Wir sind in der Werkstatt der Oßwald Heizung Sanitär GmbH. Eine lange Werkbank, Gasflaschen, Rohre, Kabel. In der Mitte des Raumes steht Michael Oßwald, Chef des Betriebes in Hindelwangen, den er mit sechs Mitarbeitern umtreibt.
Neben den vielen Geräten gibt es noch ein kleines Etwas, das Oßwald immer mitführt: der Funkmeldeempfäger der Feuerwehr. Ob in Wohnzimmer, Werkstatt oder beim Holzhacken – der Melder reist mit.
So weit ist das die Geschichte über einen von 110.000 Feuerwehrleuten, die in Baden-Württemberg alles stehen und liegen lassen, wenn es brennt. Oßwalds Werdegang ist typisch die Wehren: Mit 18 Jahren trat er der Feuerwehr bei (zusätzlich zur Bundeswehr), und das aus drei Gründen: Er schätzte die Kameradschaft, er mag Technik und will anderen Menschen helfen.
Über seinem Schreibtisch hängt ein Marienbild
Nach 38 Jahren sieht er das genauso. Er wäre bis heute der Brandmeister, wenn es vor 20 Jahren nicht diesen Aufruf gegeben hätte. In einer Ausschreibung wurden neuartige "Fachberater für Seelsorge" gesucht. So hieß das damals. Seelsorge und Feuerwehr, wie geht das zusammen? Sind das nicht alles harte Burschen, die durch die Hitze gehen und das bisschen Asche abschütteln? Das sind sie eben nicht. Sie tun nur so.
Oßwald, damals 36 Jahre alt, meldete sich. Seelsorge schreckte ihn nicht, das war ihm vertraut. Den praktizierenden Katholiken sprach die Ausschreibung an. Er war einige Zeit im Konvikt in Sigmaringen und kannte das religiöse Milieu. Es schreckt ihn nicht. Über seinem Schreibtisch hängt ein Marienbild.
Aus eigener Erfahrung wusste er auch, dass die Technik der Wehren nur eine Seite der Medaille bilden. Die andere Seite: Viel Leid bei Betroffenen, bei Ersthelfern und Einsatzkräften. Vieles wird weggedrückt und kommt an anderer Stelle zum Vorschein. Oßwald zählt auf: Plötzlich leiden Kameraden unter Schlaflosigkeit, greifen zur Flasche, werden sonderbar. Alles Gründe, um einen neuen Schritt zu tun. So wurde aus dem Heizungsbauer und Brandmeister der Seelsorge mit dem hellen Kreuz auf der Jacke.
Beim Einsatz hat er zwei Aufgaben
Aber wie geht das zusammen? Der Handwerker als Katastrophen-Pastor? Oßwald lächelt, wenn er Fragen aus dieser Richtung hört. Er ist Seelsorger ohne Theologiestudium. Das benötigt er auch nicht. Am Unfallort predigt er nicht, er liest nicht aus den biblischen Schriften vor, weil es in diesem Moment fehl am Platz wäre. Beim Einsatz hat er vielmehr zwei Aufgaben: Er fährt den Einsatz mit. Und er hält Augen und Ohren offen, wo er helfen kann.
Dafür braucht er gute Nerven und ein ausgeglichenes Naturell. Der Tröster der Feuerwehrmänner muss vor allem gut zuhören können. Er soll weniger gute Ratschläge geben ("An Ihrer Stelle würde ich...") als die Betroffenen reden lassen – von Brand und Verlust, Schmerz, Abschied. Oßwald hat nie bereut, dass er diese spezielle Richtung eingeschlagen hat. "Der Bedarf ist da", sagt der bedächtige Mann.
Die Seelenarbeit nach Katastrophen und schweren Unfällen wurde zuerst in den USA praktiziert. "Feuerwehrleute sind Helden oder wollen immer Helden sein", berichtet ein anderer Notfallseelsorger, Michael Radigk aus Villingen-Pfaffenweiler, aus der Praxis. Sobald sie sich aus ihrer Schutzkleidung schälen und in den Alltag zurückgehen, kommt der Schrecken zurück.
Was ist am schwierigsten?
"Manche sagen zu mir: Ich will mir dir reden", berichtet Radigk, heute 67 Jahre alt. In seiner aktiven Zeit hat er etwa 1500 Einsätze begleitet. "Am Anfang wurde ich noch weggeschickt", berichtet Radigk schmunzelnd. Später nicht mehr. Da gehörte der hauptamtliche Diakon bereits dazu, weil auch starke Männer schwach sein dürfen.
Seelsorge und Statistik? In Deutschland kein Widerspruch. Michael Oßwald legt die Zahlen für 2017 auf den Tisch. Jeder Landkreis dokumentiert seine Einsätze. 135 Einsätze sind für den Kreis Konstanz verzeichnet. Was ist am schwierigsten? Er zeigt auf die Spalte "Plötzlicher Säuglings- oder Kindstod". Jeder Feuerwehrmann fürchtet das. "Alles mit Kindern hat eine andere Dimension", sagt er leise.
Es kann wie im Alptraum ablaufen: Die Eltern finden das Kind tot im Bett auf. Der Notarzt stellt den Tod fest. Dann erhalten sie den Besuch von Kriminalpolizei und Notfallseelsorger. Die Polizei nimmt das Kind mit, und der Seelsorger muss erklären, warum. Ein Härtefall.
Überhaupt das Erklären. Oßwald und Kollegen überbringen regelmäßig Todesnachrichten. "Das ist eine hoheitliche Aufgabe der Polizei", erklärt er. Bei diesem traurigen Gang sind sie zu zweit. Wie überbringt man diese Nachricht? Er sagt: "Dafür gibt es keinen Standardtext. Wir sprechen je nach Situation, und die ist unterschiedlich. Wen treffe ich an, und in welchem Umfeld steckt er?"
Oßwald eignet sich nicht fürs Pathos. Im Moment läutet das Telefon. Auf der Baustelle ist ein Rohr geplatzt. Jetzt ist der Fachmann für Heizung und Sanitär gefragt. Im Blaumann eilt er davon. Den Melder hat er im Sack.