Einmal pro Woche eine Spritze und schon purzeln die Pfunde ganz von allein: Dieser Traum geistert seit Monaten durch die sozialen Netzwerke, befeuert von Berichten über US-Promis wie Elon Musk und Kim Kardashian, die mit dem Mittel kräftig abgespeckt haben sollen. Was ist dran am Jubel über sogenannte Abnehmspritzen?
Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der Hype bald als Sturm im Wasserglas. „Die Spritzen mit dem Wirkstoff Semaglutid sind keine Lifestyle-Medikamente, sondern nur für eine streng definierte Patientengruppe zugelassen“, sagt der Endokrinologe Matthias Blüher vom Universitätsklinikum Leipzig.
Verschreibung ist an Programm gebunden
Ende Juli soll das Adipositas-Medikament „Wegovy“ endlich auch in Deutschland auf den Markt kommen. Wunder sollte man sich nicht erhoffen: Die Spritzen werden nicht allein verschrieben, sondern nur im Rahmen eines Ernährungs- und Bewegungsprogramms.
Medikamente zum Abnehmen sind im Grunde nichts Neues. Schon seit Jahren sind verschiedene Mittel im Einsatz. Manche sind wieder verschwunden, etwa das mit Spannung erwartete Rimonabant, das 2008 wegen erheblicher Nebenwirkungen vom Markt genommen wurde.
Darmhormon wird imitiert
Erfolgversprechender sind sogenannte GLP-1-Rezeptor-Agonisten, die in erster Linie gegen Diabetes mellitus vom Typ 2 eingesetzt werden. Schon 2005 wurde das erste Medikament dieser Art zugelassen. Auch Semaglutid, die angebliche Wunderdroge, gehört zu dieser Gruppe.
Wie man leichtes Übergewicht abbauen kann
Das Wirkprinzip der Mittel ist ähnlich: Die darin enthaltenen Stoffe ahmen das Darmhormon „Glucagon-Like Peptide-1“ nach. Es fördert die Abgabe von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse und hemmt zudem den Insulin-Gegenspieler Glucagon. Gleichzeitig steigert das Hormon das Sättigungsgefühl, verlangsamt die Magenentleerung und trägt so zur Gewichtsabnahme bei.
„Semaglutid kann sehr effektiv sein, wenn damit die richtigen Patienten behandelt werden“, sagt der Stoffwechsel-Experte Harald Schneider von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.
Gewicht wird um 15 Prozent reduziert
Derzeit wird der Stoff als „Ozempic“ Diabetikern mit schwer einstellbarem Blutzuckerspiegel verschrieben. Besonders profitieren davon Patienten, die zusätzlich eine koronare Herzkrankheit haben. „Dass es darüber hinaus zu einer Adipositas-Reduktion kommt, war ursprünglich ein Nebeneffekt“, sagt Schneider.
In Studien, in denen Semaglutid daraufhin in höheren Dosierungen verabreicht wurde, zeigte sich diese Wirkung noch deutlicher: „Auch bei Menschen ohne Diabetes führte das Mittel zu einer Gewichtsreduktion von etwa 15 Prozent“, berichtet der Mediziner.
Das hochdosierte Semaglutid-Präparat „Wegovy“ ist in Europa zwar seit vergangenem Jahr als Abnehmmittel zugelassen, aber in Deutschland noch nicht auf dem Markt – offensichtlich wegen Lieferengpässen. Ab Ende Juli soll es auch hier erhältlich sein, wie vom Hersteller, dem dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk, zu erfahren war. Auch das niedriger dosierte „Ozempic“ war teilweise schwer zu bekommen.
„Es ist ein Gamechanger“
Im Kampf gegen Fettleibigkeit könnte „Wegovy“ einen wichtigen Beitrag leisten. „Es ist tatsächlich ein Gamechanger“, sagt Matthias Blüher. „Damit lässt sich im Schnitt eine doppelt so hohe Gewichtsreduktion erreichen wie mit bisherigen Medikamenten.“ Allerdings wurde das Mittel nur an einer streng definierten Gruppe getestet. Dazu gehörten Menschen mit einem BMI von 30 oder mehr und Menschen mit einem BMI von 27 oder mehr, die etwa Diabetes hatten.
„Ob das Mittel außerhalb dieser Gruppe überhaupt wirkt, ist nicht untersucht. Es ist daher gefährlich, es leichtfertig einzusetzen“, betont Adipositas-Experte Blüher. Ebenfalls ungeklärt ist die Preisfrage. In den USA kostet die Monats-Dosis „Wegovy“ angeblich um die 1000 Dollar, in Dänemark, wo das Mittel bereits auf dem Markt ist, wird es wesentlich billiger gehandelt.
Patienten müssen selbst zahlen
So teuer wie in den USA werden die Spritzen in Deutschland kaum sein: Der Preis werde sich an anderen europäischen Märkten orientieren, heißt es bei Novo Nordisk. Klar ist allerdings, dass Patienten die Medikamente in der Regel selbst zahlen müssen. Laut Gesetz können die Kosten für Abnehm-Präparate nicht von den Krankenkassen erstattet werden.
Semaglutid wird zwar gut vertragen, kann aber zu Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen führen. „Diese Beschwerden bessern sich oft im Lauf der Behandlung“, sagt Harald Schneider. „Wichtig ist aber auch, die Bauchspeicheldrüse und Gallenblase regelmäßig zu kontrollieren.“ Unter Umständen kann es nämlich zu Erkrankungen an diesen Organen kommen.
Blick auf die Schilddrüse
Ebenfalls muss man die Schilddrüse im Blick haben: Tiere, denen Semaglutid gegeben wurde, zeigten ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebsarten. „Es ist wichtig, dass die Patienten sorgfältig überwacht werden“, betont der Diabetes-Experte. Richtig angewandt, kann das Medikament auf längere Sicht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkte und Schlaganfälle senken. Welche Folgen sich aber nach zehn bis 15 Jahren zeigen, lässt sich noch nicht abschätzen.
Noch ein Punkt ist wichtig: Die Menschen, die in Studien Semaglutid zum Abnehmen testeten, nahmen gleichzeitig an einem Bewegungs- und Ernährungsprogramm teil. Nur im Rahmen dieses ganzheitlichen Konzepts konnten die teils bemerkenswerten Erfolge erzielt werden.
Erfolg nur bei dauerhafter Anwendung
„Wir wissen gar nicht, wie das Mittel allein wirken würde“, sagt Matthias Blüher. Klar gezeigt hat sich allerdings, dass das Medikament nur effektiv ist, solang man es anwendet. Setzen Patienten Semaglutid wieder ab, nehmen sie wieder zu. „Der Körper will immer wieder zum Ausgangsgewicht zurück“, erklärt der Adipositas-Experte. In den kommenden Jahren rechnen Experten mit verbesserten Adipositas-Medikamenten aus der Gruppe der GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Wahrscheinlich geht der Trend auch in Richtung Tablette.