"Die versuchen einem echt die Scheisse, als normal unterzujubeln, armes Deutschland". „Hände ab und weg damit.“ „Elende Drecksäue.“ Das sind Beiträge, die bei Facebook zu lesen waren – einige davon auch auf der Seite von bei Pegida BW – Bodensee, der Seite also, die erst kürzlich in der Diskussion um die Porträts der Spieler der Deutschen Nationalmannschaft auf der Kinderschokolade in die Schlagzeilen geriet.

Die genannten Kommentare dokumentieren, wie rau der Ton im Internet ist – und das nicht erst seit verstärkt über Migration debattiert wird, weil mehr Menschen nach Deutschland flüchten. Ein Lehrer aus Düsseldorf wollte sich dieser Tage die öffentlichen Diffamierungen durch eine Schülerin im Netz nicht gefallen lassen und klagte gegen die 14-Jährige. 2014 wurde eine Kasseler Soziologin auf Facebook bedroht. Der Anlass: Sie beschäftigte sich mit Methoden zur Diskussion von sexueller Vielfalt. Nachdem sie in einer lokalen Zeitung ein Interview gegeben hatte, erhielt sie Morddrohungen.

Doch was passiert da im Internet? Und woher kommt dieser offen zur Schau getragene Hass? Die Arbeitssoziologin Susanne Völker von der Universität Köln, hält die Aggression für einen Ausdruck sozialer Verunsicherung. Da fragten sich einige: Wo ist mein Platz und wer bin ich eigentlich? Einzelne – „überwiegend Männer“ – brächten ihre Unsicherheit im Internet zum Ausdruck. Völker spricht, in Anlehnung an den Göttinger Soziologen Berthold Vogel, von der „nervösen Mitte“.

Anonymität im Internet

Doch es sind nicht nur gesellschaftliche Gründe, die zu einer Enthemmung im Internet führen. Pöbeleien im World Wide Web scheinen durch das Medium selbst begünstigt zu werden. Die Wiener Journalistin und Autorin des Buches "Hass im Netz", Ingrid Brodnig, führt zum Beispiel die eigene Anonymität in Foren, Chats und Sozialen Medien als möglichen Grund für den offen zur Schau getragenen Hass an.

Doch stimmt das tatsächlich? Erfahrungen aus Südkorea zumindest passen nicht dazu. Dort mussten User ihre Identität offenlegen. Eine Studie ergab später: Die Anfeindungen gingen dadurch nicht zurück. Dazu passt auch, dass viele Netz-Hetzer ihre wahre Identität gar nicht erst zu verschleiern versuchen. Im Gegenteil: Viele äußern ihn ganz offen, mit ihrem Klarnamen und dem eigenen Gesicht.

Viel wahrscheinlicher ist wohl, dass es nicht die eigene Unsichtbarkeit, sondern die des anderen ist, die zu der Enthemmung führt. Studien haben ergeben, dass der fehlende Augenkontakt im Netz tatsächlich zu weniger Einfühlungsvermögen und damit zu einer Art Pöbel-Kultur führt. “ Der amerikanische Psychologe John Suler bezeichnete dieses Phänomen als so genannten "online disinhibition effect", was soviel wie „Online-Enthemmungseffekt“ bedeutet.

Doch das Internet schafft nicht nur Distanz, sondern auch Nähe. Jeder findet Gleichgesinnte, mit denen man sich in Gruppen und Chats austauschen kann. Dort entstehen dann so genannte "digitale Echokammern". Menschen, die extreme Ansichten haben, werden dort bestärkt. Und: In Sozialen Netzwerken erhalten laute Nutzer mehr Aufmerksamkeit. Das Netz ist nicht egalitär, erklärt Autorin Ingrid Brodnig.

Debatten radikalisieren sich schneller

Wie verbeitet Hass und Hetze in Sozialen Netzwerken sind, bewies erst kürzlich ein Chatbot von Microsoft. Der Software-Roboter sollte in sozialen Medien, in diesem Fall auf Twitter, mit Nutzern interagieren. Die lernfähige Maschine sollte klüger werden, je mehr sie mit Menschen kommunizierte. Das schockierende: Binnen Stunden redet der Bot nicht mehr über Horoskope und Promis, sondern gab sexistische und rassistische Kommentare von sich.

Doch welche Folgen haben Hass und Hetze für eine Gesellschaft? Der US-amerikanische Kommunikationswissenschaftlers Dietram Scheufele fand heraus, dass Schimpfwörter sehr stark beeinflussen, wie Menschen über Themen urteilen. Sie verhindern, dass sie sich weiterhin für eine andere Menschen und Meinungen öffnen können.

Daraus entsteht dann auch das, was der die Netz-Ikone Sascha Lobo als "die Essenz des Entwederoderismus" bezeichnet. Das heißt: Wann immer Kritik an einer Position geäußert wird, wird sie als Parteinahme der radikalstdenkbaren Gegenposition betrachtet. Die Folge: Die Debatte verhärtet und schaukelt sich auf. Für Autorin Ingrid Brodnig ist das mehr als nur bedenklich, es ist eine Gefahr für die Demokratie.

Was hilft gegen Hetze im Internet?

Doch was kann man tun? Es gibt durchaus technische Mittel, die Hass im Netz eindämmen können. Ingrid Brodnig plädiert zum Beispiel dafür, dass Kommentare und das Verhalten von Usern im Netz bewertet werden. Eine Methode, die bei dem Computerspiel "League of Legends" bereits erfolgreich angewandt wird. Dort werden, Spieler bestraft, wenn sie das Match verlassen oder ohne Vorankündigung gehen. Zudem lerne die interne Erkennungssoftware immer besser, wenn rüde Teilnehmer üble Beschimpfungen, Rassismus oder Homophobie an den Tag legen.

Doch nicht nur Programme und Bots, auch Menschen können auf Hass im Netz reagieren. Experten raten zu einer Methode, sie sie mit dem Begriff "Counter Speech" (Gegenrede) bezeichnen. Es soll darum gehen, sich nicht mundtot machen zu lassen. "Counter Speech" setzt darauf, jede noch so aggressive Argumentation, jeden Gewaltaufruf ruhig und rational zu beantworten. „Viele Menschen könne man so noch erreichen“, sagt Brodnig. Im besten Fall gerate der Urheber eines Hass-Kommentares dann in Erklärungsnot.

Doch was ist noch Meinung und was Hetze? Diese Frage stellt nicht Privatpersonen, sondern auch Unternehmen und Medienhäuser vor besondere Herausforderungen. "Die Abwägung, was bereits ein Hasskommentar ist, und welche Formulierungen noch unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fallen, ist nicht immer einfach", sagt SÜDKURIER-Digital-Chef Sebastian Pantel.

Ino Augsberg, Jurist in Kiel, sagte kürzlich zum Umgang mit Hasskommentaren. "Wir wollen keinen Intellektuellenklub und es muss auch nicht jede Meinung immer rational sein.“ Die Frage sei: Wann kippt es um? Er rät Unternehmen wie Facebook dazu, nur dann einzuschreiten, wenn tatsächlich Rechtsgüter gefährdet sind, etwa durch konkrete Aufforderungen zu Gewalttaten. „Bis dahin müssen wir das alles aushalten."

 

In eigener Sache

Auch den SÜDKURIER beschäftigen Hasskommentare, sowohl auf der Homepage suedkurier.de als auch bei Facebook. Auf der Homepage wird jeder Kommentar vor der Veröffentlichung durch die Redaktion geprüft. Kommentare, die gegen die Regeln verstoßen, werden nicht freigeschaltet, nach mehreren Verstößen werden Nutzer gesperrt. Jeder Kommentator muss sich mit Echtdaten registrieren für den Fall, dass strafrechtlich relevante Inhalte kommentiert werden. Auf Facebook verbirgt oder löscht die Redaktion Hasskommentare, schwere Verstöße werden an Facebook gemeldet. Als Betreiber der Website und Inhaber der Facebook-Seiten liegt es letztlich in der Hand des SÜDKURIER zu entscheiden, welche Äußerungen toleriert werden.

 

"Nicht mit Hass auf Hass reagieren"

Ingrid Brodnig, 31, Journalistin und Netz-Expertin, erklärt, wie man Wahrheit und Gerüchte im Internet voneinander unterscheidet und wie man auf Hetze am besten reagiert.

Frau Brodnig, wieso beschäftigen Sie sich eigentlich mit dem Thema „Hass im Netz“? Weil das Thema immer virulenter wird. In der letzen Zeit haben Lügengeschichten und Halbwahrheiten zugenommen, die im Netz kursieren und Feindbilder bestätigen. Durch die ständige Wiederholung werden Ängste und Vorurteile verstärkt. Irgendwann denken Menschen dann: „Ich habe das jetzt schon so oft online gelesen, warum berichten das die klassischen Medien denn nicht?“ Ganz nach dem Motto: Wo Rauch ist, ist da nicht auch Feuer? Und ich denke, die Zeit ist reif, dass wir uns mit diesem Phänomen auseinandersetzen.

Das Netz ist voll mit Meldungen und Gerüchten. Wie kann man Wahrheit und Lügen denn da überhaupt unterscheiden?Ein ganz klares Anzeichen ist aus meiner Sicht, wenn man beim Lesen einer Meldung das Gefühl hat: „Das ist ja irre. Das muss ich sofort teilen.“ Dieser starke Impuls deutet auf eine extreme Emotionalisierung hin. Das sollte einen stutzig machen. Eine andere Methode ist die Google-Bilder-Rückwärtssuche. Diese zeigt mir, wo ein Foto im Netz schon einmal aufgetaucht ist. Fälscher von Nachrichten geben sich oft nicht so viel Mühe, wie man glauben könnte – oft verwenden sie alte Bilder für eine angeblich neue Geschichte.

Was kann man tun, um Falschmeldungen durch Kommentare zu entlarven? Kommentiert man einen solchen Post, sollte man auf jeden Fall darauf verzichten, die Falschmeldung zu wiederholen. Ein Beispiel: Im Netz behaupten viele, Barack Obama sei Moslem. Die logische Reaktion vieler Menschen darauf wäre, zu sagen: „Nein, Barack Obama ist kein Moslem.“ Aber genau das sollte man nicht tun. Besser ist es, die Richtigstellung aktiv zu formulieren. Das heißt, in diesem Fall könnte man sagen: „Barak Obama ist Christ.“ Das Gute an dieser Variante: Man stellt die richtige Information in den Vordergrund.

Auf emotionale Posts und Nachrichten folgen ja oft auch aggressive Kommentare. Was kann man tun, wenn man so etwas liest? Das Allerwichtigste ist, nicht mit Hass auf Hass zu reagieren. Denn wenn sich Fronten bilden, hilft das nur denjenigen, die versuchen ein radikales Klima zu schaffen. Besser ist es, in solchen Fällen zu fragen: „Was besorgt dich denn“ Oder: „Was meinst du denn konkret?“ Viele Menschen kann man durch Nachfragen zu einer Diskussion bewegen.

Und was ist, wenn sich jemand auf keine Diskussion mehr einlassen möchte? Wenn ich merke, dass ein User überhaupt nicht auf Argumente eingeht, kann man versuchen, dies innerhalb der Diskussion transparent zu machen. Es ist vollkommen in Ordnung, es sachlich festzuhalten, wenn jemand zu Beispiel Argumenten ständig ausweicht oder ungehalten zu Andersdenkenden ist. So werden Mitlesende auf diesen Diskussionsstil aufmerksam gemacht.

Gibt es sonst noch Möglichkeiten? Am effektivsten ist es, wenn man es schafft, in einer erhitzten Stimmung mit Humor zu reagieren. Denn diese Reaktion kann dem Hass etwas entgegensetzen. Wenn jemand lacht, vergisst er zumindest für einen Moment seine Wut.

Mit Humor zu reagieren ist sicherlich nicht immer leicht. Erst Recht nicht, wenn man selbst attackiert wird… Ja, natürlich. In ersten Fällen reicht Humor nicht aus. Manchmal sind juristische Schritte notwendig. Falls man selbst Opfer wird oder etwas sieht, DAS strafrechtlich relevant sein könnte, empfehle ich auf jeden Fall immer, Screenshots zu machen. Viele Opfer erzählen, dass sie solche Posts sofort gelöscht haben. Das ist jedoch keine gute Idee.

Warum? Viele wissen später gar nicht mehr, welcher User ihnen den fraglichen Kommentar geschickt hat. Außerdem können Screenshots später wichtige Beweismittel vor Gericht sein. Deshalb gilt: Wenn ich nur ansatzweise den Verdacht hege, dass jemand anfangen könnte, mich zu mobben oder dass eine Aussage vielleicht strafrechtlich relevant sein könnte, sollte man unbedingt alles dokumentieren.

Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass Hass- und Hetz-Kommentare in sozialen Netzwerken gelöscht werden? Es ist absolut richtig, dass solche Kommentare gelöscht werden – erst recht, wenn es sich im Aufrufe zur Gewalt handelt. Zum einen ist es ein Schutz für die Betroffene. Zum anderen geht aus meiner Sicht auch darum, zu zeigen, dass es Grenzen gibt. Wir haben als Gesellschaft einfach die Verantwortung, zu sagen: „Nein, es gibt keine Toleranz für Gewalt“.

 

Buchtipp: Ingrig Brodnig, "Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können", Brandstätter Verlag (232 Seiten), 17,90 Euro.