Vor fünf Jahren wurde Winfried Kretschmann der erste grüne Ministerpräsident eines Bundeslandes überhaupt. Was hat seine grün-rote Regierung aus ihrem Koalitionsvertrag umgesetzt, wo gibt es noch Baustellen und welche Versprechen wurden gebrochen?
STUDIENGEBÜHREN: Es war eine der ersten Amtshandlungen von Grün-Rot überhaupt: die Abschaffung der Studiengebühren zum Sommersemester 2012. Bis dahin waren 500 Euro pro Semester fällig.
STUTTGART 21: Das umstrittene Bahnprojekt war eine schwere Hypothek für die grün-rote Koalition. Die Grünen waren dagegen, die SPD dafür. Die Regierung befragte das Volk. Eine Mehrheit der Bürger sprach sich für den Weiterbau des Milliardenprojekts aus. Daraufhin gaben die Regierungs-Grünen ihre einstige Opposition gegen Stuttgart 21 auf.
HOCHSCHULFINANZIERUNG: Nach langen Verhandlungen wurde im Jahr 2014 ein Paket zur Hochschulfinanzierung von 2015 bis 2020 geschnürt. In dem Zeitraum sollen insgesamt 1,7 Milliarden Euro zusätzlich im Vergleich zur bisherigen Finanzierung zur Verfügung stehen.
NATIONALPARK: Anfang 2014 ging der Nationalpark im Schwarzwald an den Start - der erste in Baden-Württemberg überhaupt. Der Wald soll im Wesentlichen sich selbst überlassen werden. Die Opposition hält Grün-Rot vor, den Park gegen die Kritik von Anwohnern durchgedrückt zu haben und will im Falle eines Wahlsieges Korrekturen prüfen.
JAGDGESETZ: Herzstück der Reform ist das «Schalenmodell», in dem die Wildtiere in mehrere Stufen von jagdbar bis geschützt eingeteilt werden.
Das Gesetz verbietet das unkontrollierte Abschießen streunender Hunde und Katzen. Zudem gibt es eine Jagdruhe und ein begrenztes Fütterungsverbot. Blei-Munition ist verboten. Die Jäger waren gegen das Gesetz auf die Barrikaden gegangen, weil es ihr traditionsreiches Jagdrecht dem Naturschutz unterordne.
BILDUNG: In kaum einem anderen Bereich gab es so viele Reformen wie im Bildungssektor: Grün-Rot führte Gemeinschaftsschulen ein, schaffte die verbindliche Grundschulempfehlung ab, führte 44 Modellschulen mit einer Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium ein. Und Eltern können nach dem Gesetz frei wählen, ob sie ihr behindertes Kind auf eine Sonderschule oder in eine allgemeine Schule schicken wollen. Grün-Rot trennt sich nach Protesten von dem im Jahr 2012 genannten, umstrittenen Ziel, bis 2020 rund 11 600 Lehrerstellen zu streichen.
HAUSHALT: Grün-Rot rühmt sich damit, viermal keine neuen Schulden im Landesetat aufzunehmen. Allerdings schaffte es die Koalition trotz guter Steuereinnahmen nicht, den Schuldenberg abzubauen. Das Land steht derzeit mit mehr als 46 Milliarden Euro in der Kreide.
BILDUNGSZEIT: Nach dem neuen Bildungszeitgesetz müssen die Unternehmen im Südwesten ihre Arbeitnehmer für bis zu fünf Tage im Jahr freistellen, wenn diese an einer beruflichen oder politischen Weiterbildung teilnehmen. Das Gehalt wird dabei weiterbezahlt, die Kosten für die Weiterbildungskurse müssen die Arbeitnehmer tragen.
LEBENSPARTNERSCHAFTEN: Seit Anfang 2012 können gleichgeschlechtliche Paare ihre Lebenspartnerschaft auf dem Standesamt eingehen.
Die Verankerung des Themas sexuelle Vielfalt in den neuen Bildungsplänen sorgte für emotionale Debatten. Grün-Rot entschärfte die Pläne dann.
BÜRGERBETEILIGUNG: Grün-Rot führte das Wahlrecht für 16-Jährige bei der Kommunalwahl ein, senkte die Hürden für Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene und Volksentscheide auf Landesebene.
INTEGRATION: Das von Grün-Rot neu geschaffene Integrationsressort treibt unter anderem die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse per Gesetz voran. Die neue Herkulesaufgabe, den Flüchtlingszustrom zu managen, kann das kleine Haus aber nicht alleine stemmen.
POLIZEIREFORM: 4 Landespolizeidirektionen mit 37 Polizeidirektionen wurden zu 12 Großpräsidien verschmolzen - mit dem Hauptziel, die Polizeipräsenz auf der Straße zu erhöhen. Die Opposition kritisiert, dass die angebliche Personalverstärkung längst nicht Realität sei.
WINDENERGIEAUSBAU: Grün-Rot will bis 2020 mindestens zehn Prozent unseres Stroms aus heimischer Windkraft decken. Etwa 445 Anlagen gibt es bereits, die 1,3 Prozent des Stroms erzeugen. Der Ausbau nahm nach Problemen aber erst in den vergangenen Monaten an Fahrt auf.
WAHLRECHTSREFORM: Bislang hat der Bürger bei der Landtagswahl nur eine Stimme, mit der er für den Kandidaten eines Wahlkreises votiert und die zugleich über die proportionale Sitzzuteilung im Landtag entscheidet. Die Grünen strebten eine Reform mit der Einführung einer Zweitstimme an. Befürworter hoffen, damit mehr Frauen ins Parlament zu bringen.
Ein fraktionsübergreifender Konsens scheiterte vor allem an der CDU, aber auch die SPD-Fraktion hatte Vorbehalte.
RIESENLASTWAGEN: Mehr Güter auf die Schiene bringen, das wollen Grüne und SPD. «Die Einführung überlanger Lkw steht diesem Ziel entgegen», heißt es im Koalitionsvertrag, der sich gegen die Beteiligung an einem Modellversuch der Bundesregierung aussprach. Im März 2015 dann die Überraschung auf Druck des Autobauers Daimler: Gigaliner sollen doch auf drei Autobahnabschnitten im Südwesten getestet werden.
KENNZEICHNUNGSPFLICHT FÜR POLIZISTEN: «Wir werden eine individualisierte, anonymisierte Kennzeichnung der Polizei bei sogenannten Großlagen einführen», lautete das Ziel. Bis zur Wahl wird das aber nichts mehr. Innenminister Reinhold Gall (SPD) und die SPD-Fraktion stellten sich gegen das Vorhaben der Grünen quer.