Am Anfang des neuen Bözbergtunnels wacht die heilige Barbara darüber, dass den Arbeitern nichts passiert. Zu ihrem eigenen Schutz ist die Schutzpatronin der Mineure hinter einem Gitter an der Wand postiert. Ihre Schützlinge arbeiten unter ihren Augen im Dreischichtbetrieb – rund um die Uhr. 168 Meter müssen sie sich mit der Unterstützung eines Baggers durch den Berg arbeiten.
"Die Unfallgefahr ist hoch", hat kurz davor SBB-Sprecher Daniele Pallecchi die Journalisten gewarnt und sie nochmals ermahnt, während der Baustellenbegehung in der Gruppe zu bleiben. Ausgerüstet mit Helm, orangefarbenem Overall und Gummistiefeln mit Stahlkappe, geht es auf den Rundgang. Die SBB präsentieren einen ersten Zwischenstand auf der Baustelle des 350-Millionen-Franken-Projekts, das in den nächsten drei Jahren vollendet werden soll.
Der neue Bözbergtunnel ist das größte Einzelprojekt einer ganzen Reihe von Baumaßnahmen, die für die Errichtung des Vier-Meter-Korridors auf der Gotthard-Achse der Schweizer Bahn nötig sind. Das Ziel: Zusätzliche Gütertransporte von der Straße auf die Schiene verlagern. Doch weil die Container auf den Anhängern von Sattelschleppern zu hoch sind, müssen rund 20 Tunnels auf der 270 Kilometer langen Strecke zwischen Basel und der italienischen Grenze auf eine Eckhöhe von vier Metern erweitert – oder wie im Fall des Bözbergtunnels – neu gebaut werden.
"Stück für Stück" gehe es mit den Tunnelbauarbeiten vorwärts, sagt Gesamtprojektleiter Thomas Zieger mehr als 130 Meter tief in der Röhre und im Scheinwerferlicht stehend, nachdem er die Arbeiter darum gebeten hat, die schweren Maschinen für fünf Minuten auszuschalten. Er schwärmt von "wunderbaren Verhältnissen für die Tunnelbauer" und erklärt, wie die Röhre ausgehöhlt, die Decke mit Spritzbeton versiegelt und Gitter angebracht werden. Drei Meter pro Tag legen die Arbeiter zurück.
Schon bald werden sie mehr als sieben Mal schneller vorankommen. Der Grund dafür steht vor dem südlichen Tunnelportal bei Schinznach-Dorf: die Bohrmaschine "S1012 Bözberg". 90 Meter lang wird sie dereinst sein und sich Tag für Tag 22 Meter durch den Berg arbeiten. "Gewaltige Ausmaße", sagt Thomas Zieger. Dabei handle es sich um eine komplette Neukonstruktion. "Ein Einzelstück extra für den Bözbergtunnel." Seit Anfang des Jahres werden die Einzelteile zusammengesetzt, die in mehr als 100 Fahrten zum Bauplatz transportiert werden mussten. Durchmesser: 12,36 Meter.
Vom Gerüst im Hintergrund sprühen Funken, die Schweißerarbeiten sind deutlich zu hören. Ein Kran hebt ein halbrundes weißes Teil vom Boden hoch, dreht sich langsam in Richtung Tunneleingang und lässt es zentimetergenau auf der richtigen Höhe baumeln, damit es an der Rückseite des Bohrkopfs befestigt werden kann.
Auf der anderen Seite des provisorischen Zauns donnern von Zeit zu Zeit Züge an der Baustelle vorbei. Der alte Bözbergtunnel (seit 1870) bleibt vorläufig in Betrieb, und wird nach der Eröffnung der neuen 2,7 Kilometer langen Doppelspurröhre zu einem Dienst- und Rettungsstollen umfunktioniert.
Anfang des nächsten Jahres ist der Durchbruch am nördlichen Portal in Effingen vorgesehen, danach werden die Tunnelportale auf beiden Seiten errichtet, der Rohbau fertiggestellt und Bahntechnik sowie Fahrbahn eingebaut. Und im Dezember 2020 sollen die ersten Züge fahrplanmäßig den Tunnel durchqueren.
Bis dahin werden sich die Mineure in der Röschti-Farm Bözenegg neben dem Tunneleingang bekochen lassen. Das Restaurant dient ihnen als Kantine. Bereits ihre Vorgänger, die vor mehr als 140 Jahren den alten Bözbergtunnel erschufen, kamen in diesen Genuss.
Zahlen und Fakten
- 350 Millionen Frankenstehen für den Neubau des Bözbergtunnels zur Verfügung.
- 710 Millionen Franken hat das Parlament für den Bau des Vier-Meter-Korridors auf der Gotthard-Achse bewilligt.
- 4800 Kilowatt Antriebsleistung kann die extra für den Bözberg gefertigte Tunnelbohrmaschine vorweisen.
- 90 Meter lang ist die Maschine, die sich pro Tag 22 Meter durch das Gestein fressen kann.
- 1920 Tonnen schwer ist die "S1012 Bözberg". Allein der Bohrkopf wiegt 282 Tonnen.
- 12,36 Meter groß ist der Durchmesser der Tunnelbohrmaschine.
- 2,7 Kilometer lang wird die neue Doppelspur-Röhre im Bözbergtunnel.
- 125 Stundenkilometer beträgt die Geschwindigkeit im neuen Tunnel.
- 540 000 Kubikmeter an Ausbruchsmaterial wird während den Bauarbeiten anfallen.