Uli Homann und dpa

An den Anblick von Hussein K. hatten sich alle gewöhnt. Den schlurfende Gang beim Weg in den Verhandlungssaal des Freiburger Landgerichts. Die klirrenden Fesseln an Händen und Füßen, die ihm in den insgesamt 25 Prozesstagen nicht ein einziges Mal abgenommen wurden. Die ausdruckslose Blässe seines Gesichtes und den zwischen den hängenden Schultern tief auf die Brust gesenkten Kopf. Auch am Donnerstag gibt der junge Flüchtling aus Afghanistan wieder das gewohnte Bild ab. Selbst die Urteilsverkündung bringt ihn nicht dazu, eine Gefühlsregung zu zeigen. Anders im fast zu voll besetzten Zuhörerraum des holzgetäfelten Gerichtssaals: Die Zuhörer klatschen Beifall, als die Vorsitzende Richterin Kathrin Schenk ihr Urteil verkündet. Lebenslänglich. Sicherungsverwahrung. Höchststrafe. Hussein hatte die junge Studentin Maria L. im Oktober 2016 in Freiburg vergewaltigt und zum Sterben in einen Fluss gelegt, wo sie ertrank.

Oktober 2016: Beamte der Spurensicherung am Tatort der ermordeten Studentin an der Dreisam.
Oktober 2016: Beamte der Spurensicherung am Tatort der ermordeten Studentin an der Dreisam. | Bild: Patrick Seeger (dpa)

Beifall gibt es eineinhalb Stunden später noch einmal, als die Richterin die Sitzung schließt und Hussein K. in Handschellen und Fußfesseln abgeführt wird. Er wird, wenn das Urteil rechtskräftig werden sollte, deutlich mehr als 15 Jahre Haft abzusitzen und anschließend wohl in Sicherungsverwahrung genommen werden. Eine Abschiebung anstelle der Strafverbüßung in Deutschland ist eher unwahrscheinlich. Hussein K. wird wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sieht die Absicht des Angeklagten, mit dem Mord die Vergewaltigung zu verdecken. Die Jugendstrafkammer schreibt auch die besondere Schwere der Schuld ins Urteil und leitet daraus die anschließende Sicherungsverwahrung ab. „Um andere Menschen, vor allem Frauen, vor ihm zu schützen“, so die Begründung der Richterin. Die Reaktionen von Frauen im Zuhörerraum nach Prozessende sind eindeutig. „Ein richtiges Urteil“, heißt es, und auch mehrfach: „Der gehört für immer weggesperrt.“

Den Kopf hält er stets gesenkt: Hussein K. Der Flüchtling hat eine Studentin getötet.
Den Kopf hält er stets gesenkt: Hussein K. Der Flüchtling hat eine Studentin getötet. | Bild: THOMAS KIENZLE (AFP)

Diese Hoffnung haben auch die Eltern der ermordeten Studentin Maria L. Mit bewegenden Worten wenden sie sich am Donnerstag in einer Erklärung an die Öffentlichkeit. „Die Tat bleibt unfassbar“, schreiben Friederike und Clemens L. „Aber dieser Prozess hat entscheidende Erkenntnisse über die Umstände und die Täterpersönlichkeit ans Licht gebracht – nicht zuletzt dank des psychiatrischen Sachverständigengutachtens –, die uns bei der Bewältigung dieses Schicksalsschlags weiterhelfen.“ Die Familie war wegen ihrer seelischen Verfassung an keinem der Prozesstage anwesend und enthielt sich bislang jeder Äußerung. Nun will sie das letzte Wort haben. „Maria war für uns ein großer Sonnenschein und wird es immer bleiben.“ Und weiter: „Der Täter hat uns, den Eltern Marias, ihren Schwestern, ihren Großvätern und ihrer ganzen Familie sowie ihren engen Freundinnen und Freunden unermessliches Leid zugefügt und dieses durch sein Verhalten während des Prozesses noch gesteigert. Kein Urteil kann daran etwas ändern; wir müssen und können es ertragen mit der Kraft, die uns unser Glaube, die Hilfe unserer Freunde und die vielen empfangenen Zeichen der Solidarität geben und für die wir dankbar sind.“

In klaren Worten begründet die Richterin die Höchststrafe gegen den Angeklagten. Doch auch sie muss bekennen: „Letztlich sind Sie uns ein Rätsel geblieben.“ Die Tat zeichnet sie nochmals nach in vielen schwer erträglichen Details: Die Bisse in Marias Wange, Brust und Unterleib. Das kraftvolle, entschlossene Würgen mit Schal und Hand, die mehrfache Vergewaltigung der bewusstlosen Frau, die deutlich sichtbar noch atmete, deren Brustkorb sich hob und senkte, deren Verletzungen nicht tödlich waren. Maria hätte wohl überlebt und wäre zu retten gewesen, wenn K. sie nicht zum Ertrinken durch ein Dornengebüsch ins Wasser geschleift hätte.

Verurteilt hat die Kammer Hussein K. zwar nach Erwachsenenstrafrecht, sie stuft ihn aber trotzdem nur als Heranwachsenden ein: zur Tatzeit älter als 18 Jahre, aber möglicherweise nicht über 21 Jahre. Die Altersgutachten, vor allem die Beurteilung von Jahresringen an einem Zahn von Hussein K., erscheinen dem Gericht nicht ausreichend wissenschaftlich abgesichert. Sein Reifegrad wird vom Gericht hoch angesiedelt, es gebe viele Belege für eine fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung. „Sie waren nicht zurückgeblieben, sondern Ihren Altersgenossen voraus“, meint Richterin Kathrin Schenk und folgert: Eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht sei angebracht.

Während des gesamten Prozesses war Hussein K. an Händen und Füßen gefesselt.
Während des gesamten Prozesses war Hussein K. an Händen und Füßen gefesselt. | Bild: Patrick Seeger (dpa)

Die besondere Schwere der Schuld stellt die Jugendstrafkammer nicht wegen der Brutalität des Vorgehens von Hussein K. fest, sondern ausdrücklich wegen der vorangegangenen Tat im Jahr 2013 auf der griechischen Insel Korfu. Dort hatte Hussein K. die 20-jährige Studentin Spiriduola C. über eine Klippe gestoßen und, so Richterin Schenk, „ihren Tod billigend in Kauf genommen“. Aus der Haftstrafe in Griechenland habe er nichts gelernt. Etwa ein Jahr nach seiner vorzeitigen Haftentlassung in Griechenland hat er Maria L. in Freiburg überfallen, vergewaltigt und ermordet und damit ein noch schlimmeres Verbrechen begangen.

Das Gericht kommt bei seiner Bewertung des Mordes in Freiburg zu dem Schluss, der junge Afghane habe am Abend vor der Tat schon mehrfach sexuellen Kontakt zu Frauen gesucht. Er sei mit hoher Wahrscheinlichkeit am frühen Sonntagmorgen zum Radweg an der Dreisam gegangen, um dort eine Frau abzupassen. Zweifelsfrei nachzuweisen sei ihm das aber nicht. Sein Alkohol- und Cannabis-Konsum in den Stunden vor der Tat, so die Erkenntnis des Gerichts, habe nicht zu einer Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit geführt. Videoaufnahmen aus der Straßenbahn und aus einer Bar würden belegen, dass er keine Ausfallerscheinungen gehabt habe.

An dieser Stelle macht Hussein K.s Verteidiger Sebastian Glathe ein dickes Fragezeichen. Er wird Revision gegen das, so Glathe, „an sich sehr gut begründete Urteil“ einlegen. Er geht davon aus, dass sein Mandant durch den erheblichen Alkohol- und Cannabis-Konsum „durch Berauschung“ beeinflusst und nicht mehr voll steuerungsfähig gewesen sei.

 

Daten und Fakten zum Mordfall

  • Die Tat
    in Freiburg ereignete sich in der Nacht zum 16. Oktober 2016 gegen 3.00 Uhr. Die 19 Jahre alte Studentin, die mit dem Fahrrad von einer Party auf dem Weg nach Hause war, wurde überwältigt und vergewaltigt. Sie starb am Tatort. Festgenommen wurde Hussein K. am 2. Dezember 2016 in Freiburg. Seit dem 5. September 2017 stand er vor Gericht.
  • Nach Deutschland
    kam er ohne Papiere am 12. November 2015. Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling stand er in der Obhut des Jugendamts und wohnte, gemeinsam mit einem weiteren Flüchtling, in Freiburg bei einer Pflegefamilie. Dort lebte er von Ende April 2016 bis zu seiner Festnahme. Betreut wurde er im Auftrag des Jugendamts von einer privaten Jugendhilfeorganisation.
  • Wegen einer Gewalttat
    an einer jungen Frau im Jahr 2013 auf der Insel Korfu war Hussein K. in Griechenland zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, im Oktober 2015 aber vorzeitig gegen Auflagen entlassen worden. Er kam nach Deutschland. Von der Tat auf Korfu wussten deutsche Behörden nichts.
  • Die Pflegefamilie
    in Freiburg hatte nach Angaben des Jugendamts keine Genehmigung zur Unterbringung von Flüchtlingen, wie sich am Rande des Prozesses herausstellte. Die private Jugendhilfeorganisation gab nach Medienberichten zu, mit den Ämtern falsch abgerechnet und zu viel Geld erhalten zu haben. Die zwei beteiligten Jugendämter haben in dem Prozess Vorwürfe zurückgewiesen. Gegen sie wird laut Justiz nicht ermittelt. (dpa)

 

Ausführlich beschreibt zuvor die Jugendkammer die Persönlichkeit des jungen Afghanen. Sie hält ihn nicht für psychisch krank, aber sie attestiert Hussein K. im Urteil eine große Ichbezogenheit, aus der er für sich das Recht ableitet, seine Interessen rücksichtslos zu verfolgen. Er habe keinen Resonanzboden für das Leid, das er seinen Opfern zugefügt habe, und sei „vollkommen ohne Empathie“. Das seien Charaktereigenschaften, die er ohne Selbstreflexion nicht ändern könne. Kath rin Schenk: „Die Erfolgsaussichten sind gering, gleichwohl wünsche ich Ihnen, dass Ihnen das in vielen Jahren gelingen wird.“ Sollte Hussein K. Therapieangebote in der Haft dazu nutzen, „sich selbst und seine aggressive Sexualität zu erkennen“, kann in ferner Zeit ein anderes Gericht die Strafe zur Bewährung aussetzen anstatt Sicherungsverwahrung zu verhängen. „17 oder 19 Jahre bleibt er bestimmt in Haft, bevor da etwas entschieden wird“, meint Oberstaatsanwalt Eckart Berger nach der Urteilsverkündung und rückt das Urteil der Kammer zufrieden „in die Nähe der Höchststrafe“, wie er sie in seinem Strafantrag gefordert hatte.

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Wie zur Untermalung ist durch die Fenster des bis zum letzten Platz besetzten Saales ein knappes Dutzend skandierender Rechtspopulisten zu hören. Sie stehen auf der Straße vor dem Gericht und prangern den Fall Hussein K. als Symbol für verfehlte Flüchtlingspolitik an. Wie zur absichtlichen Versachlichung betont Schenk: „Die Tat ist nicht von einem Ausländer, einem Flüchtling, einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, einem Mann verübt worden – sondern von einem Menschen“, sagt Schenk: „Von Ihnen, Herr K.“ Und noch etwas betont sie: Der Mord an der 19 Jahre alten Studentin in Freiburg „hätte auch durch kein Gesetz, keine bessere Ausstattung der Polizei, keine andere Betreuung verhindert werden können“, so das Gericht. Denn der Mord an Maria sei begründet im Charakter des Angeklagten und seiner Unfähigkeit, sich in das Leid eines anderen, insbesondere Frauen, hineinzuversetzen.

 

Sicherungsverwahrung

Die Sicherungsverwahrung verhängen Gerichte anders als die Haft nicht als Strafe – sondern als präventive Maßnahme. Sie soll die Bevölkerung vor Tätern schützen, die ihre eigentliche Strafe für ein besonders schweres Verbrechen bereits verbüßt haben, aber weiter als gefährlich gelten. Die Täter können theoretisch unbegrenzt eingesperrt bleiben. Die Bedingungen müssen allerdings deutlich besser sein als im Strafvollzug, außerdem muss es ein größeres Therapieangebot und Betreuung geben. Sicherungsverwahrung kann mit dem Gerichtsurteil, aber auch noch nachträglich angeordnet werden.

Der Anwalt der Familie von Maria L. im Interview. "Das hat mich erschüttert"

Professor Bernhard Kramer aus Villingen-Schwenningen
Professor Bernhard Kramer aus Villingen-Schwenningen

Bernhard Kramer (68), Jurist aus Villingen-Schwenningen, hat die Familie von Maria L. im Prozess gegen Hussein K. vertreten.

Herr Kramer, wie nimmt Marias Familie das Urteil gegen Hussein K. auf?

Es ist ein gerechtes Urteil, im Ergebnis absolut zutreffend. Das Gericht ist in der Begründung zum Teil einen anderen Weg gegangen als ich, aber das Urteil ist in Ordnung und letztlich wurde alles richtig entschieden. So, denke ich, wird das auch die Familie sehen.

In Ihrem Plädoyer sagten Sie, die Eltern, beide Juristen, der Vater hoher Beamter bei der EU, hätten es nicht ertragen, mit dem Angeklagten in einem Raum zu sein. Wie haben Sie die Familie über den Prozess unterrichtet?

Ich habe immer nach jedem Prozesstag sofort einen längeren schriftlichen Bericht gefertigt. Manchmal genügte der schriftliche Bericht, manchmal haben sie sich auch mit Nachfragen gemeldet und ich habe Erläuterungen gegeben.

Welchen Eindruck hatte die Familie vom Verlauf des Verfahrens?

Sie haben das Bemühen um Aufklärung sehr anerkannt. Im Ermittlungsverfahren sind enorme kriminalistische Leistungen erbracht worden. Aber auch die Vorgehensweise des Gerichts fand hohe Anerkennung bei den Eltern.

Haben Sie Ihre Forderungen, etwa die Anordnung der Sicherungsverwahrung für Hussein K., mit den Eltern abgestimmt?

Natürlich habe ich meinen Antrag nicht nur als eigene Person, sondern in Absprache mit den Mandanten formuliert. Es geht nicht um Rache, nicht darum, jemanden zu hassen und ihn dann einer möglichst harten Strafe zuzuführen. Aber es geht sehr wohl darum, dass für so ein Verbrechen, wie es hier geschehen ist, vom Staat auch die dafür vorgesehenen Reaktionen durchgezogen werden. Davon sind die Eltern ausgegangen, dass das auch so geschieht.

Woran machen Sie – im Gegensatz zum Verteidiger – die besondere Schwere der Schuld fest?

Ich mache sie nicht allein an der Vortat in Griechenland fest, das gehört zwar dazu, insbesondere die schematische Wiederholung. Aber ich mache das sehr stark an dem Verhalten von Hussein K. nach der Tat fest. Das ist schon ungewöhnlich und ragt schon über sonstige Mordfälle hinaus, dass der Täter das Opfer erst einmal in Ruhe abwäscht, um eigene Blutspuren zu entfernen. Da hat der Mensch normalerweise einen natürlichen Abwehrreflex gegen so etwas. Das hat er nicht. Er wäscht Spuren ab, um auf keinen Fall in Verdacht zu geraten, hält sich noch längere Zeit bei seinem Opfer auf. Auch das zeigt Kälte. Und dann geht er nach Hause, als allererstes bedient er die Waschmaschine, um Spuren zu beseitigen, dann schläft er aus. Als er aufwacht, lässt er sich die Haare abschneiden, um nicht erkannt zu werden. Und was mich schon beim Lesen der Akten wirklich erschüttert hat, er fragt bei der Festnahme als Erstes: „Wie wirkt sich das auf mein Asylverfahren aus?“ Ich denke, das sind die ganz zentralen Punkte, an denen eine deutlich erhöhte Schuld festgestellt werden kann: in der Empathielosigkeit.

War die Länge des Prozesses, 23 Verhandlungstage vor dem Urteil, aus Ihrer Sicht gerechtfertigt? Täterschaft und Sachlage waren ja eigentlich klar.

Das ist immer eine Ermessenssache und auch eine Stilfrage, wie das Gericht vorgeht. Die Jugendstrafkammer ist gründlich vorgegangen, um genau zu wissen, wie es gewesen ist. Im Nachhinein, wenn wir einen Zeugen gehört haben, hatte ich des Öfteren den Eindruck, den hätten wir uns sparen können. Aber das ist immer so: Wenn man vom Rathaus kommt, ist man schlauer. Insgesamt war das in Ordnung. (uh)