DANIELA WIEGMANN

Sie ist mehr als 2,50 Meter hoch, wird jedes Jahr dicker und zieht doch noch immer die Blicke der Passanten auf sich: Die Litfaßsäule kommt auch 200 Jahre nach dem Geburtstag ihres Erfinders Ernst Litfaß nicht aus der Mode: Rund 50 000 Säulen stehen auf Deutschlands Straßen und wirken im Smartphone-Zeitalter wie Dinosaurier der Werbung. Für Theater, Zirkusse, Parteien oder kleinere Firmen bleiben die Säulen dank günstiger Preise aber bis heute der beliebteste Werbeträger.

„Die Litfaßsäule hat noch immer ihren festen Platz“, sagt ein Sprecher des Werbevermarkters Ströer, der einen Großteil der Säulen in Deutschland vermarktet. Die Erfindung brachte dem Berliner Buchdrucker Ernst Litfaß nicht nur den Titel „Reklamekönig“ ein: Die Bundesregierung beschloss vor wenigen Monaten, den berühmten Erfinder zum 200. Geburtstag mit einer 20-Euro-Gedenkmünze zu würdigen, die im Juli ausgegeben wird.

Dank der zunehmenden Mobilität der Menschen sind die Litfaßsäulen nach Angaben des Fachverbandes Außenwerbung gerade heute ein gefragtes Medium: „Vieles, was früher indoor war, passiert nun draußen“, sagt eine Sprecherin. Immer mehr junge Menschen verzichten auf das eigene Auto und nutzen Busse und Bahnen. Zudem verbringen sie weniger Zeit zu Hause, weil feste Fernsehzeiten und der heimische PC durch Internet und Smartphone keine Rolle mehr spielen: Für die „Out of home“-Werbung sind das günstige Entwicklungen.

Der Auslöser für die Erfindung der Litfaßsäule war der Wunsch nach Ordnung: Ernst Litfaß, geboren am 11. Februar 1816, ärgerte sich so über den Wildwuchs an Zetteln und Postern in Berlin, dass er am 1. Juli 1855 eine „Annonciersäule“ aufstellte. Wenig später klebten Tanzlokale, Weinstuben und Theater ihre Aushänge ordentlich an die Säulen statt an Bäume und Hauswände – die Litfaßsäule war geboren und gilt bis heute als Start der Plakatwerbung. Den Namen ihres Erfinders trägt sie noch immer in alter Schreibweise: Denn da es sich um einen Eigennamen handelt, schreibt sich die Litfaßsäule laut Duden auch nach der Rechtschreibreform noch immer mit ß.

Berlin bleibt Litfaß-Zentrum

Lithographie um 1855, "Berlins neue Anschlag-Saeulen"
Lithographie um 1855, "Berlins neue Anschlag-Saeulen" | Bild: akg-images (epd)

Berlin ist bis heute auch Hauptstadt der Litfaßsäulen: Allein dort gibt es nach Angaben des Werbevermarkters Draußenwerber mehr als 3000 Litfaßsäulen. Besonders an gefragten Plätzen wie dem Alexanderplatz oder dem Hackeschen Markt sind die Werbeflächen gut gebucht. „Die Litfaßsäulen sind effizient und haben eine hohe Reichweite“, sagt Geschäftsführer Marc Bieling, der dem „Reklamekönig“ Ernst Litfaß auch aus heutiger Sicht eine herausragende Idee bescheinigt. „Die traditionelle Litfaßsäule mit geklebten Plakaten ist weiterhin das Werbemedium für Kultureinrichtungen aller Größen und Arten.“ Der Platz für aufgeklebte Plakate koste zum Teil weniger als einen Euro pro Tag - und sei somit auch für kleinere Kulturbetriebe interessant. Aber auch große Firmen setzen nach Angaben des Fachverbandes Außenwerbung als Teil großer Werbekampagnen auf die bewährten Säulen – wählen dafür aber auch gerne die neuen Versionen mit Verglasung, Beleuchtung und digitalen Werbefenstern. Die gute alte Litfaßsäule bleibt hingegen eine Handarbeit: Mehr als 150 Plakatpapier-Schichten werden übereinanderklebt, bevor sie abspecken muss: Alle paar Jahre rücken die Plakatkleber ihr mit der Motorsäge zu Leibe und erleichtern die Säule um ihr Hüftgold, das sie im Laufe der Zeit angesetzt hat: die Schwarte, wie die Papierschicht in der Werbebranche heißt.In Nürnberg halten Litfaßsäulen seit Neuestem auch noch für andere Zwecke her: Im November nahm die Stadt die erste Litfaßsäulen-Toilette Bayerns in Betrieb: Draußen Werbung, drinnen steckt ein Klo.
 

Beginn als Zeitung der armen Leute

Ernst Litfaß (1816 - 1874): Er gilt auch 200 Jahre nach seinem Geburtstag als König der Reklame: Der Buchdrucker stellte 1855 in ...
Ernst Litfaß (1816 - 1874): Er gilt auch 200 Jahre nach seinem Geburtstag als König der Reklame: Der Buchdrucker stellte 1855 in Berlin-Mitte die erste Säule für Annoncen auf. Er verpflichtete sich, stets die neuesten Verordnungen und Bekanntmachungen der Stadt anzukleben. Mobilmachungen, Wahlaufrufe oder Heiratsankündigungen hoher Herrschaften wurden dort ausgehängt. Ärmere Menschen konnten sich im 19. Jahrhundert keine Zeitung leisten: Sie liefen zur nächsten Litfaß-Säule, um sich zu informieren. Bald nach 1855 gab es in vielen größeren Städten Deutschlands Litfaßsäulen. | Bild: dpa


Dinge mit Erfinder-Namen: Man spricht von Otto- und Dieselmotor, wenn man die grundlegenden Motor-Typen von Pkw meint. Der Benziner ist nach Nicolaus August Otto (1832–1891) benannt, der Selbstzünder nach Rudolf Diesel (1858–1913). Die Guillotine, ein Hinrichtungsfallbeil, heißt nach ihrem Konstrukteur Joseph-Ignace Guillotine (1738–1814). Wer von einer HiFi-Anlage mit Dolby-Surround-System spricht, weiß meist nichts von Ray Dolby (1933–2013), Gründer der US-Firma Dolby Laboratories. Das russische Sturmgewehr AK 47 ist viel bekannter unter dem Namen ihres Entwicklers: Michail Kalaschnikow (1919–2013). Für den Schrebergarten stand der Leipziger Arzt Moritz Schreber (1808–1861) einst Pate. (mic)