1. Video und Multimedia:
Musik ist nicht nur das, was man hören kann. Viele Komponisten arbeiten auch mit Video und multimedialen Techniken, und zwar so, dass sie ein wesentlicher Teil der Partitur sind. Richard Wagner hätte über diese Art der Gesamtkunstwerke gestaunt, in denen Ton und Bild nicht wie zwei Spuren nebeneinander laufen, sondern tatsächlich ineinander verflochten sind. Das Foto zeigt eine Donaueschinger Uraufführung von Stefan Prins (2015). Der Komponist projizierte Videobilder von Instrumentalisten auf Gazevorhänge und schob sie so vor die realen Musiker, dass unklar wurde, wer tatsächlich spielt, da auch die Klänge live-elektronisch stark verfremdet wurden. Ein Spiel mit den fließenden Grenzen zwischen Realität und Virtualität.

2. Mausklick:
Festivals wie die Donaueschinger Musiktage sind eine High-Tech-Veranstaltung. Der Computer ist ein essenzielles Mittel geworden, und zwar in allen Stadien der Musikproduktion (auf dem Bild: Cellist Martin Schütz bei der SWR NowJazz Session 2013). Das beginnt bereits damit, dass viele Komponisten ihre Musik nicht mehr auf Papier, sondern am Computer notieren. Sodann kann der Computer das klassische Instrumentarium ersetzen oder ergänzen und deren Klänge während der Aufführung in Echtzeit verändern. Er wird für Raumklangwirkungen genutzt, für Videos oder auch zur Steuerung selbst spielender Instrumente. Klänge werden am Computer hergestellt, der Computer steht auch im Zentrum der Aufführung und steuert sie. Und längst nicht alles, was erklingt, ist irgendwo in Noten niedergeschrieben. Die Grenzen zwischen elektronischer und rein akustischer Musik sind fließend geworden, weil auch ein Großteil der vordergründig akustischen Musik nicht ohne digitale Hilfsmittel auskommt. Merke: Musik mit Computern ist nicht automatisch Computermusik, aber ohne Computer geht in der Neuen Musik fast nichts mehr.
3. Die Musik der anderen:
Für viele jüngere Komponisten, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren sozialisiert sind, ist die Pop-Kultur eine wichtige musikalische Referenz. Das unterscheidet sie von den vorhergehenden Generationen, die sich noch an der Nachkriegsavantgarde orientierten – und für die Jazz und Rock die Musik der anderen war. Björn Gottstein, Intendant der Donaueschinger Musiktage, empfindet es als Befreiung, dass sich Pop und Klassik, Rock, Jazz und Avantgarde nicht mehr säuberlich voneinander abgrenzen müssen, um zu zeigen, wer im Recht ist. Stattdessen werde es immer selbstverständlicher, den Schulterschluss zu üben. Die letzten Jahrgänge in Donaueschingen boten dafür allerlei Belege. Da tat sich dann das Steamboat Switzerland, das sich selbst als „Hammond Avantcore Trio“ bezeichnet, mit dem Klangforum Wien zusammen, um Stücke zu spielen, die Zwölftonmusik mit körperbetontem Drive verbinden oder das klassische Instrumentalensemble für Hardcore-Rock nutzbar machen. Unvergessen auch die Performance für Schlagzeug, Kontrabass und Elektronik, in der Alexander Schubert ein Sperrfeuer an Stroboskoplicht und Geräusch entfachte (siehe Bild). Techno-Disco für Avantgardisten.

4. Theater:
Der klassische Konzertsaal hat ausgedient. Nein, nicht ganz. Aber dass wir von gepolsterten Stühlen frontal auf ein Ensemble schauen, während uns der Dirigent den Rücken zuwendet, ist nur noch eine von vielen möglichen Präsentationsformen der Neuen Musik. Stattdessen haben Performance und Installationen Einzug gehalten. Es wird nicht mehr bloß noch gehört, sondern auch sehr viel geguckt und in Bewegung gesetzt: Darsteller, Publikum, Video, Instrumente. Damit wird die Neue Musik im weitesten Sinne theatralisch. Vergangenes Jahr wurde gar ein Choreograf damit beauftragt, ein Konzert der Musiktage zu inszenieren und so die vier Stücke des Programms zusammenzubinden. Da wurden dann nicht nur die Musiker des Ensemble Kaleidoskop (siehe Foto), sondern auch das Publikum im Raum herumgeschoben. Komponist Martin Schüttler verbannte ebenfalls letztes Jahr die Musik gleich ganz von der Bühne und ließ stattdessen zwei Moderatorinnen aus dem Leben der Musiker erzählen. Ein gesellschaftskritischer Ansatz: Das voyeuristische Interesse an den Musikern ersetzt das Interesse an
der Musik.
5. Live-Erlebnis:
Neue Musik ist nichts für den Plattenteller und auch nichts fürs Autoradio. Klar gibt es hervorragende Aufnahmen von Rihm-Streichquartetten oder Musik von Georg Friedrich Haas. Aber sie ersetzen nicht das Live-Erlebnis. Das hat unterschiedliche Gründe, von denen die Tatsache, dass Neue Musik nicht allein aus Klängen besteht, sondern häufig auch mit Video, Performance oder skulpturalen Elementen arbeitet, nur einer ist. Aber schon wenn ein Helmut Lachenmann einen Cellisten sein Instrument auf alle erdenklichen, aber bloß nicht konventionelle Arten bespielen und beklopfen lässt, so möchte man auch sehen, wie diese neuartigen Klänge zustande kommen. Genauso wenn seltene Unikate zum Einsatz kommen, wie in einem Stück von Hanna Eiermacher (Bild). Und dann sind da auch die Stücke, die mit der Architektur der Räume spielen, die die Musiker um das Publikum herum oder mitten hinein platzieren oder die die Klänge über Lautsprecher durch den Raum wandern lassen. Das lässt sich nur mit größtem Aufwand ins eigene Wohnzimmer übertragen.
6. Offene Ohren:
Die sollte (wie auf dem Bild Wolfgang Rihm) jeder mitbringen, der eine Veranstaltung für Neue Musik besucht. Sie sind wichtiger als jedes Vorwissen. Musiker schätzen daher vor allem Kinder als Zuhörer. Sie haben noch keine festgefahrene Vorstellung davon, was Musik zu sein hat und lassen sich einfach von ihrer Neugier treiben. Das ist auch für Erwachsene die richtige Herangehensweise an Neue Musik. Denn tatsächlich sind Melodielinien, die man nachsingen kann, oder gängige Akkordmuster hier eher die Ausnahme. Man begegnet ihnen höchstens als Zitat oder Referenz. Und wenn sich dann dennoch die Frage stellt, ob das noch Kunst ist, hilft vielleicht die Gelassenheit eines John Cage: „Sie müssen es nicht Musik nennen, wenn Sie der Begriff stört.“ Nennen Sie es irgendwie, aber lassen Sie sich darauf ein.

7. Humor:
Neue Musik als Spielwiese für humorfreie Intellektuelle? Vielleicht war das mal so. Wobei auch ein Dieter Schnebel (der kürzlich verstorbene Komponist mit alemannischen Wurzeln) schon in den Achtzigerjahren seinen Spaß daran gehabt haben dürfte, für seine szenische Kantate auf einen Text von Johann Peter Hebel zwei Milchkühe auf die Donaueschinger Bühne zu schicken. Aber auch Mauricio Kagel („Sankt-Bach-Passion“, „Die Erschöpfung der Welt“) war immer für eine Portion bissigen Humor zu haben. Ja, die Neue Musik ist sich über ihre bisweilen kuriose Außenwirkung durchaus bewusst – und reagiert darauf mit Selbstironie. Dann zieht auch schon mal eine Blaskapelle flankiert von Müllwagen durch die Stadt. Oder Peter Ablinger verknüpfte seine Bearbeitung von Schlagern der Siebzigerjahre gar mit einem Preisausschreiben: Wer erkennt noch die durch den Avantgarde-Fleischwolf gedrehten Melodien? Und Georg Nussbaumer kloppte in seiner Installation „Ringlandschaft mit Bierstrom“ (siehe Bild) gleich den ganzen Wagner in die Tonne.