Paul Jaray war nie ein erfolgreicher Geschäftsmann. Aber er war ein genialer Ingenieur, ohne den die Technikgeschichte der Stromlinienform anders verlaufen wäre: Schon zu Beginn er 1920er-Jahre hatte er aerodynamische Autos entworfen, deren Grundform bis heute die Basis des Karosseriebaus bilden. Dabei kam Jaray eigentlich von der Flugzeugkonstruktion: Ab 1912 arbeitete er bei der Flugzeugbau Friedrichshafen, ab 1914 dann bei der Luftschiffbau Zeppelin GmbH, ebenfalls in Friedrichshafen – hier wie dort als Experte für Aerodynamik. Damit ist die Stadt am See mit der Geschichte der Stromlinienform eng verbunden. Ausgehend von der Luftfahrt griff die Suche nach der idealen aerodynamischen Form nicht nur auf den Automobilbau über, sondern auch auf Schiffe, Omnibusse, Eisenbahnen und Motorräder.

Kein Fortbewegungsmittel kam der stromlinienförmigen Idealform allerdings von Anfang an so nahe wie das Luftschiff. Während der Benz Patent-Motorwagen kaum noch als Urahn eines heutigen Autos zu erkennen ist, wurde schon 1783 vom Franzosen Jean-Baptiste Meusnier der Plan eines ovalen Luftschiff entworfen. 26 Jahre später lieferte der Engländer George Cayley die Grundprinzipien des aerodynamischen Fliegens nach: Er hatte Fische und Boote beobachtet und daraus intuitiv einen „Körper des geringsten Widerstands“ abgeleitet.

In der Ausstellung „Strom-Linien-Form“ behandelt das Zeppelin-Museum in Friedrichshafen das Thema in seiner ganzen Breite. Attraktiv wird die große, von Jürgen Bleibler kuratierte Schau durch eine Vielzahl von Automobilen und Motorrädern, die so wohl nie wieder zusammenfinden. Manche wurden nachgebaut, weil sie nicht mehr existieren, wie etwa der von Jaray entworfene Audi Front UW Stromlinienwagen (1934), andere wurden in extrem kleiner Stückzahl gebaut – der ausgestellte Opel GT Dieselrekordwagen aus den 70ern blieb als ein rein auf Temporekorde ausgelegtes Fahrzeug gar ein Einzelstück.

Aerodynamische Form reduziert Widerstand

Egal ob es fährt, fliegt oder schwimmt – ein aerodynamisches Fortbewegungsmittel reduziert den Luft- oder Wasserwiderstand. Dadurch verringert sich sein Energiebedarf, es erreicht höhere Geschwindigkeiten und kann größere Entfernungen zurücklegen. Kein Wunder, dass die Aerodynamik bis heute ein Forschungsfeld geblieben ist, wenngleich die großen Entwicklungssprünge getan sein dürften. Das gilt auch für die Untersuchungsmethoden: Nach wie vor wird die Aerodynamik im Windkanal getestet – den ersten hatte Gustave Eiffel, der Konstrukteur des Eiffelturms, schon 1909 realisiert.

Bereits in den 1920er-Jahren war in Deutschland das Straßennetz gut ausgebaut, aber die Fahrzeugmotoren waren noch relativ schwach. Die Stromlinienform half, höhere Geschwindigkeiten zu erreichen. Im Dritten Reich wurden Geschwindigkeits- und Reichweitensteigerungen zur nationalen Prestigesache. Es galt, Rekorde zu brechen, um technische Überlegenheit zu demonstrieren. In der Ausstellung zeigen Motorräder von den 1930er- bis in die 1960er-Jahre den Weg zur Vollverkleidung der Maschinen. Der Rekordfahrer Ernst Henne aus dem Allgäu schmiegte sich 1931 noch geduckt mit einem stromlinienförmigen Trichter am Hintern an seine BMW 750. Mit Balsaholz und Klebeband hatte auch er sein Motorrad schon stromlinienförmig getrimmt und im Windkanal der Luftschiffbau Zeppelin Strömungsuntersuchungen angestellt, doch bald wurde die aerodynamische Forschung ausgebaut: Den Motorrädern wuchsen Ummantelungen, sie wurden für den Fahrer zur geschlossenen Kabine. So glich die NSU Delphin, mit der Wilhelm Herz 1951 fast 290 km/h erreichte, schließlich einem jener Fische, an dem George Cayley 1809 die ideale Strömungsform abgelesen hatte.

Besonders populär war die Stromlinienform bei den Käufern von Autos nicht. Vergleicht man die in den 20ern und 30ern beliebten Kotflügelkarossen mit den windschlüpfrigen Entwürfen von Paul Jaray, der aufs Design keine Rücksicht nahm, müssen solche Autos ein Schock gewesen sein. Entsprechend schlecht verkauften sie sich. Sämtliche Limousinen der Oberklasse, die im Zeppelin-Museum gezeigt werden, schmeicheln zwar heutigen Sehgewohnheiten, aber damals wurden sie nur in sehr kleiner Stückzahl produziert. Erst in Gestalt des „Autos für die kleinen Leute“ fand die neue Ästhetik ihren Absatz: dem von Adolf Hitler vorangetriebenen „Kraft durch Freude“-Wagen, dem VW-Käfer.

Die Ausstellung

Die Austellung „Strom-Linien-Form. Die Faszination des geringen Widerstands“ ist bis 17. April 2017 im Zeppelin-Museum Friedrichshafen zu sehen. Öffnungszeiten sind: Dienstag bis Sonntag jeweils von 10 bis 17 Uhr. Die Eintrittspreise: Erwachsene 9 Euro, Rentner 8,50 Euro, Kinder (6 bis 16 Jahren) 4 Euro, Ermäßigt 5 Euro. Im Rahmenprogramm zur Ausstellung finden donnerstags um 19 Uhr kostenlose Vorträge statt. Der Oldtimer-Spezialist Friedrich Kanamüller spricht am 8. Dezember über die „Höhen und Tiefen einer Stromlinien-Restaurierung“; Stefan Knittel behandelt am 12. Januar „Weltrekordfahrten auf dem Motorrad“; Jürgen Bleibler spricht am 2. Februar über „Fliegende Züge im Windkanal“. Das Gesamtprogramm zur Ausstellung: http://www.zeppelin-museum.de

 

Was Besucher der Ausstellung zur Stromlinienform im Zeppelin Museum in Friedrichshafen erwartet, erfahren Sie im Video: