Andrea Kümpfbeck und Daniel Wirsching

Herr Erzbischof Gänswein, was ist das schönste Erlebnis, das Sie mit dem kürzlich gestorbenen früheren Papst Benedikt XVI. teilen?

Die Gemeinschaft mit ihm, das Miteinander, das Miteinander-Gehen und sich stützen.

In Ihrem Buch „Nichts als die Wahrheit“ schreiben Sie an vielen Stellen von der „Päpstlichen Familie“, „von unserer kleinen Familie“, deren Teil Sie waren.

Als Päpstliche Familie im engeren Sinn werden jene Personen bezeichnet, die mit dem Papst im selben Haushalt zusammenleben, im dritten Stock des Päpstlichen Palastes. Das Wort Palast führt dabei etwas in die Irre, es klingt so nach golden und silbern … Tatsächlich ist es ein Renaissance-Palazzo, in dem es aber auch mal Stromausfall, einen Wasserrohrbruch und undichte Fenster gibt.

Unsere Gemeinschaft bestand aus zwei Sekretären, vier italienischen Memores – Frauen aus der Bewegung Comunione e Liberazione – und der Sekretärin des Papstes, Schwester Birgit, einer Schwester aus der Schönstatt-Bewegung. Wir haben miteinander gelebt, das heißt gebetet, gegessen, Gottesdienste und auch persönliche Feste gefeiert. Da ist Vertrauen entstanden, eben wie in einer Familie. Und das tut gut, auch dem Papst, der in seinem Amt doch ziemlich allein ist.

Was wird nun aus Ihrer Hausgemeinschaft nach Benedikts Tod?

Nun trennen sich die Wege, aber natürlich halten wir auch weiter Kontakt. Das Monastero, das kleine Kloster im Vatikan, haben wir bereits ausgeräumt. Der Um- und Auszug ist abgeschlossen. Ich beziehe eine eigene Wohnung, die Memores bleiben auch in Rom und werden in einem Haus ihrer Bewegung wohnen. Meine neue Wohnung liegt Luftlinie keine 70 Meter entfernt vom vatikanischen Gästehaus Santa Marta, in dem Papst Franziskus lebt.

Welche Rolle hatte Benedikt in Ihrer „kleinen Familie“?

Er war natürlich das Oberhaupt, das Zentrum.

Und Sie?

Wenn man denn bei dem Bild der Familie bleiben will: Ich war der Erstgeborene.

Ein sehr enges Verhältnis.

Ja, und es ist immer enger geworden.

Enges Verhältnis: Georg Gänswein (links), Privatsekretär von Benedikt XVI., und der emeritierte Papst im Jahr 2020.
Enges Verhältnis: Georg Gänswein (links), Privatsekretär von Benedikt XVI., und der emeritierte Papst im Jahr 2020. | Bild: Sven Hoppe/dpa

Er hat Ihnen eingeschärft, seine privaten Notizen nach seinem Tod zu vernichten.

Dabei handelte es sich um persönliche Briefe an seine Eltern, Briefe seiner Eltern, seines Vaters oder seiner Mutter an ihn oder an seine Geschwister, sehr persönliche Briefe. Er hatte sie alle gesammelt und mir mit Nachdruck ans Herz gelegt: „Diese persönlichen Briefe sind ohne Ausflüchte zu vernichten!“

Sie sagten eben „handelte“. Die Briefe sind schon zerstört?

Ja, sie sind schon geschreddert. Das war ein bitterer Akt und hat mich Überwindung gekostet. Als Testamentsvollstrecker hatte ich diesen Willen zu befolgen, und das habe ich getan. Damit das alles auch rechtlich einwandfrei war, bedurfte es der Autorisierung durch den Heiligen Stuhl, und insoweit das Testament auch Personen und Institutionen in Deutschland betraf, war noch zusätzlich eine „Legalisierung“ durch die deutsche Botschaft in Rom notwendig. Benedikt ist am 31. Dezember gestorben, Anfang Februar konnte ich endlich mit der Vollstreckung des Testaments beginnen. Der Löwenanteil ging an das „Institut Papst Benedikt XVI.“ in Regensburg.

Haben Sie versucht, ihm auszureden, alle seine privaten Unterlagen vernichten zu sollen?

Nein. Er hatte es bereits entschieden.

Haben Sie Benedikt denn auch einmal widersprochen?

Nur einmal, als er mir eröffnete, er wolle auf das Papstamt verzichten. Ich sagte spontan „Das geht nicht, das ist unmöglich!“ und habe Argumente um Argumente aufgelistet, was alles dagegen spricht. Schließlich meinte er kurz und bündig: „Ich habe Ihnen nichts berichtet, worüber zu diskutieren ist. Ich habe Ihnen eine getroffene Entscheidung meinerseits mitgeteilt.“ Damit war die Diskussion beendet. Freilich habe ich dann alles getan, um ihn zu stützen und zu unterstützen. Ich brauchte aber lange, bis ich seine Entscheidung verdaut hatte.

Georg Gänswein, Kurienerzbischof und langjähriger Privatsekretär des verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI., kniet vor Beginn der ...
Georg Gänswein, Kurienerzbischof und langjähriger Privatsekretär des verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI., kniet vor Beginn der Trauermesse auf dem Petersplatz an dessen Sarg. | Bild: Andrew Medichini/AP/dpa

Sie haben sie nun akzeptiert?

Selbstverständlich. Doch selbst er sagte mir oft: „Ich weiß, dass ich mit dieser Entscheidung viele meiner Freunde und viele Gläubige auf der ganzen Welt enttäuscht habe.“ Er habe ihnen das aber zumuten müssen, weil er den Petrusdienst nicht mehr so ausüben könne, wie er ausgeübt werden müsse – mit allen Kräften, des Geistes und des Körpers. Vergessen wir nicht, Benedikt war damals bereits 85 Jahre alt. Falsch und dümmlich ist die Behauptung, dass er irgendwie die „Nase voll gehabt hätte“.

Damals war der Vatileaks- Skandal um gestohlene und veröffentlichte Unterlagen in den Schlagzeilen. Es hieß, Benedikt entgleite die Kontrolle …

Wahr ist leider, dass in der Tat Briefe und andere Unterlagen gestohlen wurden. Aber der Vorwurf ist reiner Unsinn! Wie der Vorwurf, er sei vom Kreuz herabgestiegen! Wer Benedikt und sein Amtsverständnis kannte, weiß, dass es schwerwiegendere Gründe für den Amtsverzicht gab. Richtig ist: Sein Rücktritt war „unerhört“. Der letzte Papst, der vergleichbar mit Benedikts Situation frei auf das Amt verzichtet hatte, war Papst Coelestin V. im Jahre 1294.

Gänsweins Memoiren „Nichts als die Wahrheit“ sind gerade im Herder-Verlag erschienen.
Gänsweins Memoiren „Nichts als die Wahrheit“ sind gerade im Herder-Verlag erschienen. | Bild: Herder-Verlag

Nach seinem Rücktritt gab es einen emeritierten und mit Franziskus einen amtierenden Papst. Sie wurden „Diener zweier Herren“.

Dafür konnte ich nichts, ich habe mir das nicht ausgesucht. Das hat Kraft gekostet, und mir sind auch Fehler unterlaufen. Das räume ich ein. Im Nachhinein ist man immer klüger. Aus Fehlern zu lernen ist keine Schande.

Franziskus, so darf man das verstehen, entmachtete Sie. Im Januar 2020 sagte er Ihnen: „Sie bleiben Präfekt, aber ab morgen kommen Sie nicht mehr zur Arbeit.“ Wie ist Ihr Verhältnis zueinander?

Entmachten klingt doch albern. Es trifft zu, dass Papst Franziskus angeordnet hat, dass ich mich nunmehr ausschließlich dem Dienst für den emeritierten Papst widmen soll. Natürlich bin ich zu jeder Zeit dem regierenden Papst gegenüber loyal und gehorsam gewesen. Ich habe Ehrfurcht und Gehorsam versprochen und dieses Versprechen halte ich auch. Trotz aller medial verbreiteter Märchen besteht zwischen dem Papst und mir ein absolut entspanntes Verhältnis.

Dennoch lässt er Sie seit mehr als zwei Jahren im Ungewissen, was Ihre Zukunft betrifft.

Welche Aufgabe er mir übertragen möchte, ist noch nicht entschieden. Das stimmt. Aber der Tag wird kommen, an dem die Entscheidung fällt. Ich muss mich noch in Geduld üben.

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Er hat Sie kürzlich empfangen – und Ihnen nicht gesagt, wo er Sie einsetzen möchte?

Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, was er mit mir vorhat. Er sagte mir: „Ich habe noch keine Entscheidung getroffen.“

Wo sehen Sie Ihre Zukunft?

Wo auch immer: im Dienst der Kirche.

Sie schreiben, dass Ihnen 2020 die Ungewissheit über Ihre künftige Verwendung zusetzte, schreiben von einer psychosomatischen Störung. Wie geht es Ihnen?

Ich hatte 2017 einen Hörsturz. Ich musste wegen Komplikationen ins Krankenhaus. Geblieben sind mir leider eine Hörminderung im linken Ohr und leichte Gleichgewichtsprobleme. Im August 2020 musste ich erneut ins Krankenhaus. Wie sich herausstellte, waren es Nierenprobleme, glücklicherweise kein Tumor. Die Jahre 2020 und 2021 waren schwierige Jahre. Mein Arzt, nachdem er meine „Krankengeschichte“ studiert hatte, sagte mir eines Tages, dass da wohl sehr stark psychosomatische Elemente mitspielen.

Heißt es nicht treffend, dass einem etwas an die Nieren geht? Er riet mir sehr deutlich dazu, wieder Sport zu treiben, als Ventil. Das hatte ich in der Tat in den vergangenen Jahren nicht mehr getan. Heute bin ich gesundheitlich gottlob wieder auf gutem Wege.