Der Patient sitzt zu Hause und ruft im medizinischen Callcenter an. Er nennt seine Personalien und schildert die Krankheitssymptome. Ein Arzt ruft zurück, stellt die Diagnose, bespricht mit dem Patienten die Behandlung und stellt im Bedarfsfall auch das Rezept und die Krankschreibung aus. Selbst eine Überweisung an den Spezialisten ist drin – und das rund um die Uhr an jedem Tag des Jahres. In der Schweiz ist dieses Modell keine Zukunftsmusik, sondern seit 17 Jahren erprobt.

Der Anbieter Medgate hat nach eigenen Angaben seit seiner Gründung knapp 5,5 Millionen Patienten in bis zu 5000 Telekonsultationen täglich behandelt. Auch in England, Schweden oder Norwegen ist Telemedizin erlaubt und wegen langer Wege über Land zum nächsten Arzt beliebt. In Deutschland verbietet die Berufsordnung der Ärzte solche Tele-Sprechstunden, wenn der Mediziner den Patienten nicht schon mal untersucht hat.

In Baden-Württemberg hat die Landesärztekammer dieses Fernbehandlungsverbot im Juli letzten Jahres gekippt, was bundesweit bisher einmalig ist. Die Berufsordnung gestattet seither pro forma die Fernbehandlung, vorerst aber nur in Modellversuchen, die zuvor von der Ärztekammer genehmigt und während der Laufzeit evaluiert werden müssen. Am vergangenen Montag gab es den Startschuss: Ab sofort können sich Mediziner im Land für Fernbehandlungs-Modellprojekte bewerben. Kammerpräsident Dr. Ulrich Clever: „Eine der Bedingungen ist, dass der medizinische Standard auch bei Fernbehandlungen eingehalten werden muss.“

Den Ärzten im Südwesten ist klar, dass mit ihrem Vorstoß ein Paradigmenwechsel in der medizinischen Behandlung eingeläutet wird. „In anderen Ländern ist das längst Versorgungsrealität,“ heißt es aus der Kammer. Sie reagiert auf die große Nachfrage nach solchen Lösungen aus den Reihen der Mitglieder. Auch bei Patienten, in der Politik, bei den Krankenkassen und in der Industrie sei das Interesse riesig, sagt Clever.

Der Bedarf ist da. So bei Medizinern, die nicht nur auf der Schwäbischen Alb oder im Schwarzwald händeringend nach einem Nachfolger suchen und ein enormes Arbeitspensum bewältigen. Krankenkassen erhoffen sich mehr Effizienz und Patienten schneller und bequemer einen ärztlichen Rat. Nach einer Umfrage der Techniker Krankenkasse würde mehr als die Hälfte der Befragten online mit ihrem Haus- oder Facharzt in Verbindung treten wollen.

Die Politik zieht mit. Bereits im Koalitionsvertrag der Landesregierung ist vermerkt, man wolle eine Strategie zum Ausbau der Telemedizin im Land entwickeln und im Rahmen von Modellprojekten erproben. Wenn die Digitalisierungs-Strategie des Landes wie vorgesehen im zweiten Quartal dieses Jahres vorgestellt wird, sind Telesprechstunde und Televisite mit ein Thema und erste Förderprojekte schon geplant. Nicht nur die Ärztekammer sieht in der Fernbehandlung einen Weg, dem Ärztemangel vor allem in ländlichen Regionen ein Stück weit begegnen zu können.

„Die Telemedizin ist ein überaus geeignetes Instrument, das ärztliche Dienstleistungsangebot und die medizinische Versorgung der Menschen sowohl im ländlichen Raum als auch in den Ballungszentren zu unterstützen und zu stärken“, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher und stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Stefan Teufel bereits im Dezember nach einer Expertenrunde. Mit am Tisch: der Schweizer Anbieter Medgate.

Für Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) kann Telemedizin allerdings „kein Ersatz, sondern nur Ergänzung der bisherigen medizinischen Behandlungs- und Versorgungsmethoden sein. Der Kontakt zwischen dem Arzt und seinem Patient dürfe nicht generell durch Telemedizin ersetzt werden, auch nicht auf dem Land, wo der Ärztemangel am gravierendsten sei.

Telemedizin

Die Telemedizin wird bereits seit Jahren erfolgreich angewandt, allerdings nicht im „Erstkontakt“ mit dem Patienten. Stehen Diagnose und Therapiekonzept aber einmal fest, müssen sich Patienten vielerorts nicht für jeden Routinecheck auf den Weg zum Arzt machen und im Wartezimmer warten. Tele-Monitoring und Gesundheitscoaching übers Telefon oder Internet bieten Ärzte vor allem in den Kliniken an. Das ist für beide Seiten enorm zeitsparend und wegsparend. Davon profitieren beispielsweise Herzpatienten, Diabetiker, Bluthochdruckpatienten und Asthmatiker. Allerdings sind bisher kaum telemedizinische Leistungen, die von Ärzten ambulant erbracht und geleistet werden, im Abrechnungskatalog der Kassen enthalten. Das ist ein Hindernis zu dieser noch neuen Methode der Therapie. (kck)