Auch die Kirchenmusik hat ihre Stars. Im Gegensatz zum Popgeschäft stehen sie nicht im Rampenlicht, sondern meist auf Emporen und in den Gesangbüchern. Martin Gotthard Schneider war ein solcher stiller Star. Als Organist und Dirigent von klassischen Werken prägte er die evangelische Kirchenmusik in Baden. Berühmt wurde er durch die Vertonung eines einfachen Textes, das mit einem der schönsten deutschen Worte beginnt: "Danke".
Schneiders flott hingeworfenene Komposition datiert ins Jahr 1961. Dennoch hat es an Frische nichts verloren. Es wird bis heute gesungen von der Wiege bis zur Bahre. Keine Taufe ohne "Danke", keine ökumenische Hochzeit ohne den prägnanten Beginn dieses sakral souligen Hymnus. Es steht in allen wichtigen Gesangbüchern.
"Danke" ist raffiniert einfach gebaut. Der erste Ton des Dur-Stückes wird vier Mal wiederholt. So rutscht man bequem in den Rhythmus hinein. Man kann das Stück steng klassisch spielen oder poppig. Es gibt ein ganzes Regal an Arrangements für verschiedene Besetzungen. Das Stück ist ein Geniestreich.
Dabei hätte es "Danke" fast nicht gegeben, berichtet Schneiders Sohn Jörg. Sein Vater hatte es 1961 für einen Liedwettbewerb in Bad Tutzing komponiert, dabei aber den Einsendeschluss fast verpasst. Seine Frau trug den Umschlag mit dem Lied schließlich in letzter Minute auf die Post. Damit begann der Siegeszug des modernen Lobpreisliedes. Sechs Wochen lang rangierte es in der Hitparade ganz oben – einzigartig für ein kirchliche Komposition.
Schneiders Schöpfung ist auch Kind ihrer Zeit. Denn die 60er Jahre waren in beiden Volkskirchen auch Zeiten des Aufbruchs. Theologen, Architekten und Musiker wollten Neues schaffen. Viele alten Choräle wurden als muffig und überholt empfunden, auch was die altertümliche Sprache anbelangt. So entstand das Neue Geistliche Lied (NGL), von dem freilich nicht alle Kantoren begeistert waren, deren musikalisches Feld sich bisher zwischen Bach und Brahms erstreckte. In den ersten Jahren erhielte der Komponist Schneider Schmähbriefe. In konservativen Ohren klang die "Danke"-Melodie weltlich und unpassend.
Später wurde das Werk und sein Urheber auf der ganzen Linie anerkannt. Martin Gotthard Schneider, erst Kantor und Organist in Freiburg, wurde zum Landeskantor für Baden berufen. Damit war er zum ersten Kirchenmusiker der Landeskirche befördert. Das Amt versah er bis zur Pensionierung 1995. Er nutzte es, um dirigierend und motivierend durch die Lande zu fahren.
Vier Akkorde sind genug
Neben dem eigenständigen Schaffen sah er sich auch dem tiefgründigen evangelischen Kulturerbe verpflichtet. Mehr als viereinhalb Jahrzehnte lang leitete den Freiburger Chor der Heinrich-Schütz-Kantorei. Damit nicht genug: 1980 bestellte ihn die Musikhochschule Freiburg zum Professor für Orgel-Improvisation. Hier schließt sich der Kreis zu seinem Lied "Danke": Dessen simple Struktur bildet eine dankbare Plattform für freies Spiel. Vier Akkorde genügen Schneider für den Höhenflug – einer mehr als der Blues, der mit gerade einmal drei Akkorden auskommt und aus diesem Mini-Material seinen eigenen Kosmos schafft.
Der Universal-Musiker und Theologe stammt aus alter Konstanzer Familie. Das Elternhaus steht in Sichtweite zum katholischen Münster, doch war die Familie gut lutherisch. Der Großvater amtierte bereits als Kirchendiener an der Lutherkirche. Sein Vater Hermann war nach dem Krieg Bürgermeister von Konstanz. In seine Heimatstadt war Martin Gotthard Schneider nach vielen Konzertreisen zum Ende seines Lebens zurückgekehrt. In seinem Elternhaus starb der inspirierende Musikus im Alter von 86 Jahren. Seine Lieder werden ihn überdauern. Das können nur wenige Musiker von sich sagen.