„Wir informieren Sie, wenn die Gefahr vorüber ist.“ So endet jede Rundfunk-Warnmeldung, die mal wieder einen Falschfahrer auf der Autobahn ankündigt. Die meisten, die auf den Straßen unterwegs sind, können die Meldung gelassen zur Kenntnis nehmen, weil sie deutlich außerhalb der Gefahrenzone sind. Wer sich dieser allerdings nähert, sollte handeln oder auch den Ratschlägen im Verkehrsfunk folgen: „Überholen Sie auf keinen Fall und fahren Sie möglichst rechts.“
Abstand zum Vordermann verlängern
Der zusätzliche Tipp von ADAC: Abstand zu den Vorausfahrenden halten, weil dies das Blickfeld deutlich erweitert und mehr Zeit zum Reagieren gibt. „Man sollte auch den Seitenstreifen im Blick haben, um bei Gefahr notfalls dorthin ausweichen zu können“, rät der ADAC. Gegebenenfalls könne die nächste Ausfahrt oder ein Parkplatz angesteuert werden, bis es heißt: „Die Gefahr durch einen Falschfahrer besteht nicht mehr.“
Warum die Bedrohung gebannt ist, erfährt der Hörer meist nicht. Denn in den meisten Fällen bereinigt sich die Situation unfallfrei. Fest steht aber: Was in der Regel für die meisten Autofahrer nur eine kurze Unterbrechung des Rundfunkprogramms bedeutet, kann tödliche Folgen haben.
Sechs Tote im Jahr 2021
Sechs Menschen verloren 2021 auf baden-württembergischen Autobahnabschnitten bei Unfällen, die von Falschfahrern verursacht wurden, ihr Leben. Vier mehr als im Vorjahr. Neun Personen wurden laut Jahresbilanz des Verkehrswarndienstes im vergangenen Jahr bei Zusammenstößen schwer verletzt.
Im Schnitt wurde im Südwesten 2021 täglich eine Falschfahrt gemeldet. Das zuständige Innenministerium listete 357 Fälle, etwa 30 mehr als im Vorjahr. Diese Zunahme wird sowohl in Stuttgart als auch nach Anfrage im bayerischen Innenministerium in München mit der Corona-Pandemie erklärt, die 2020 zu vorübergehend sinkenden Zahlen geführt hatte.
Nur vorübergehende Besserung
Wie man in München mitteilt, kam es während der Pandemie zu einer Delle bei den Falschfahrten, weil weniger gefahren wurde. Die registrierten Meldungen gingen demnach 2020 um 22,7 Prozent von 335 auf 259 zurück. 2021 stieg die Zahl mit 289 Meldungen um 11,6 Prozent wieder leicht an.
Auch die Zahl der in Bayern bei Falschfahrer-Unfällen Getöteten ist mit denen in Baden-Württemberg vergleichbar. Nach jeweils vier Toten in den Jahren 2019 und 2020 kamen 2021 im Freistaat drei Menschen ums Leben, 14 wurden verletzt.
Schwerwiegende Unfallfolgen
Im Vergleich zum Unfallgeschehen auf den Autobahnen insgesamt, sind diese Zahlen sehr niedrig. Laut einer Studie der Bergischen Universität Wuppertal, die diese 2012 im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums erstellte, nehmen Falschfahrten einen Anteil von 0,05 Prozent an allen Autobahnunfällen ein. Bei Unfällen mit Personenschäden sind es im Mittel 0,2 Prozent.
Allerdings seien die Unfallfolgen „vergleichsweise schwerwiegend“, so die Studie. Denn jeder zweite Falschfahrtunfall führe zu Personenschäden, bei fast jedem sechsten solchen Unfall sterben Menschen. Das häufigste Fehlverhalten: Wenden auf einer Richtungsfahrbahn und falsch Auffahren an Anschlussstellen.
Ein Drittel der Fälle am Wochenende
Erhöhte Vorsicht ist am Wochenende ratsam. Dann ist das Risiko, in Baden-Württemberg und Bayern auf einen Falschfahrer zu treffen, größer. Im Südwesten ereigneten sich 35 Prozent der Vorfälle an einem Samstag oder Sonntag, in Bayern liegt der Wert mit 37 Prozent vergleichbar hoch.
„Am Wochenende sind mehr Ausflügler unterwegs und damit viele Fahrer, die sich vor Ort nicht auskennen“, sagt Michael Siefener, Sprecher im Münchner Innenministerium, auf Nachfrage. „Wir gehen davon aus, dass fehlende Ortskenntnis ein Grund dafür sein kann, versehentlich falsch auf die Autobahn einzufahren.“
Wie man Unfällen vorbeugt
Nähere Erkenntnisse über die Ursachen von Falschfahrten – etwa als statistische Auswertung – liegen weder in Stuttgart noch in Bayern vor. Zwar spricht Michael Siefener von „internen Erhebungen der Polizei, um mehr über die Gründe der Falschfahrten zu erfahren“. Dazu würden alle der Polizei bekannt gewordenen Falschfahrermeldungen soweit möglich ausgewertet. Doch die Erkenntnisse bleiben insgesamt dünn. Denn oft bekommen die Beamten den Falschfahrer nicht zu Gesicht, weil der inzwischen von der Autobahn abgefahren ist.
Daher sind es vorwiegend Mutmaßungen, die im Zusammenhang mit Falschfahrten angestellt werden: „Die meisten der Falschfahrten dürften Versehen seitens der Fahrer sein, beispielsweise aus Ortsunkenntnis“, vermutet Michael Siefener. „Auch Mutproben könnten eine Rolle spielen, wenngleich wir hierüber keine fundierten Zahlen vorliegen haben.“ Alkohol und Drogen, aber auch Medikamente könnten das Risiko von Falschfahrten zumindest steigern.
Suizid selten, aber folgenreich
Sicher ist Siefener bei einer Ursache: „Suizidgedanken sind bei den wenigsten Falschfahrten der Hintergrund.“ Allerdings seien sie ein wichtiger Grund für Falschfahrerunfälle mit tödlichem Ausgang. So kamen 2021 in Bayern alle drei bei Falschfahrten getöteten Personen bei solchen Verkehrsunfällen ums Leben.
In Bayern liegen immerhin Erkenntnisse darüber vor, wie oft die Polizei vielleicht Schlimmeres verhindern konnte. So wurde 2021 in 72 Fällen eine Falschfahrt durch Beamte gestoppt. Dabei ergingen 37 Strafanzeigen wegen Straßenverkehrsgefährdung und sechs Strafanzeigen wegen Unfallflucht.
Experten suchen nach Problemstellen
Ein Weg, die Zahl der Falschfahrten – die Verkehrsexperten für ganz Deutschland auf etwa 2000 jährlich schätzen – zu senken, ist: Problemstellen finden, an denen sich die Vorfälle häufen. Erkannte Hotspots, etwa bei Anschlussstellen oder in Baustellenbereichen, werden laut Michael Siefener „sofort analysiert und durch Maßnahmen entschärft“.

Die Verkehrsforscher weisen in ihrer Studie jedoch darauf hin, „dass Falschfahrten voraussichtlich niemals ganz zu verhindern sein werden“. Absichtliches Wenden und falsches Auffahren ließen sich auch durch technische Verbesserungen wie Pfeilmarkierungen oder Signalanlagen nicht gänzlich ausschließen. So wird auch künftig auf der Strecke eine imaginäre Warnlampe im Kopf aufleuchten, wenn es wieder heißt: „Achtung Autofahrer...“