
Erinnerung ist ein schwieriges Geschäft. Besonders dann, wenn Menschen, die in den Augen von Hinterbliebenen Täter waren, selbst zu Opfern werden. Peter Nielsen ist dieses Schicksal widerfahren. Der Fluglotse der schweizerischen Skyguide hatte in der Nacht des 1.Juli 2002 Dienst, als über dem Bodensee zwei Flugzeuge zusammen stießen. 71 Menschen verloren dabei ihr Leben. Peter Nielsen wurde eineinhalb Jahre nach dem schlimmsten Unglück in der Luftfahrtgeschichte der Bundesrepublik von Witali Kalojew erstochen. Kalojew hatte bei der Katastrophe Frau und zwei Kinder verloren. Seine Tat büßt er nun hinter Gittern.
Schuld und Sühne jedoch spielen vier Jahre nach dem Flugzeugunglück, das sich am heutigen Samstag erneut jährt, eine immer kleinere Rolle. Viele Familien haben Schlimmstes durchlitten, und dazu gehören auch die Angehörigen des getöteten Skyguide-Lotsen. So wird nicht nur der 71 Katastrophen-Opfer, hauptsächlich aus der russischen Teilrepublik Baschkirien, sondern auch Peter Nielsen gedacht, wenn am heutigen Samstag in der Skyguide-Zentrale nahe Zürich ein weiteres Denkmal seiner Bestimmung übergeben wird. 72 Flügel-ähnliche, goldfarbene Gebilde stehen dabei auf einer Glas-Skulptur für die 72 Opfer der Tragödie.
Die Überlingerin Daniela Einsdorf hat das Werk geschaffen, das als einzige Inschriften die Daten "1. Juli 2002" und "24. Februar 2004" trägt. Das erste Datum verweist auf die Unglücksnacht mit ihren 71 Opfern, das zweite Datum ist der Todestag des Skyguide-Lotsen.
Einsdorf hat sich bei ihrem Werk Inspiration aus Baschkirien genehmigt. Dort, auf einem Friedhof in der Hauptstadt Ufa, ruhen die meisten Opfer des Flugzeugunglücks auf einem gemeinsamen Gräberfeld. Ein wuchtiges Marmor-Monument trägt genau jene Flügel, die sich leicht zu erheben scheinen und die sich nun auch in Einsdorfs Skulptur finden. In Baschkirien sind es aber nur 71 Seelen, die da symbolhaft in den Himmel aufsteigen. In Zürich sind es 72.
Skyguide wolle sich mit der künstlerischen Auftragsarbeit seiner Geschichte stellen, ohne dabei ein Opfer zu vergessen, heißt es. Damit folgt die Gesellschaft einem Gedanken, den die Hinterbliebenen der baschkirischen Opfer schon vor langer Zeit aufgegriffen haben. Seit dem Tod Peter Nielsens nämlich wird bei den wiederkehrenden Trauerfeiern zum 1.Juli auch seiner gedacht. Wenn die Namen der Getöteten verlesen werden, wird Peter Nielsen genannt - in einer Reihe mit allen anderen Opfern.
Nach dem Denkmal bei Überlingen-Brachenreuthe und Owingen-Taisersdorf von Andrea Zaumseil steuert Daniela Einsdorf nun ein weiteres Erinnerungsstück an die Katastrophennacht bei. Angehörige aus Baschkirien wollen bei der Übergabe in der Schweiz dabei sein. Sie werden heute Nacht, zum Unglückszeitpunkt um 23.35 Uhr, bei Überlingen erneut ihrer Toten gedenken. Peter Nielsen wird auch dabei nicht vergessen werden.
Roland Burger