Er war Radfahrer, bundesweit bekannter Aktivist für mehr Radverkehrs-Sicherheit im Straßenverkehr. In Pforzheim und Umgebung war Andreas Mandalka als der Mann mit der quer nach links an das Fahrrad geschnallten Schaumstoff-Schwimmnudel bekannt, sein Abstandshalter zu Autofahrern. Auf seinem Blog unter dem Namen „Natenom“ dokumentierte er regelmäßig Informationen, Erlebnisse, Fotos, Videos mit gefährlichen Szenen im Straßenverkehr.

Er meldete den Behörden Gefahrenstellen, beseitigte sie auch selbst. Er fuhr mit dem Rad mitten auf der Fahrbahn, wenn er nicht gefährlich überholt werden wollte, forderte vehement die Abstandsregel ein. Und er zeigte andere Verkehrsteilnehmer immer wieder bei der Polizei an. In der Radfahr-Szene war „Natenom“, auf dessen Fotos oft ein kleiner Plüsch-Elefant zu sehen war, eine gefeierte Größe.

Am letzten Dienstag im Januar starb der 43-Jährige abends auf einer Landstraße im Enzkreis zwischen den Ortschaften Neuhausen (Enzkreis) und Schellbronn, nur ein paar Kilometer von seinem Pforzheimer Wohnort entfernt. Ein von hinten kommender 77-jähriger Autofahrer war mit Mandalka, der auf dem Fahrrad laut Polizei mit Warnweste und Helm trug, kollidiert. Mandalka starb noch an der Unfallstelle. Seitdem tobt ein Deutungskrieg darüber, wer „Natenom“, war.

Grablichter, Blumen und ein Plüsch-Elefant – Mandalkas Markenzeichen – stehen am Unfallort.
Grablichter, Blumen und ein Plüsch-Elefant – Mandalkas Markenzeichen – stehen am Unfallort. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Es gibt kein Bild von ihm im Netz, er achtete streng auf Datenschutz. Bekannte beschreiben ihn als großen, kräftigen Mann mit blondem Zopf, als zurückhaltend. „Er lebte für das Fahrradfahren und das Bloggen, das war sein Beruf und seine Berufung“, sagt Katharina Mittmann, die ihn bei der Fahrrad-Bewegung „Critical Mass“ in Pforzheim kennenlernte und sein Engagement bewunderte.

War „Natenom“ ein stiller und unerschrockener Held, der sich für das Gemeinwesen, vor allem für die Sicherheit von Radfahrern einsetzte und nebenher noch Berge von Müll aus der Landschaft sammelte – oder ein Rechthaber, der sich und andere Verkehrsteilnehmer durch seine Art gefährdete, provozierte und aggressiv auf Ansprache reagierte? Beide Versionen kursieren eine Woche nach seinem tragischen Tod.

Bei Aktivisten ist die Trauer groß

Die erste vor allem im Netz und bei seinen Weggefährten vom Fahrrad-Verkehrsclub ADFC. Beim Landesverband und bei der Ortsgruppe Pforzheim/Enzkreis, wo Mandalka auch bei der „Critical Mass“ aktiv war, ist der Schock groß. „Er hat sich sehr viel eingebracht, war ein lieber Mensch, der sich sehr gewissenhaft für die Gesellschaft und für andere engagiert hat, er kannte alle Regeln und Gesetze sehr gut“, sagt Marthe Soncour, im Vorstand des örtlichen ADFC für Radverkehrspolitik zuständig.

„Jeder hier hat ihn gekannt. Viele haben gesagt: Er hat provoziert. Das hat er aber nicht. Er hat nur den Platz in Anspruch genommen, der ihm zustand im Verkehr. Das hat viele Leute gestört“, sagt Soncour. Er sei auch bedroht worden, habe viele Anfeindungen kassiert. Der ADFC sammelt Spenden für die Beerdigung, das Geld soll seinen Angehörigen zukommen, auch für einen möglichen Rechtsstreit. „Die Beteiligung hat uns überwältigt, wir haben seine Bekanntheit im Netz völlig unterschätzt“, sagt Soncour.

Im Heimatort wenig beliebt

Die andere Version über „Natenom“ kursiert vor allem rund um Mandalkas Wohnort in Pforzheim und in Neuhausen. Auch dort ist man schockiert, aber auch über den Tenor der Netzkommentare und der Berichterstattung. Wer herumfragt, bekommt mehrfach die gleiche Antwort – aber niemanden, der sich namentlich zitieren lassen will. „Alle haben ihn gekannt, alle hat er provoziert, alle hat er angezeigt“, sagt ein Rentner, der am Ortseingang von Schellbronn wohnt.

Mandalka sei kein Märtyrer, sondern ein Provokateur gewesen. Deshalb sei er auch aus Prinzip nicht auf dem Radweg parallel der Straße gefahren, sondern habe den Verkehr auf der Landstraße ausgebremst. Auch den Unfallverursacher und dessen Familie kenne jeder im Ort, ein Mann, der im Ehrenamt engagiert sei und schwer am Geschehen leide, und der Ort mit ihm.

Mandalka fuhr auf der Straße

„Es war ein ganz tragischer Unfall“, sagt Bürgermeisterin Sabine Wagner. Mehr nicht. Sie appelliert daran, die Klärung der Schuldfrage den Behörden zu überlassen und nicht aus der Entfernung Urteile zu fällen. Denn sie weiß, was bei den Bürgern im Ort kursiert, und was bei den Aktivisten im Netz. Dass beides nicht zusammenpasst.

Den Unfallort markieren inzwischen ein paar Grablichter, eine Laterne mit letztem Gruß und ein kleiner blaugepunkteter Stoffelefant. Die Landstraße wurde vor Kurzem saniert. Asphalt und Markierungen glänzen noch, der Rand ist unbefestigt. Eine schmale Landstraße, eben und fast gerade, Tempo 100 ist erlaubt. Entsprechend schnell rauscht der Verkehr vorbei.

Drei Meter entfernt, parallel zur Straße, leuchtet ein Weg durch den lichten Winterwald, keine unbefestigte, holprige Waldpiste, sondern ein durchweg asphaltierter Weg in passablem Zustand. „Das ist der am meisten frequentierte und beste Radweg in unserer Gemeinde“, sagt Bürgermeisterin Sabine Wagner. „Es ist ein guter Radweg.“ Aber es ist eben kein benutzungspflichtiger Radweg, das Gebot wurde 2021 vom Landratsamt aufgehoben. Radfahrer dürfen die Landstraße befahren. Und Mandalka nahm dieses Recht für sich in Anspruch.

Der ADFC hat für Sonntag zur Gedenkfahrt für „Natenom“ aufgerufen, der Aufruf wird überall im Netz geteilt. Von Pforzheim aus soll es 15 Kilometer im Fahrradtross in den Nordschwarzwald hinauf nach Neuhausen gehen. Am Unfallort soll ein Ghostbike, ein weiß gestrichenes Erinnerungsfahrrad, für Andreas Mandalka aufgestellt werden. Ausgerechnet am Sonntag, wenn durch Neuhausen der große Faschingsumzug zieht und Tausende feiern. Man habe mit dem ADFC geredet, ob nicht ein anderer Termin denkbar wäre, sagt die Bürgermeisterin. Vergebens.