Viele glauben, die Bodenseeregion verdanke ihre kulturelle Bedeutung der Schönheit ihrer Natur. Das ist falsch. Wichtiger waren Krieg, Vertreibung und kriminelle Geschäfte. Krieg und Vertreibung haben Künstler wie Erich Heckel und Otto Dix dazu veranlasst, sich fluchtbereit in Schweizer Grenznähe niederzulassen. Dieser Umstand ist bereits bekannt. Neu ist, dass nach den Künstlern auch ein Kunsthandel mit zum Teil mafiösen Strukturen in die Region gekommen ist. Experten vom Friedrichshafener Zeppelin-Museum sind nun der Sache nachgegangen. In einer Ausstellung geben sie Einblicke in die Abgründe eines lukrativen Geschäfts.
Es geht um jüdische Sammler wie Max Strauss, um Museumschefs wie Herbert Hoffmann und um gut vernetzte Händler wie Benno Griebert. Vor allem aber geht es um Bilder wie den „Blumenstrauß“ von Otto Dix, gemalt 1923.
Jahrzehnte hatte das Werk als verschollen gegolten. In den Revolutionswirren von 1989 tauchte es plötzlich wieder auf: in einem Schweizer Zollfreilager. Angeblich soll ein Privatmann aus Prag es dort abgestellt haben. Als das Zeppelin-Museum in Friedrichshafen sich 1990 zum Kauf entschloss, interessierte sich niemand dafür, wo es eigentlich in all den Jahren abgeblieben war.
Die Herkunft eines Kunstwerks, also die sogenannte Provenienz, schien einfach lange Zeit unwichtig zu sein. Seit 2013 ändert sich das dramatisch. Damals fanden Zollfahnder in einer Schwabinger Wohnung mehrere hundert für verschollen gehaltene Bilder. Cornelius Gurlitt, Sohn des im Dritten Reich einflussreichen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, hatte sie seit Ende des Zweiten Weltkriegs versteckt gehalten.
„Wir mussten zuletzt erleben, dass die Tate Gallery in London unsere Leihgabe einer Zeichnung von Otto Dix abgelehnt hat, weil wir deren Provenienz nicht lückenlos nachweisen konnten“, sagt die Friedrichshafener Museumschefin Claudia Emmert. Das Leihgeschäft ist wichtig für ein Museum. Es liegt in seinem eigenen Interesse, die Herkunft seines Bestands so weit zu erforschen, dass es bei möglichen Leihnehmern keine Bedenken mehr gibt.
Normalerweise gibt die Rückseite eines Bildes Aufschluss über seine Geschichte. Bei einem seriös gehandelten Werk verraten Ausstellungs- und Transportzettel, Stempel und Schriftzeichen, wann es wo zu sehen war und in den Besitz welcher Person geraten ist.
Oft wird der Rahmen für solche Markierungen genutzt. Auf Dix‚ „Blumenstrauß“ aber ist nur ein einziger Stempel zu finden: Stockholm 1948. Er befindet sich auf dem Zierrahmen, der offenbar im genannten Jahr komplett ausgetauscht wurde. Wer lässt unmittelbar nach Kriegsende ein Bild neu rahmen und zerstört damit mutwillig sämtliche Angaben zu seiner bisherigen Geschichte?
Fanny Stoye ist Provenienzforscherin am Zeppelin-Museum. Sie hat herausgefunden, dass Dix‚ Galerist Karl Nierendorf den „Blumenstrauß“ 1925 an den jüdischen Rechtsanwalt und Kunstsammler Max Strauss verkauft hat. Unklar ist, unter welchen Umständen der Berliner Jurist das Bild wieder abgegeben hat.
Jüdische Rechtsanwälte sind schon früh ins Visier der Nazis geraten: Nur wenige Monate nach Machtergreifung stürmten Einheiten der SA jüdische Rechtsanwaltskanzleien. Strauss musste 1933 nach Paris flüchten. Als dort 1940 die Deutschen einmarschierten, wanderte er in die USA aus. Emigrationen waren teuer. Bereits seit 1931 gab es eine sogenannte „Reichsfluchtsteuer“, und Kunstbesitz durfte man nicht ohne Weiteres ausführen. Dass der jüdische Anwalt seinen Dix freiwillig verkaufte: Unter diesen Bedingungen erscheint das höchst unwahrscheinlich. Schon eher war er zum Verkauf gezwungen.
Max Strauss starb 1956 in New York. Weder hat er nach Kriegsende Suchanträge gestellt, noch schien er sich überhaupt für den Verbleib seiner einst reichhaltigen Kunstsammlung zu interessieren. „Seine Enkel waren völlig überrascht, als wir ihnen sagten, dass ihr Großvater in den Zwanzigerjahren eine große Kunstsammlung besessen hatte“, sagt Stoye: „Die wussten von nichts!“ Doch das sei typisch für jüdische Sammler, die unter den Nazis ihre Bilder verloren haben. „Sie wollten nach dem Krieg einfach nur noch mit der Vergangenheit abschließen. Und dem Nachkriegsdeutschland trauten sie ohnehin nicht über den Weg.“
Zurück blieben Kunstwerke mit ungewissem Schicksal. Zwar hatten die westlichen Alliierten unter amerikanischer Führung begonnen, Kunstwerke an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben (George Clooneys Film „Monuments Men“ erzählt davon). Doch viele Bilder waren bereits mit gefälschen Dokumenten versehen oder gleich komplett neu gerahmt – wie der „Blumenstrauß“ von Otto Dix.
Sie zu verkaufen, war gleichwohl nicht leicht. Vor allem in den Großstädten schaute man genauer hin. Leichter ging es in ländlichen Regionen und im Ausland. Geradezu ideal war die Gegend am Bodensee: Vor allem die Nachbarschaft zur Schweiz erwies sich für den Handel mit Werken von fragwürdiger Herkunft als ideal. „Im Krieg waren es die Künstler, die aus guten Gründen die Nähe zur Grenze suchten. Nach dem Krieg kamen die Kunsthändler nach – und auch sie hatten ihre Gründe.“ Wenn auch ganz andere als die Möglichkeit zur Flucht. Vielmehr: die Chance auf gute Geschäfte.
Benno Griebert hatte im Dritten Reich als Referent bei der Reichskammer der Bildenden Künste gearbeitet. Seine Aufgabe: Ausstellungen daraufhin zu überprüfen, ob sie mit der NS-Ideologie vereinbar waren. Nach dem Krieg wurde Griebert im Entnazifizierungsverfahren lediglich als „Sympathisant“ eingestuft. Er gründete eine Galerie in Meersburg und war schon bald der einflussreichste Kunsthändler am See. Aufnahmen, die ihn zeigen, gibt es heute offenbar nicht mehr. Sein noch heute lebender Sohn ist vor einiger Zeit wegen seiner Rolle bei der Rückgabe eines gestohlenen Bildes von Camille Pissarro in die Schlagzeilen geraten.
Besonders eifrig, sagt Stoye, habe Griebert hinter der Grenze eingekauft. Mit Vorliebe in der Luzerner Galerie Fischer: „Das war der Nabel der Raubkunstszene, es gab extrem umfangreiche Lagerbestände.“ Über Griebert seien zahlreiche Werke mit unklarer Herkunft an den Bodensee gelangt. Grund dafür war vor allem das Zeppelin-Museum, das damals noch „Bodensee-Museum“ hieß. Im Krieg war es komplett zerstört worden.
Nach dem Krieg sollte es wieder aufgebaut werden, inklusive einer neuen Sammlung. Griebert brachte von seinen Besuchen in der Luzerner Galerie Fischer ein Gemälde nach dem anderen über die Grenze. Viele davon bot er in Friedrichshafen zum Kauf an. Dort wirkte ein weiterer Mann, dessen Name im Kunst-Netzwerk am Bodensee von entscheidender Bedeutung war: Herbert Hoffmann, einst Chef des Stadtmuseums Zittau.
Für die Nazis, sagt Stoye, habe Hoffmann im Krieg die Expertise zu Kunstdiebstählen geliefert. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Zittau sei ihm klar geworden, dass er mit dieser Vergangenheit unter Sowjetführung keine Chance auf weitere Beschäftigung im Kunstbetrieb haben würde. Anders sah das in Baden-Württemberg aus. Zwar reichte es für Hoffmann auch hier nur noch zu einem Job im Tübinger Landesamt für Denkmalpflege. Die Stadt Friedrichshafen aber nahm für den Aufbau einer neuen Sammlung gerne seinen Rat in Anspruch. Dabei fiel kundigen Beobachtern sehr wohl auf, dass der erfahrene Kunstprofi zu erstaunlicher Schlampigkeit neigte, sobald es um Fragen der Provenienz ging. Auf die Idee, hier könnte Absicht vorliegen, kam aber offenbar niemand.
1959 kaufte das Museum die spätgotische Tafel eines unbekannten Meisters, die im Dritten Reich zur Sammlung von Hermann Göring zählte. Der Nazi-Führer hatte nach Einmarsch der Wehrmacht in die Niederlande 1940 die renommierte Amsterdamer Galerie Goudstikker „arisieren“ lassen: Galerist Jacques Goudstikker wurde gezwungen, seinen kompletten Lagerbestand zum Schleuderpreis an einen Münchner Bankier zu verkaufen. Für Göring war es ein Leichtes, sich die interessantesten Stücke selbst unter den Nagel zu reißen. Eine Fotoaufnahme zeigt ihn beim Verlassen der Amsterdamer Galerie.
Nach Kriegsende war das Bild zunächst spurlos verschwunden, tauchte aber 1958 wieder auf. Herbert Hoffmann besichtigte das Werk und empfahl es der Stadt Friedrichshafen zum Kauf. Ein wichtiges Argument: Angeblich hätten die Nazis geplant, das Werk im für Linz vorgesehenen „Führermuseum“ auszustellen. Es sei deshalb auch aus historischen Gründen interessant.
Die Stadt schlug zu, der Kaufpreis ging an eine Treuhandfirma in Liechtenstein. Wie aber kam das Bild dorthin? Und wem hatte es überhaupt vor Görings Kunstraub gehört? Dem Galeristen Goudstikker? Oder hatte er es nur für einen anderen Besitzer verwaltet?
Am Bodensee mochte sich niemand mit solchen Feinheiten befassen. Kein Wunder: Haben doch ehemalige Handlanger des NS-Regimes den Kunstmarkt unter sich aufgeteilt und dabei ein undurchsichtiges Netzwerk geschaffen. Beim Meersburger Kunsthändler Benno Griebert kaufte etwa der Zürcher Waffenfabrikant Emil G. Bührle, der als Lieferant des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg zu immensem Reichtum gelangt war. In Griebes Meersburger Wohnung zu Gast war zeitweise auch Bruno Lohse, der die Kunstraubzüge der Nazis in den besetzten Ländern koordiniert hatte und nach Kriegsende nur knapp der Todesstrafe entkam. Eine Hand wusch die andere: Niemand konnte durchschauen, aus welchem Grund verschollene Werke plötzlich wieder ans Licht der Öffentlichkeit gelangten. Und vollkommen unklar musste bleiben, wer daran in der Zwischenzeit sein Geld verdiente.
Jacques Goudstikker starb auf der Flucht in die USA an einem tragischen Unfall. Hermann Göring kam 1945 während des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses durch Selbstmord seiner Hinrichtung zuvor. An der spätgotischen Tafel hatte er sich bereits 1944 sattgesehen und sie gegen einen vermeintlichen Vermeer eingetauscht – allerdings entpuppte sich dieser später als Fälschung. Herbert Hoffmann konnte seine berufliche Zurücksetzung zum Denkmalpfleger bis zu seinem Tod 1986 nicht verwinden. Benno Griebert stand immer wieder im Verdacht, selbst an Kunstraub für die Nazis beteiligt gewesen zu sein. Ein Beweis dafür wurde bis zu seinem Tod im Jahr 2000 aber nicht erbracht.
Die Ausstellung
Das Zeppelin-Museum hat seine Recherchen in einer Ausstellung aufbereitet. Die Schau „Eigentum verpflichtet – Eine Kunstsammlung auf dem Prüfstand“ ist bis zum 3. Februar 2019 zu sehen. Zur Ausstellung gibt es ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm. Die Öffnungszeiten sind von Mai bis Oktober täglich 9-17 Uhr, von November bis April Di.-So. 10-17 Uhr. Weitere Informationen: http://www.zeppelin-museum.de
Benno Griebert und seine Kontakte
- Benno Griebert (1909-2000), war promovierter Kunsthistoriker. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete er ab 1934 in der Reichskammer der Bildenden Künste. Dort überprüfte er Ausstellungen auf ihre ideologische Eignung. Seine Rolle im Krieg konnte nie ganz geklärt werden. Der Journalist Stefan Koldehoff schreibt in seinem Buch „Die Bilder sind unter uns“, er sei als Berater für den „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg„ tätig gewesen, eine Rauborganisation der NSDAP für Kulturgüter aus den besetzten Ländern. Nach dem Krieg eröffnete Griebert in Meersburg eine Galerie und stieg schon bald zum bedeutendsten Kunsthändler der Bodenseeregion auf. Allein das Bodensee-Museum in Friedrichshafen erlangte über ihn 50 Werke. In sämtlichen Fällen waren Grieberts Angaben zu deren Herkunft – sofern es überhaupt welche gab – ungenau.
- Adolf Weinmüller (1886-1958) war im Dritten Reich als Vorsitzender des Reichsverbands des Deutschen Kunst- und Antiquitätenhandels aktiv an der Verdrängung jüdischer Kunsthändler beteiligt. Zwischen 1936 und 1944 versteigerte er in München und Wien mehr als 34 000 Objekte, viele davon waren Eigentum jüdischer Sammler. Während des Zweiten Weltkriegs verkaufte er in den Niederlanden beschlagnahmte Kunstwerken.Nur drei Jahre nach Kriegsende war er wieder als Kunsthändler tätig – eine Einstufung im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer machte es möglich. Benno Griebert ging bei Weinmüller ein und aus: Mehrere Gemälde und Skulpturen sind auf seine Vermittlung hin ins Bodensee-Museum Friedrichshafen gelangt.
- Herbert Hoffmann (1905-1986) war von 1934 bis 1945 Direktor der Städtischen Museen Zittau. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht. Nach Angaben der Friedrichshafener Provenienzforscherin Fanny Stoye war er an Kunstraubaktionen der Nationalsozialisten beteiligt. Nach dem Krieg kehrte er nicht mehr nach Zittau zurück. Er begann 1946 mit einer Tätigkeit im Landesamt für Denkmalpflege. In dieser Position beriet er das Bodensee-Museum in Friedrichshafen beim Aufbau einer neuen Sammlung. Dabei wurde Benno Griebert sein wichtigster Ansprechpartner.
- Bruno Lohse (1911-2007) wurde promovierter Kunsthistoriker und ab 1933 Mitglied der SS. 1942 wurde er zum SS-Obersturmführer ernannt. Von 1941 bis 1944 arbeitete er als stellvertretender Direktor der NS-Kunstrauborganisation „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg„ in Paris. Er versorgte unter anderem Hermann Göring regelmäßig mit wertvollen Kunstwerken, die meist von jüdischen Besitzern geraubt wurden. Nach dem Krieg wurde Lohse wegen Kunstraubs angeklagt. Nach fünfjähriger Inhaftierung erfolgte ein Freispruch, dessen Hintergründe wegen der Geheimhaltungsvorschriften unklar blieben. Vermutet wird, dass ihm seine Bereitschaft zur Mithilfe bei der Aufklärung des Kunstraubs zugutekam. Eine Wiederaufnahme der Tätigkeit als Kunsthändler war ihm verboten worden. 1950 wohnte er für einige Zeit bei Benno Griebert in Meersburg, den er von seinem Studium in Berlin her kannte. Nach seinem Tod 2007 kam im Safe einer Schweizer Bank ein lange vermisster Pissarro zum Vorschein: Er war im Dritten Reich aus jüdischem Besitz geraubt worden.
- Max Grünbeck (1907-1984) war der erste gewählte Bürgermeister Friedrichshafens nach dem Zweiten Weltkrieg. Zuvor hatte er im Dritten Reich im Auswärtigen Amt als Sachbearbeiter für Devisenrecht gearbeitet, später wurde er Referatsleiter in der Handelspolitischen Abteilung unter Außenminister Ribbentrop. Seit 1933 war er Mitglied der SS, 1937 trat er in die NSDAP ein. Nach dem Krieg bestritt er seine SS-Mitgliedschaft und verlegte seinen Parteieintritt ins Jahr 1939. (brg)