dass die fehlende Polizeipräsenz in Folge der Reform Kriminelle regelrecht zu Diebstählen verleitet haben könnte. Vor allem Täter mit Kenntnissen über die lokalen Gegebenheiten wissen, wie viel weiter der Weg für die Polizei seitdem ist.
Darauf schließen die Autoren der Untersuchung, weil „die Auswertung der Tatverdächtigen-Statistik zeigt, dass die Tatverdächtigen bei den reformbedingten zusätzlichen Straftaten insbesondere Männer deutscher Nationalität sind.“ Für Sebastian Blesse und André Diegmann ein Hinweis, dass es sich eher nicht um organisierte Banden handelt.
Andere Studien bestätigen, dass eine sichtbare Polizei Straftaten reduziert. Ex-Polizist Vogler formuliert es so: „Vor Ort fehlt die Anlaufstelle Polizei.“ Ein Zoll-Beamter berichtet von Gesprächen mit Bürgern im Hotzenwald, die seine Behörde „als letzte sichtbare Blaulichtorganisation“ in ihrer Region wahrnähmen. Es ist nicht nur der Weg der Beamten zu Einsatzorten weiter geworden; für die Bürgerinnen und Bürger kleiner Gemeinden fehlt schlicht der sogenannte Freund und Helfer, den man kennt, der auch ansprechbar ist für die kleinen Dinge.
Schwarzwaldgemeinde wehrt sich
„Anfangs hat die Polizei bei uns im Rathaus noch eine Sprechstunde angeboten“, schildert Fritz Link die Situation nach der Schließung des Königsfelder Polizeipostens Ende 2004. Link ist seit fast einem Vierteljahrhundert Bürgermeister der Schwarzwaldgemeinde. Er hat sich damals gegen die Reform gestellt, hat die Auseinandersetzung mit der großen Politik gesucht. Königsfeld liegt immerhin im Wahlkreis des damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel.
Königsfeld – das muss dazu gesagt werden – gehört zu den polizeipostenverlüstigen Gemeinden, in denen die Kriminalität nicht zugenommen hat. Vor Fritz Link liegen einige Blätter Papier mit Balkendiagrammen auf dem Tisch, die das beweisen.
Er sagt aber auch: „Für die Bürgerinnen und Bürger war es selbstverständlich, dass es Polizeibeamte vor Ort gab, da bestand auch ein Vertrauensverhältnis.“ Es gehe ja nicht nur um Kriminalität, meint Link, „sondern auch um die Präsenz des Staates.“
Zeit kontroverser Auseinandersetzungen
Link erinnert sich an die Monate vor der Reform als eine Zeit kontroverser Auseinandersetzungen. „Es wurde erst als beschlossene Sache hingestellt.“ Im Gemeinderat wurde dann eine Resolution verabschiedet und der Dialog mit der Landesregierung eingefordert. „Das war so zunächst sicherlich nicht angedacht“, sagt Link.
Auch wenn der Posten schlussendlich dicht gemacht wurde, betrachtet der langjährige Amtsinhaber die Episode als Erfolg – sie zeige, dass man sich Gehör verschaffen kann.
Nicht die letzte Reform
Die Polizeireform von 2004 war nicht die erste und wahrscheinlich auch nicht die letzte, in deren Zuge Posten geschlossen worden sind. In den 1970ern wurden schon einmal kleinere Dorfposten dicht gemacht. „Doch dann dämmerte in Stuttgart die Erkenntnis, dass der Rückzug der Ordnungshüter aus der Fläche ein Fehler war, (...) dass die Polizei den Kontakt zur Bevölkerung verliert, wenn sie nur noch mit dem Streifenwagen rumfährt“, heißt es in einem früheren Zeitungsbericht darüber.
Und so ist auch nach den Schließungen von 2004 das Ziel der bislang letzten Polizeireform im Jahr 2012 wieder das genaue Gegenteil gewesen: „Mehr Polizei auf die Straße“ war ihr Motto. 2017 gab es daran kleine Korrekturen.
Welche Posten alle geschlossen wurden, ist nicht bekannt
Die jüngste Reform und ihre Folgen wurden von der Landesregierung evaluiert – immerhin. Für die Reform der Nullerjahre gilt das nicht. Wo überall Posten geschlossen worden sind? Die Schließungen „verteilten sich über das gesamte Landesgebiet und liegen mitunter knapp 20 Jahre zurück. Eine detaillierte Liste hierzu liegt nicht vor“, heißt es vom Innenministerium.
Eines ist aber geblieben von 2004: Die Polizeipostenstruktur sei seitdem sukzessive optimiert worden, schreibt das Innenministerium noch heute. Genau so hatte es Thomas Schäuble ja damals schon angekündigt. Optimieren sagen die einen, „Schaumschlägerei“, sagt Jürgen Vogler.
Klar ist aber auch, obwohl das vor 20 Jahren keiner ahnen konnte: Baden-Württemberg ist seitdem sicherer geworden, liegt im Bundesvergleich auf Rang zwei hinter Bayern. 2022 gab es zwar wieder mehr Diebstähle und Wohnungseinbrüche, allerdings deutlich unter dem Niveau vor der Pandemie.
Es bleibt das subjektive Empfinden der Bevölkerung. Und die Frage, ob die Reform zu den gewünschten Einsparungen geführt hat. André Diegmann, Co-Autor der Ifo-Studie, sagt dazu: „Nach unserer Einschätzung sieht es nicht so aus, dass unter dem Strich eingespart werden konnte. Insbesondere, wenn man die hinzugekommenen Einbrüche gegenrechnet.“