SK

Frau Flor, Sie erhalten am Sonntag den Droste-Preis der Stadt Meersburg. Er ist nach der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff benannt. Hand aufs Herz: Wie sehr ist Ihnen diese Kollegin aus dem 19. Jahrhundert vertraut?

Es war ein seltsamer Zufall: Als ich davon erfuhr, dass ich den Preis bekomme, hatte ich mir zur Recherche für meinen nächsten Roman gerade erst wieder ihre Ballade „Der Knabe im Moor“ angesehen. In der Schule haben wir auch „Die Judenbuche“ gelesen, ich bin mir nicht mehr sicher, ob in vollem Umfang. Was mir nicht bekannt war: Sie war auch Komponistin. Das ist nun wirklich ungewöhnlich für eine Frau in dieser Zeit, dass es ihr gelingen konnte, sich die soziale und finanzielle Infrastruktur zu verschaffen, die es braucht, um diese Kunst ausüben zu können.

Ihr aktueller Roman „Klartraum“ erzählt von der komplizierten und von Anfang an zum Scheitern verurteilten Liebe zwischen der Österreicherin P. und dem Deutschen A., die jeweils noch anderweitig vergeben sind. Man fühlt sich dabei weniger an Droste-Hülshoff erinnert als an die ironische, assoziative und dichte Sprache von Elfriede Jelinek. Täuscht das?

Na ja. Österreichisch, sprachkritisch, politisch und dann auch noch Frau: Da ist der Vergleich mit Jelinek natürlich schon „aufgelegt“, wie man bei uns in Österreich sagt (sinngemäß: „eine ausgemachte Sache“, die Red.). Nun bin ich ja zu einer Zeit aufgewachsen, die von den Kampagnen der Kronen-Zeitung gegen Jelinek und Thomas Bernhard geprägt war. Selbstverständlich habe ich ihre Literatur gelesen und bin mit der sprachkritischen Tradition groß geworden.

In Ihrem neuen Roman zeigt sich die sprachkritische Tradition bei Sätzen wie diesem: „Ein Grundaxiom des Konstrukts, das Instanzen wie uns hervorbringt, lautet: Die Kriterien der Auswahl der Informationspartikel und deren Verknüpfung basieren auf dem Prinzip der Wertfreiheit!“ Was treibt Ihre Heldin dazu, in einer so akademischen Sprache mit immer weiteren Denkschleifen ihr Liebesverhältnis zu durchleuchten?

Es ist der Versuch, mit einer Lebenskrise zurande zu kommen – wobei der Satz nebenbei nicht von P. stammt. Es geht um die Frage: Was bin ich? Und was ist dieses Gefühl der Liebe? Sie will ihre eigenen Emotionen verstehen und befragt sich selbst, was davon mit ihr zu tun hat und was mit dem anderen.

In einem kürzlich erschienenen Essay mit dem Titel „Politik der Emotion“ beklagen Sie einen Hang zum Biedermeier: Die Gesellschaft richtet sich in einem Zustand der Gefühligkeit ein, er zeigt sich im Überangebot an Selbstfindungskursen und Wellnessangeboten. Gilt diese Nabelschau nicht auch für Ihre Figur?

Eher nicht, denn das schonungslose Sicheinlassen auf Liebe ist radikal und voller Risiko und damit letztlich genau das Gegenteil von Krähwinkelgefühligkeit, die sich dadurch auszeichnet, wenig zu wagen. Das hat mich auch an der Konstruktion einer solchen Beziehung ohne jede äußere Sicherheit interessiert – denn darum handelt es sich in „Klartraum“. Und nicht zuletzt aufgrund dieser Radikalität ist das Motiv auch ein klassischer Topos der Literaturgeschichte: Die Liebenden, die glauben, dass ihre Liebe das Einzige ist, was überhaupt von Bedeutung sein kann.

Die Figuren in Ihrem Buch glauben, sie hätten ihr Privatleben unter Kontrolle. Tatsächlich sind alle vermeintlichen Geheimnisse längst aller Welt bekannt: Zeigt sich darin die Ambivalenz unseres heutigen Verständnisses von Privatheit? Einerseits legen wir Wert auf unsere Privatsphäre, andererseits gibt es die im Internet-Zeitalter kaum noch!

Ja, in der Tat. Da zeigt sich, dass diese Vorstellung einer Privatsphäre nur noch eine Illusion ist: Was inzwischen andere so alles über uns wissen, oder, besser gesagt: Was Algorithmen aus unseren Datensätzen so destillieren, ist eine ganz schön unheimliche Menge. Das nimmt man jedoch kaum noch bewusst wahr – da das Datenhinterlassen ja auch unvermeidbar ist -, und im vom eigenen Erleben besessenen Zustand der Verliebtheit schon gar nicht, der ja geradezu was Egomanisches hat...

...egomanisch? Spielt sich Liebe denn nicht zwischen zwei Menschen ab?

Meistens wohl schon. Vielleicht wäre „duomanisch“ besser? Im Ernst: Liebe mag sich zwar zwischen zwei Menschen abspielen. Wer aber liebt, in der oder dem lebt das andere immer nur durch die eigene Wahrnehmung.

Der andere ist also nur eine Art Spiegel?

Zumindest müssen wir uns doch eingestehen, dass es fast unmöglich ist, einen anderen Menschen wirklich kennenzulernen. Kaum geht die Person, mit der ich zusammenlebe, zur Tür hinaus (oder online), da könnte sie auch schon Verhaltensmuster an den Tag legen, die mir völlig unbekannt sind. Was weiß ich wirklich? Das Wissen über einen anderen Menschen ist grundsätzlich begrenzt. Und für eine so heimliche Form von Beziehung, wie ich sie in meinem Roman beschreibe, gilt das natürlich umso mehr.

Vor allem, wenn eine solche Beziehung von Sprachlosigkeit geprägt ist. Im Roman wird der Mann mit seinen Sorgen von der Partnerin nicht wirklich ernst genommen: Warum ist das so?

Dem möchte ich widersprechen, ich würde eher sagen: Seine Sorgen und Beweggründe werden kaum thematisiert. Das liegt aber vor allem daran, dass er seine Gefühle schlicht nicht zum Ausdruck bringt. Man erfährt nur das, was die Protagonistin P. erfährt, und das ist eben nicht sehr viel. A., die männliche Hauptfigur, verschanzt sich hinter seinem Schweigen, das scheint ihm probat und sicher. Als mit Finanz- und Einflusskonstruktionen jonglierender Akteur lebt er schließlich in einer Welt, in der Geheimniskrämerei Teil des Geschäftsprinzips ist. Dennoch spürt er wohl, dass er sich selbst beschränkt, er leidet durchaus. Er hat sich über seinem Berufsleben teilweise selbst verloren und kann sich nicht mehr wirklich ausdrücken, weiß wohl auch gar nicht mehr, was er da überhaupt zum Ausdruck bringen könnte.

Ist das ein Grundproblem unserer Zeit? Eine im Neoliberalismus verdichtete Arbeitswelt, in der wir uns vor lauter Selbstoptimierung am Ende gar nicht mehr wiedererkennen?

Eine ganz einfache Antwort: Ja!

Fragen: Johannes Bruggaier

Der Droste-Preis der Stadt Meersburg wird am Sonntag, 13. Mai, um 11 Uhr im Neuen Schloss verliehen. Bereits am Samstag, 12. Mai, findet um 20 Uhr im vineum eine Lesung der beiden Preisträgerinnen (der Förderpreis geht an Julia Weber für ihren Roman „Immer ist alles schön“) statt. Weitere Informationen unter www.meersburg.de 

Wie klingt Olga Flor live? Hier liest sie aus ihrem Buch „Die Königin ist tot“:

 

 

 

Zur Person

  • Die Autorin: Olga Flor, 50, geboren in Wien, studierte von 1986 bis 1993 Physik und Kunstgeschichte, arbeitete anschließend im Multimedia-Bereich. Als Autorin trat sie erstmals 2002 mit ihrem Romandebüt „Erlkönig“ in Erscheinung. 2003 nahm sie am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil. 2008 folgte eine Nominierung auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis mit „Kollateralschaden“. Weitere bekannte Werke sind „Talschluss“ (2005), „Die Königin ist tot“ (2012) und „Ich in Gelb“ (2015).
  • Das Buch: „Klartraum“ (Jung und Jung) ist Olga Flors sechster Roman. Er handelt von der heimlichen Beziehung der jungen Österreicherin P. zum deutschen Banker A., beide bereits anderweitig vergeben. Schon zu Beginn wird deutlich, dass diese Liebe keine Zukunft hat. Gleichwohl kämpft P in geradezu obsessiven Selbstbefragungen um eine souveräne Haltung zu dieser Situation. Als sich A schließlich entscheidet, bei seiner Familie zu bleiben und die heimlich geführte Zweitbeziehung zu beenden, zeigt sich: Die Ehefrau ist bereits im Bilde. (sk)