Seit 42 Jahren schon leitet Erika Schmaltz das Awo-Ballett in Mannheim Rheingau. „Aber so etwas ist uns noch nie passiert“, sagt die 75-jährige Mitbegründerin der Seniorinnen-Tanz- und Showtruppe. Seit einem Jahr proben die 17 Damen im Alter zwischen 59 und 85 Jahren für ihre Auftritte beim Seniorennachmittag im Rahmen der gerade eröffneten Bundesgartenschau in Mannheim, sieben Termine stehen seit Dezember fest.

Nachdem die Show zunächst auf der Kippe stand, schlossen die Buga und die Arbeiterwohlfahrt (Awo) nach intensiven Gesprächen noch am Montagabend einen Kompromiss. An dreien der ursprünglich sechs beanstandeten Kostüme werde es Veränderungen geben, teilte eine Buga-Sprecherin am Abend mit. Außerdem würden die Auftritte auf die Hauptbühne verlegt und im Nachgang durch Diskussionsveranstaltungen begleitet.

Tänze sollten bestimmte Länder symbolisieren

Die monierten Kostüme hatten in der Show bestimmte Länder symbolisieren sollen. Geplant waren beispielsweise ein Tanz in Kimonos und mit Sonnenschirmen (sinnbildlich für Japan) und Sombreros und Ponchos (für Mexiko) sowie eine Verkleidung als Pharaonen, um Ägypten zu versinnbildlichen. „Aus den Pharaonen werden ägyptische Arbeiter, den Mexikanern reicht der Poncho und die Asiatinnen werden moderner“, hieß es weiter. „Uns war wichtig, etwas Konstruktives mitzunehmen“, sagte Fabian Burstein, Leiter der Kulturveranstaltungen der Buga 2023.

Geplant ist ein 25-minütiges Programm mit Stepp- und Formationstanz und kleinen Showeinlagen zu alten Schlagern, „Weltreise mit dem Traumschiff“, heißt die Nummer. Jede Sekunde im Ablauf muss sitzen, denn die Damen ziehen sich während der knappen halben Stunde 14-mal um.

So zeigt sich das Awo-Ballett als „Ägypterinnen“
So zeigt sich das Awo-Ballett als „Ägypterinnen“ | Bild: AWO Ballett


Doch just eine Woche vor dem für morgen geplanten ersten Auftritt erhielt Schmaltz eine unerwartete Nachricht von der Buga – mit der Bitte, sechs der für die halbstündige Tanzshow vorgesehenen selbst gefertigten Kostüme wegzulassen: „Wir sollen die spanischen Flamenco-Kostüme, den orientalischen Bauchtanz, den mexikanischen Tanz mit Sombreros und Ponchos, den japanischen Tanz mit Kimonos, den indischen mit Saris und den ägyptischen Tanz, in dem wir als Pharaoninnen verkleidet sind, nicht zeigen“, sagt Schmaltz.

Begründung? Zunächst keine.

„Das wurde nicht erklärt“, sagt Erika Schmaltz. Erst auf Nachfragen stellte sich heraus, was dahintersteckt: Die erst am Ostersonntag auf Bitten der Buga-Veranstalter offenbar für Werbezwecke erbetenen Fotos von früheren Auftritten der betagten Damen ließen wohl bei bei den Buga-Verantwortlichen die Alarmglocken klingeln und Bedenken aufkommen, ob die Wirkung dieser Kostüme im Rahmen der Diskussion um kulturelle oder religiöse Codierungen angemessen sei.

Viel Unterstützung für die Seniorinnen

„Das versteht kein Mensch und wir können das auch nicht einfach weglassen, das ist doch alles eingeübt“, sagt Schmaltz, die sich an die örtliche Zeitung wandte. Und seit der „Mannheimer Morgen“ gestern mit der Geschichte herauskam, steht bei Schmaltz das Telefon nicht mehr still und das Mail-Postfach des Awo-Balletts quillt über. „Hunderte wildfremde Menschen schreiben uns, unterstützen uns, alle schimpfen sie über die Buga oder drohen, sie zu boykottieren“, sagt Schmaltz.

Aber um was geht es überhaupt? Die Seniorinnen der munteren Awo-Tanztruppe treffen sich einmal wöchentlich für zwei Stunden zum Training. Vor Corona waren es etwa 30 bis 40 Auftritte pro Jahr, berichtet die 75-jährige Mitgründerin Schmaltz, bei Vereinsfesten und Seniorennachmittagen, selbstredend ehrenamtlich.

Was ist kulturelle Aneignung?

„Immer haben sich alle gefreut“, sagt Schmaltz. Beschwerden gab es nie, und mit der Bedeutung des Begriffs kulturelle Aneignung waren die Damen noch nie konfrontiert.

Bei der Buga windet man. Das Awo-Ballett habe sich für das Kulturprogramm beworben, die Buga 23-Jury fand das Programm gut, aber die Kostüme seien zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen, teilte Pressesprecherin Corinna Brod gestern mit.

Als die Kostüme vor wenigen Tagen vorgestellt wurden, seien vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zur Sensibilität für kulturelle und religiöse Codierungen Bedenken an der Wirkung einiger Kostüme aufgekommen. Die Buga habe den Auftritt des Awo-Balletts aber zu keiner Zeit verboten oder untersagt, heißt es.

Seniorinnen: „Bedauern Irritationen“

Fabian Burstein, Leiter des Buga-Kulturprogramms teilte mit: „Wir bedauern sehr, dass Irritationen entstanden sind. Umso wichtiger ist es, dass wir darüber eine offene und auf wechselseitigem Verständnis ausgerichtete Diskussion mit Mitgliedern des Awo-Balletts führen.“
„Wir haben uns so lange darauf vorbereitet“, erklärt Erika Schmaltz. „Wir wollen ja nur tanzen. Jetzt sind wir so alt und müssen uns noch mit so was herumärgern.“