Die Flüchtlingskrise hat die Republik reizbar gemacht. Die Stimmung im Land ist angespannt, die Verunsicherung groß. Das wissen auch die Koalitionäre im Bund. Ihre Antwort: Sie liefern sich einen Überbietungswettbewerb beim Ruf nach Gesetzesverschärfungen – und werfen dabei zum Teil gerade Beschlossenes über Bord. Hilft das weiter?
Eine ganze Palette an Gesetzesänderungen
In den vergangenen Monaten hat die Bundesregierung quasi im Akkord Änderungen im Asylrecht auf den Weg gebracht, an Aufenthalts-Paragrafen und am Ausländerrecht geschraubt. Konfrontiert mit rasant wachsenden Flüchtlingszahlen beschloss Schwarz-Rot ein Gesetzespaket nach dem anderen – stets ein Mix aus ein paar Verbesserungen und rigiden Verschärfungen. Oppositionspolitiker nennen das „Zuckerbrot-und-Peitschen-Politik“. Doch inzwischen sind die Restriktionen in der Überzahl. Und nach Köln sollen weitere hinzukommen, wenn es nach Politikern von Union und SPD geht.
Dass in der Silvesternacht Männergruppen vor dem Kölner Hauptbahnhof randalierten, klauten, Frauen belästigten und begrapschten – nach bisherigen Erkenntnissen wohl überwiegend Migranten und auch Asylbewerber –, nimmt Schwarz-Rot zum Anlass, eine ganze Palette an Gesetzesänderungen vorzuschlagen. Kriminelle Asylbewerber sollen schneller ausgewiesen werden. Nach dem Willen des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel sollen sie auch häufiger ihre Haft in der Heimat absitzen. Zitat Gabriel: „Warum sollen deutsche Steuerzahler ausländischen Kriminellen die Haftzeit bezahlen?“ Dabei wurde das Ausweisungsrecht gerade erst umgebaut und verschärft.
Union und SPD wollen auch nach der Anerkennung über den Wohnort von Flüchtlingen bestimmen
Außerdem reden Union und SPD darüber, nicht nur Asylbewerbern, sondern auch anerkannten Flüchtlingen vorzuschreiben, wo sie leben dürfen – damit nicht alle geballt in die großen Städte ziehen, so die Argumentation. Dabei hatten die Koalitionäre erst vor gut einem Jahr beschlossen, dass sich Asylsuchende freier in Deutschland bewegen können. Erst also eine Lockerung der Residenzpflicht für Asylsuchende – nur um nun eine weitaus strengere „Wohnsitzauflage“ auch für anerkannte Flüchtlinge einzuführen? Der Handlungswillen scheint so groß, dass es auf einen roten Faden in der Asylpolitik offenbar weniger ankommt. Das war auch beim Familiennachzug so, der erst gelockert wurde und nun wieder eingeschränkt werden soll.
Union und SPD erinnern sich jetzt auch an ein Projekt, das seit dem Sommer in der Ressortabstimmung versunken ist: eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Das wollen die Bündnispartner voranbringen.
Die Union tut sich in der Debatte am meisten hervor. Doch SPD-Chef Gabriel will CDU und CSU bei der inneren Sicherheit nicht das Feld überlassen und macht sich mit dem Ruf nach „null Toleranz“ bemerkbar. Die Opposition spottet, Gabriel sei „auf Seehofer-Kurs“. Einige Sozialdemokraten sind da weit vorsichtiger. SPD-Vize Ralf Stegner oder SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann etwa sehen keinen Bedarf, das gerade erst überarbeitete Ausweisungsrecht gleich noch mal anzufassen. Auch die Option, dass ein krimineller Ausländer seine Haft in der Heimat verbüßt, existiere bereits, so Oppermann. Es gebe kein Defizit bei den Gesetzen, sondern bei deren Vollzug.
Die Opposition schimpft, die Reaktion der Koalition sei aktionistisch und gefährlich. Die Forderungen nach schärferen Gesetzen seien „unverantwortlicher Stammtischpopulismus“, so die Linke-Innenpolitikerin Ulla Jelpke.
Aufruf von Feministinnen
Ein Aufruf von Feministinnen gegen sexualisierte Gewalt nach den Silvester-Angriffen in Köln findet im Internet immer mehr Unterstützer. Unter dem Hashtag #ausnahmslos solidarisierten sich gestern im Kurznachrichtendienst Twitter zahlreiche Menschen mit den Initiatorinnen - auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). "Gemeinsam gg Sexismus und Rassismus. Nicht nur Frauen u erst recht nicht erst seit #koelnbhf, sondern #ausnahmslos", schrieb er. Den Aufruf "Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. #ausnahmslos" verfassten mehrere Feministinnen, darunter die Autorin und Aktivistin Anne Wizorek. Damit wollen sich die Verfasserinnen und Unterzeichner gegen Populisten wehren, die die Übergriffe auf Frauen an Silvester in Köln für ihre Zwecke benutzen. "Es ist für alle schädlich, wenn feministische Anliegen von Populistßinnen instrumentalisiert werden, um gegen einzelne Bevölkerungsgruppen zu hetzen, wie das aktuell in der Debatte um die Silvesternacht getan wird", heißt es auf der Webseite der Initiatoren. Bis Montagnachmittag hatten mehr als 400 Menschen den am Montagmittag gestarteten Aufruf unterzeichnet, darunter Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), Grünen-Politikerin Claudia Roth und Linken-Chefin Katja Kipping. (dpa)