Herr Palmer, überrascht Sie die Vergewaltigung einer jungen Frau in Freiburg?
Nein. Leider steht diese Tat nicht allein. Sie steht in einer Reihe ähnlicher Straftaten, bei denen die Tatverdächtigen Geflüchtete sind, die davor schon straffällig waren und polizeibekannt sind. Wir müssen früher eingreifen, um solche Opfer zu vermeiden.
Was heißt das? Wie wollen Sie solche Kriminalität vermeiden?
Die AfD und ihre Anhänger verlangen eine sofortige Abschiebung, am liebsten für alle. Doch dagegen steht zum Glück das Grundgesetz. Härtere Strafen gehen auch nicht, sonst müssten wir unseren liberalen Rechtsstaat aufgeben und für Kleindelikte Gefängnisstrafen verhängen. Deswegen brauchen wir eine Lösung im Asylrecht selbst. Hier ist die Hürde bisher sehr hoch: Erst aus einer Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis kann eine Abschiebung folgen.. Deshalb schlage ich vor, dass die Personen, die bereits auffällig geworden sind, in Sichere Landeseinrichtungen verwiesen werden, wo man sie in Schach halten könnte.
Was heißt das? Eine Art Gefängnis?
Nein, kein Gefängnis, aber eine deutliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
Wie würde das aussehen?
Die einschlägig bei der Polizei bekannten Flüchtlinge erhalten eine Wohnsitzauflage. Das schränkt ihren Radius ein. Und sie erhalten Sachleistungen statt Geld, sie müssten also schon wegen der Mahlzeiten in der sicheren Einrichtung sein. Es dürften nicht zu viele in einer Unterkunft wohnen, so etwa 200 bis 300 Menschen. Die Unterkunft wäre nachts mit einer Ausgangssperre bewehrt. Und man benötigt viel Personal für die Sicherheit. Meiner Meinung kann man so die Gefahr weitgehend neutralisieren, die von dieser Gruppe ausgeht.
Wie beschäftigen Sie diese Leute dann?
80 Prozent der Flüchtlinge sind auch jetzt ohne Beschäftigung. Wer seine Chance nicht nutzt, sich in den Städten zu integrieren, der verliert den Anspruch auf Bewegungsfreiheit. Die Asylverfahren würden dennoch ordentlich weitergeführt. Nur wird die lange Zeit, bis es entschieden ist, nicht zur Risikophase. Es geht darum, die rechtsstaatlichen Standards einzuhalten, ohne dieser Risikogruppe alle Freiheiten zu lassen, schwere Straftaten zu begehen.
Sachleistung statt Geld. Erhalten Asylbewerber denn zu viel Geld?
Nein, aber es ist natürlich attraktiver selbst Geld auszugeben als in einer staatlichen Einrichtung drei Mal am Tag Essen zu bekommen. Das wäre eine Form der Sanktion. Diese jungen Männer merken doch, dass sie nicht bestraft werden, wenn sie etwas anstellen. Hier muss ein Riegel vor.
Das Land zögert mit dieser Einrichtung, warum?
Weil sie etwas ganz Neues wäre, richtig. Dabei werden die Probleme erst jetzt sichtbar. Der Widerstand dagegen ist groß, die Gegner Links sprechen von einem Straflager, das nicht vereinbar sei mit dem Gleichheitsversprechen des Grundgesetzes. Das ist falsch. Ich glaube, wir sollten hier pragmatisch vorgehen. Das Hauptproblem wird der Standort sein. Niemand will eine solche Einrichtung in seiner Gemeinde platziert haben. Ich wäre deshalb bereit, eine solche Unterkunft im Tübinger Stadtgebiet zu akzeptieren. Mit verschärfter Polizeipräsenz natürlich und nächtlicher Ausgangssperre.
Vor einigen Tagen forderten Sie eine Wohnsitzauflage.
Die gibt es schon. Sie dient dazu, Flüchtlinge gleichmäßig und damit gerecht zu verteilen. Das gleiche Instrument könnte genutzt werden, um die Sichere Landeseinrichtung als Wohnsitz festzulegen. Nur eben gezielt für die straffälligen Asylbewerber, mit denen wir in den Städten und Gemeinden nicht selbst klar kommen.
Wie halten Sie das in Tübingen?
Im kleinen Maßstab versuchen wir bereits, gewaltbereite Asylbewerber unter besondere Aufsicht zu stellen. –Wir haben für eine Unterkunft einen 365-Tage- Sicherheitsdienst engagiert, der uns als Kommune jährlich 300 000 Euro kostet. Für die Sicherung der Stadt reicht das nicht. Wir dürfen keine Ausgangssperre verhängen. Wir haben in Tübingen ähnliche Probleme. In dieser Unterkunft wohnte zeitweise auch ein Serienvergewaltiger. Doch haben wir damit einen gewissen Zugriff auf kritische Fälle.
Auch in Tübingen operieren Sie am Limit?
Ich sehe, dass auf der Landkarte der vergleichbaren Fälle immer mehr Städte betroffen sind. Ich will dieser Form der Kriminalität vorbeugen, wo es nur geht. Wir sind nicht blind für die Gefahr. Doch haben wir als Städte zu wenig Instrumente, deshalb brauchen wir das Land.
Ihre Partei sieht den Boris Palmer kritisch.
Das kommt immer drauf an, wo Sie wen fragen. Wenn ich mich in den Kommunen umhöre, wo dieselben Fragen wie in Tübingen auftauchen, erfahre ich auch von Grünen sehr viel Unterstützung. Aber Sie haben schon Recht: Meine weitgehenden Vorschläge beißen sich mit dem grünen Parteiprogramm und mit dem Bild, das wir von Geflüchteten haben. Wir dachten: Wer selbst Hilfe sucht, wird schon friedlich sein. Nun stellen wir fest, dass diese Annahme für eine kleine Minderheit nicht zutrifft. Auf dieses Verhalten haben wir noch keine Antwort gefunden.
Wie machen Sie Ihre Linie den Grünen schmackhaft?
Ich versuche es meiner Partei leichter zu machen, indem ich einen Doppelpack anbiete. Wir haben an zwei Seiten ein Problem: Einerseits mit straffälligen Asylbewerbern, die wir nicht hart genug anfassen. Andererseits mit denen, die anständig sind und doch abgeschoben werden, obwohl sie sich nichts zuschulden kommen lassen. Ich nenne meinen Vorstoß einen doppelten Spurwechsel, also: Die Straffälligen sollen raus aus dem Bewegungsfeld Stadt und rein in die Sichere Einrichtung. Der andere Spurwechsel führt heraus aus der Mühle der Ablehnung und Abschiebung – diese Flüchtlinge sollen ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten und arbeiten können, auch wenn der Asylantrag abgelehnt wurde
Einen straffälligen Asylbewerber kann man erst aber einer Haftstrafe ab einem Jahr ausweisen. Ist das noch zu großzügig bemessen?
Diese Grenze würde ich nicht senken. Sie wurde bereits von drei Jahren auf ein Jahr heruntergesetzt. Wenn man den Asylstatus verliert, weil man schwarzgefahren ist, geriete etwas in Schieflage. Das will ich nicht. Es sind nicht weitere Gesetzesverschärfungen gefragt, sondern eine wirksame Trennung von gewaltbereiten Flüchtlingen und solchen, die sich bemühen und die friedlich sind. Damit tun wir vor allem etwas für die friedfertigen Flüchtlinge und die Akzeptanz des Asylrechts.
Fragen: Uli Fricker
Zur Person
Boris Palmer, 46, ist seit 2007 Oberbürgermeister der Stadt Tübingen. Zuvor saß er im Landtag von Baden-Württemberg und machte sich als Verkehrsexperte einen Namen. In der Flüchtlingspolitik verfolgt er, gespeist aus kommunaler Erfahrung, eine eigene Linie – sehr zum Leidwesen der Grünen.