Frau Jung, warum wollten Sie die Rolle der Ärztin Judith in „Das Menschenmögliche“ unbedingt spielen?

Zum einen hat mich das Drehbuch sehr berührt. Die Geschichte ist unheimlich gut und gewissenhaft recherchiert und ganz nah dran an der Realität. Zum anderen hat mich überzeugt, mit wie viel Leidenschaft die Regisseurin Eva Wolf hinter dem Thema steht.

Judith unterläuft während ihrer Arbeit in der Notaufnahme eines Krankenhauses ein Fehler, eine Patientin stirbt. Hat diese Rolle länger nachgewirkt als andere? Oder lassen sie so etwas als Schauspielerin gar nicht an sich heran?

Doch! Das gehört für mich zum Beruf, dass man alles nah an sich ranlässt. Aber das gilt für jede Figur, die ich spiele. Was mich persönlich bei „Das Menschenmögliche“ aber wirklich sehr berührt hat, waren die Gespräche, die ich für den Film geführt habe. Viele Menschen haben etwas Ähnliches erlebt und können sehr gut nachempfinden, wie es Judith geht nach dem, was passiert ist.

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War es für Sie beim Dreh von Vorteil, dass Sie selber Ärztin sind?

Es war natürlich ein Vorteil, weil ich so vor dem Dreh nicht zwei Monate in eine Klinik gehen musste, um zu recherchieren. Wenn man die Handgriffe kennt, macht das die Arbeit an so einem Film natürlich leichter. Es ist auch ein Unterschied, ob man ein paar Mal in die Notaufnahme geht oder ob man Medizin studiert hat und vielleicht ein paar Jahre in der Notaufnahmen gearbeitet hat. Aber es ist auch eine große Herausforderung, weil man ganz anders an die Sache rangeht. Man spürt eine besondere Verantwortung und will einfach alles richtig machen. Ich musste manchmal wirklich aufpassen, dass ich als Schauspielerin bei der Rolle bleibe und nicht anfange, im Hintergrund die Requisiten umzustellen. (lacht)

Woher kam bei Ihnen der Wunsch, Ärztin zu werden?

Ich muss gestehen: Ich weiß es nicht. Aber es ist so, dass meine Mutter, als ich klein war, als Kinderkrankenschwester gearbeitet hat. Heute ist sie Musiktherapeutin und arbeitet mit Kindern in einer Klinik. In meiner Familie gibt es Ärzte, auch Kinderärzte. Von daher war der Beruf in meinem Leben immer da. Aber dass ich als Kind mal gesagt habe „Ich möchte Ärztin werden!“, daran kann ich mich nicht erinnern. Für mich stand, seit ich elf bin, das Schauspiel im Vordergrund. Aber als ich das Abitur gemacht hatte und mein Sohn auf der Welt war, da wurde der Wunsch, auch noch etwas anderes zu machen, größer.

Was können Sie aus Ihrer Erfahrung sagen: Zeigt „Das Menschenmögliche“ den Alltag von Ärzten realistisch?

Natürlich kommt es immer darauf an, in welcher Klinik man arbeitet und auf welcher Station. Es gibt sicher Krankenhäuser, die sehr gut organisiert sind und wo sich die Arbeitsbelastung in Grenzen hält. Und es gibt bestimmt auch solche, wo es noch schlimmer zugeht als in unserem Film. Aber als Arzt steht man immer unter Druck. Selbst in gut organisierten Kliniken ist es schwer, so viele Dinge gleichzeitig machen zu müssen, so viel Verantwortung zu tragen und trotzdem Mensch zu bleiben im Umgang mit den Patienten – als Mensch aber keine Fehler machen zu dürfen.

Haben Sie als Ärztin dramatische Situationen erlebt?

Schon … Aber ich muss sagen, ich habe persönlich bisher unheimliches Glück gehabt. Ich habe zwei Jahre in einer Klinik als Kinderärztin gearbeitet, und das waren zwei sehr gute Jahre. Ich habe aber auch sehr bewusst geschaut, wo ich mich bewerbe – aus dem Studium kannte ich Kliniken, an denen ich mich sicher nicht freiwillig beworben hätte.

Sie haben vor Kurzem gesagt, Sie hatten eigentlich gehofft, die Arbeit als Schauspielerin und als Ärztin unter einen Hut zu bekommen, haben sich dann aber doch von dem Gedanken verabschiedet. Wie sehen Ihre beruflichen Pläne aus?

Im vergangenen Jahr habe ich „Das Menschenmögliche„ gedreht und bin dafür von der Klink freigestellt worden. Als Ärztin arbeiten und nebenher drehen – das funktioniert nicht. Trotzdem war es auch so ein Spagat, weil beides Berufe sind, die man mit vollem Einsatz und wirklich hundert Prozent Leidenschaft machen muss. Ansonsten ergibt keiner der beiden Berufe für mich einen Sinn, man wird keinem der Berufe gerecht. Von daher habe ich für mich entschieden, dass ich dem Filmemachen noch einmal Raum geben muss. Ich habe es einfach zu sehr vermisst. Und dann muss man sehen, was kommt. Vielleicht schaffe ich es ja doch noch, beide Berufe zu vereinbaren?

„Das Menschenmögliche“ wurde in Stuttgart gedreht. Wie hat Ihnen die Stadt gefallen?

Das war ja der Jahrhundertsommer vergangenes Jahr – und in meiner Erinnerung gibt es Stuttgart nur mit Sonne. Nach Feierabend war ich im Freibad oder bin mit dem Moped rumgefahren, das war eine gute Zeit. Aber meistens habe ich ja wirklich gedreht. Ich bin in jeder Szene, das heißt, ich war jeden Tag von morgens bis abends am Set. Wahnsinnig viel konnte ich da außerhalb der Arbeit gar nicht erleben in Stuttgart. Aber es bleibt in meiner Erinnerung eine sehr sonnige Stadt mit leckerem Essen und netten Menschen.

Eigentlich wollte ich Sie fragen, wie man so einen Dreh als Mutter von zwei Kindern überhaupt stemmen kann. Aber Sie sind ja schon sehr jung Mutter geworden und müssen sich keine Gedanken mehr um die Kinderbetreuung machen, oder?

Meine Kinder wohnen zwar beide noch zu Hause. Aber sie sind jetzt wirklich schon groß und haben mich völlig selbstständig in Stuttgart besucht. Es war in dieser Hinsicht der entspannteste Dreh, den ich je hatte. Das war vor fünf oder zehn Jahren noch ganz anders.

Sind Sie froh, dass Sie so früh Mutter geworden sind?

Ja, ich bin froh, weil ich meine Kinder natürlich wahnsinnig liebe und mir mein Leben gar nicht ohne sie vorstellen kann. Wenn mir meine Tochter mit 18 eröffnen würde, dass sie schwanger ist, wäre ich vielleicht nicht sofort begeistert, aber ich wüsste auch, dass es damals für mich funktioniert hat. Man macht manche Dinge viel früher, stellt andere zurück, Verantwortung ist ein anderes Thema. Aber vieles kann man auch nachholen, eine Weltreise muss man nicht unbedingt mit 18 machen – die kann man auch mit Mitte 30 machen.

Sie haben als Kind in „In aller Freundschaft“ mitgespielt. Denken Sie gern an die Zeit zurück?

Das ist natürlich ewig lange her … Das ist für mich eine Kindheitserinnerung. Und ich denke gern daran zurück, weil ich das allererste Mal vor der Kamera stand und das natürlich alles wahnsinnig aufregend war. Mit 15, 16 Jahren habe ich wahnsinnig viel Theater gespielt, da träumt man schon davon, dass man das vielleicht irgendwann mal beruflich machen könnte. Aber davon träumen natürlich ganz viele, und eigentlich glaubt man nicht so richtig daran. Als ich dann „In aller Freundschaft“ drehen durfte, war das wirklich etwas Besonderes für mich, einfach ein schönes Gefühl. Aber das war eine ganz andere Zeit damals. Irgendwie war alles langsamer, und die Drehbücher kamen noch per Post. Man musste nicht immer erreichbar sein und von heute auf morgen bei einem Projekt zusagen. Eigentlich war es eine sehr angenehme Zeit, um in den Beruf einzusteigen.

Da standen sie beide ganz am Anfang ihrer Karriere: die Schauspielerinnen Alissa Jung (links) und Nina Gummich mit Filmhund Paulchen ...
Da standen sie beide ganz am Anfang ihrer Karriere: die Schauspielerinnen Alissa Jung (links) und Nina Gummich mit Filmhund Paulchen beim Dreh zur Sat.1-Serie „Körner & Köter“, die Anfang der 2000er-Jahre entstand. | Bild: Nestor Bachmann / dpa

„Das Menschenmögliche“ hatte Premiere beim Filmfest in München. Ist es schön, mal direktes Feedback vom Publikum zu kommen?

Natürlich ist man bei solchen Anlässen aufgeregt – aber ich freue mich trotzdem immer total darauf. Wenn ein Film im Fernsehen läuft, bekommt man auch Feedback, zum Beispiel über die sozialen Medien. Aber im Kinosaal dabei zu sein und zu spüren, wie die Menschen reagieren, das ist schon was ganz Besonderes.

Sie haben einen Verein gegründet, der Schulen in Haiti finanziert. Wie kamen Sie dazu?

Ich mache das jetzt schon seit elf Jahren. Ein Freund von mir war damals als junger Arzt in Haiti und hat mir von einem Projekt erzählt. Ich bin dann auf eigene Faust hingefahren und habe vor Ort so viel erlebt, das ich mir nach der Rückkehr nach Deutschland gesagt habe: „Ich muss mehr machen als nur eine Schirmherrschaft zu übernehmen!“ Ich hatte wirklich das Bedürfnis, etwas Eigenes zu tun – mit meinen eigenen Gedanken, mit meinen eigenen Händen. Und nun gibt es das Projekt „Schulen für Haiti“, aus dem der Verein „Pen Paper Peace“ gewachsen ist. Wir finanzieren aber nicht nur Schulen in Haiti, sondern machen auch Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Es ist wichtig, über den Tellerrand zu schauen, globales Denken zu fördern und Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, ein bisschen anders auf die Welt zu sehen.

Können Sie beziffern, wie viel Zeit Sie in dieses Engagement investieren?

Das habe ich schon oft versucht … Gerade in den Momenten, wenn es ein bisschen zu viel wird, wenn ich denke, ich muss ja auch mal Geld verdienen und kann nicht nur ehrenamtlich tätig sein. Es gibt Phasen, da steckt man auch mal einen ganzen Arbeitstag rein, wenn schnell etwas organisiert werden muss. Und es gibt auch Phasen, wo eher wenig zu tun ist, weil alles gut läuft. Für das Tagesgeschäft haben wir inzwischen eine angestellte Geschäftsführerin, das ist also in guten Händen, sodass ich da eher für die Rücksprachen da bin. Bei wichtigen Entscheidungen, großen Projekten oder grundsätzlichen Dingen bin ich aber immer dabei.

Wie oft sind Sie denn in Haiti?

Eigentlich ein Mal im Jahr. Leider konnten wir in den beiden vergangenen Jahren nicht fahren, weil im Land Unruhen waren. Zuletzt haben wir es im Februar versucht, es war alles gebucht, aber dann haben neue Unruhen begonnen, die nach wie vor anhalten. Wir hoffen, dass wir dieses Jahr noch fahren können, aber da muss man auch vernünftig sein. Ich will weder mich selbst noch die Leute vor Ort gefährden – die sind ohnehin im Stress, da will man sie in einer so angespannten Lage nicht noch mit einem Besuch nerven.

Sie sind auch auf Instagram aktiv. Macht Ihnen das Spaß?

Ich habe zwei Kinder, die mir in dieser Beziehung ein bisschen die Augen geöffnet haben. Ich verdamme die sozialen Medien nicht. Man kann ja zum Beispiel auch nicht sagen, Fernsehen ist per se schlecht. Es geht nicht um das Medium, sondern darum, wie man damit umgeht. Gerade als öffentliche Person mit einem gemeinnützigen Verein ist es doch schön, die sozialen Medien nutzen zu können. Ich merke einfach nur, dass ich als Privatperson nicht dafür gemacht bin. Ich habe es mal mit Facebook versucht, aber das hat mir überhaupt nichts gegeben. Direkt mit Leuten in Kontakt zu sein, gibt mir deutlich mehr. Aber das Ganze als Schauspielerin zu nutzen, finde ich okay. Und es kann ja auch Spaß machen. (lacht) Ich mag Fotos – darum mag ich eigentlich auch Instagram. Nur wenn man stundenlang am Handy hängt, ist das ein Problem. Da muss jeder seinen eigenen Weg finden.