Weniger als zwölf Stunden nachdem die Behörden über einen groß angelegten Schlag gegen die organisierte Kriminalität am Bodensee und im Schwarzwald informierten, hat die Polizei am Mittwoch erneut zugeschlagen – diesmal mit bundesweiten Razzien gegen die rockerähnliche Gruppierung ‚United Tribuns‘, die der Staat nun verboten hat.

Wie SÜDKURIER-Recherchen zeigen, steht bei beiden Großrazzien das Netzwerk des früheren Villingen-Schwenninger Rotlichtkönigs Armin „Boki“ C., der ursprünglich wohl Almir hieß, im Fokus der Ermittlungen. Der heute 48-jährige Ex-Boxweltmeister war in den 1990er-Jahren vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland geflohen, arbeitete zunächst als Türsteher im Großraum Villingen-Schwenningen und gründete dort 2004 die „United Tribuns“ sowie mindestens zwei Bordelle. Ein weiteres Freudenhaus soll er in Konstanz dem ursprünglichen Besitzer gegen dessen Willen abgenommen haben.

Boki C. 2019 in Bosnien festgenommen – und wieder freigelassen

Schon 2009 hatte die Kripo die Bande das erste Mal gesprengt, doch Boki, wie er von den meisten genannt wird, wurde rechtzeitig von einem Polizeibeamten gewarnt, der daraufhin suspendiert wurde. Mit seinem Cousin „Dado“ konnte er unbehelligt in sein Herkunftsland Bosnien-Herzegowina flüchten, das sich seither trotz eines internationalen Haftbefehls weigert, Boki auszuliefern.

Armin „Boki“ C. zeigte sich früher öfters in schnellen Schlitten in Villingen-Schwenningen.
Armin „Boki“ C. zeigte sich früher öfters in schnellen Schlitten in Villingen-Schwenningen. | Bild: Polizeiarchiv

Wegen seiner kriminellen Machenschaften in Bosnien und darüber hinaus durchsuchten die dortigen Behörden 2014 sein Haus – ohne ihn anzutreffen. Fünf Jahre später nimmt ihn die bosnische Polizei im Fall eines Doppelmords, den er in Auftrag gegeben haben soll, fest. Schon 24 Stunden später lässt ihn dortige Polizei aber „aus rechtlichen Gründen“ wieder laufen, was die deutschen Behörden wohl zum Staunen brachte.

Bokis Bruder in Zagreb in Haft

Erst vor drei Wochen gab es jedoch eine überraschende Wendung: Am 24. August 2022 versuchte Bokis jüngerer Bruder Nermin C. – 13 Jahre nach der Flucht aus Villingen-Schwenningen – von Bosnien nach Kroatien und damit in die EU einzureisen. Der 39-Jährige wusste offenbar nicht, dass Schweizer Behörden bei Interpol einen internationalen Haftbefehl wegen des Verdachts der internationalen Prostitution und des Menschenhandels gegen ihn beantragt hatten. Nermin C. befindet sich nun in Zagreb in Haft, soll sich aber gegen eine Auslieferung in die Schweiz wehren.

Mehrere Razzien in Südbaden

Die mit Abstand schwersten Schläge musste das kriminelle Netzwerk um Boki aber nun innerhalb von 24 Stunden einstecken. Am Dienstag um 6 Uhr früh stürmten 280 Beamte, darunter die Kripo Rottweil und Spezialkräfte auch aus benachbarten Bundesländern, 18 Privatwohnungen in Villingen-Schwenningen, Konstanz, Meersburg und Titisee-Neustadt.

Gäste einer Trauerfeier für ein erschossenes Mitglied der Rockervereinigung „United Tribuns“ gehen in Heidenheim auf den ...
Gäste einer Trauerfeier für ein erschossenes Mitglied der Rockervereinigung „United Tribuns“ gehen in Heidenheim auf den Friedhof. Das Bild wurde 2016 aufgenommen. | Bild: DPA

Der begründete Verdacht gegen elf vorläufig festgenommene Bewohner im Alter von 20 bis 32 Jahren: Sie hätten Frauen gewerbs- und bandenmäßig zur Prostitution gezwungen und Drogenhandel im großen Stil betrieben.

„Einige der Tatverdächtigen bewegten sich im Umfeld der rockerähnlichen Gruppierung United Tribuns“, bestätigt der Konstanzer Polizeipräsident Hubert Wörner die SÜDKURIER-Recherchen. Er spricht von einem „empfindlichen Schlag“ gegen die organisierte Kriminalität. Das Verbot der United Tribuns am Mittwoch durch das Bundesinnenministerium unterstreiche die Bedeutung des Konstanzer Ermittlungserfolges am Dienstag.

Beamte finden kistenweise Drogen und Waffen

Kistenweise schleppen Beamte den ganzen Dienstag über haufenweise Drogen, Schreckschusswaffen, darunter eine Gaspistole, Messer und weitere verbotene Waffen, darunter ein Schlagstock, aus den Privatwohnungen in die Behördenzentralen.

Zahlreiche beschlagnahmte Waffen und eine Leder-Jacke liegen auf einem Tisch im Polizeipräsidium Stuttgart. Die Gegenstände hatte die ...
Zahlreiche beschlagnahmte Waffen und eine Leder-Jacke liegen auf einem Tisch im Polizeipräsidium Stuttgart. Die Gegenstände hatte die Polizei bei vier Wohnungsdurchsuchungen im Jahr 2015 von mutmaßlichen Angehörigen von rockerähnlichen Gruppierungen in Stuttgart und Umgebung sichergestellt. | Bild: DPA/Christoph Schmidt

Schätzungen der Polizei zufolge fielen ihr dabei etwa 50 Kilogramm Cannabis, das erst gewogen werden muss, über zehn Kilo Amphetamine, Dopingmittel und mehr als 1000 Ecstasytabletten sowie ein voll ausgestattetes Drogenlabor in die Hände.

Männer aus Konstanz und Villingen-Schwenningen in U-Haft

Außerdem konnten die Behörden etwa 50.000 Euro Bargeld und einen Audi RS5-Sportwagen mit 450 PS beschlagnahmen, den es ab 88.000 Euro zu kaufen gibt. Sieben der elf Festgenommen befinden sich in U-Haft, darunter auch ein Konstanzer und ein Mann aus Villingen-Schwenningen, wie deren Anwälte dem SÜDKURIER bestätigten.

Polizeiaktion gegen „United Tribuns“ am Mittwoch

Die Großrazzia war kaum verhallt, als am Mittwoch – wieder ab 6 Uhr früh – eine noch umfangreichere Polizeiaktion, diesmal direkt gegen die rockerähnliche Gruppierung „United Tribuns“ und ihre 13 Vereinschapters in ganz Deutschland begann: 1500 Beamten durchsuchten 108 Objekte in neun Bundesländern, darunter fünf Häuser von Vorstandsmitgliedern in Baden-Württemberg.

Letztere befinden sich in den Zuständigkeitsgebieten der Polizeipräsidien Konstanz, Ulm, Reutlingen und Pforzheim. Laut SÜDKURIER-Informationen durchsuchten die Behörden ein Objekt im Landkreis Tuttlingen, für den das Polizeipräsidium Konstanz verantwortlich ist.

Ein Siegel der Polizei klebt über dem Schloss Remscheid (NRW) einer Tür zum Vereinsheim der Rockergruppierung „United ...
Ein Siegel der Polizei klebt über dem Schloss Remscheid (NRW) einer Tür zum Vereinsheim der Rockergruppierung „United Tribuns“. Die Bundesinnenministerin hat den Verein, dem unter anderem Sexualstraftaten und versuchte Tötungsdelikte vorgeworfen werden, in der Nacht zuvor verboten. | Bild: DPA/Roberto Pfeil

Allein in Nordrhein-Westfalen wurden nach Angaben der Polizei 40 Objekte in Zusammenhang mit der Razzia gegen die United Tribuns durchsucht. Bei einem Einsatz in Köln seien Spezialeinheiten beteiligt gewesen. In Schleswig-Holstein wurden 35 Objekte durchsucht mit Schwerpunkt in der Hansestadt Lübeck. Zwei Polizeibeamte seien bei einem Angriff eines Hundes im Kreis Segeberg leicht verletzt worden, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Kiel. Das Tier sei mit einer Schrotflinte erschossen worden.

Von etwaigen Festnahmen am Mittwoch war im Bundesinnenministerium nichts bekannt. „Allerdings sind die Maßnahmen noch nicht abgeschlossen“, sagte Sprecherin Sonja Kock dem SÜDKURIER am späten Mittwochnachmittag.

Faeser spricht von schweren Straftaten bei „United Tribuns“

Mitglieder der United Tribuns hätten schwerste Straftaten begangen, unter anderem Sexualstraftaten, Menschenhandel und versuchte Tötungsdelikte, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Sie betonte: „Wir müssen als Rechtsstaat sehr deutlich zeigen, dass wir Gruppierungen, von denen so schwere Straftaten ausgehen, nicht dulden.“

Das Vereinsheim der Rockergruppierung „United Tribuns“ in Remscheid (NRW). Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat den ...
Das Vereinsheim der Rockergruppierung „United Tribuns“ in Remscheid (NRW). Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat den Verein, dem unter anderem Sexualstraftaten und versuchte Tötungsdelikte vorgeworfen werden, in der Nacht verboten. | Bild: DPA/Roberto Pfeil

Die United Tribuns lieferten sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Rockergruppierungen wie den Hells Angels. Nach einem Angriff 2016, der für ein Mitglied der United Tribuns tödlich endete, waren vier ehemalige Mitglieder des Leipziger Ablegers der Hells Angels zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt worden.

Dass Straftaten durch die United Tribuns nicht nur geduldet, sondern auch „gefördert und belohnt“ werden, zeige sich auch an verschiedenen Aufnähern („Patches“). Diese seien an Mitglieder verliehen worden, die Straftaten im Sinne des Vereins verübt hatten. Nach außen stelle sich der Verein als eine „Bruderschaft“ mit Hang zum „Kampfsport und Fitnessmilieu“ dar.

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