Eyez schwingt die Beine in den Lotussitz, schließt die Augen und atmet tief ein. Der quirlige Siebenjährige, der vor weniger als einer Stunde noch durch den Raum getollt und schon von Weitem zu hören gewesen war, wirkt wie ausgewechselt. Mucksmäuschenstill sitzt er jetzt auf seiner Matte, seine Hände liegen entspannt auf seinen Knien. In diesem Moment scheint er vollkommen in sich zu ruhen.
Eyez ist eines der fünf Kinder, die regelmäßig den Kinderyogakurs von „Kids Place“ in Konstanz besuchen. Kurse wie diese gibt es mittlerweile überall in der Region. Ob im Markdorfer Wirtshof, im Yoga-Zentrum Waldshut oder bei Shakti Spirit in Villingen – die indische Bewegungs- und Meditationslehre ist längst nicht mehr nur den Erwachsenen vorbehalten. Doch wie sinnvoll ist das meditative Recken und Strecken für die Kleinsten? Ist es nur ein weiterer Programmpunkt in den Terminkalendern der Kinder oder hilft es ihnen tatsächlich beim Entspannen und bringt gesundheitliche Vorteile?

Mirjam Skandrani muss es wissen. Seit März dieses Jahres unterrichtet die 31-Jährige die kleinen Konstanzer Nachwuchs-Yogis. Sie ist überzeugt: „Yoga ist toll für Kinder.“ Jedes Kind ab sechs Jahren könne mitmachen, erzählt Skandrani. „In dem Alter können sie sich schon gut auf die Übungen konzentrieren.“ Die Bewegungsentwicklung der Kinder sei eine Herzensangelegenheit für sie, sagt die gelernte Erzieherin. Trainiert wird einmal pro Woche, dafür zahlen die Eltern 30 Euro monatlich.
Medizinisch unbedenklich
Doch ist Yoga auch aus medizinischer Sicht für Kinder unbedenklich? Ja, meint die Radolfzeller Physiotherapeutin Kerstin Christen. „Es stärkt die Muskeln und macht die Kinder beweglicher“, erklärt sie. Immer häufiger sei zu beobachten, dass schon die Kleinsten mit koordinativen Problemen zu kämpfen haben, Kindergartenkinder zum Teil noch nicht auf einem Bein hüpfen können. „Yoga kann dabei helfen, diese Koordinationsfähigkeit zu schulen“, so Christen.
Das sei immer öfter nötig, erklärt die Physiotherapeutin, denn „Kinder erfahren ihre Umwelt heute nicht mehr so intensiv über Bewegung wie früher.“ Vielmehr seien sie einer ständigen Reizüberflutung durch Fernseher, Smartphones und Tablets ausgesetzt und dadurch weniger auf sich selbst fokussiert. „Deshalb sind Angebote wie Kinderyoga sinnvoll, weil sich die Kinder bewegen und ihre Eigenwahrnehmung spielerisch geschult wird“, sagt Kerstin Christen.
Stressabbau für die Kleinsten
Doch Mirjam Skandrani beobachtet bei ihren Schützlingen nicht nur eine körperliche Entwicklung. „Ruhe und Entspannung sind in der heutigen dynamischen Zeit sehr wichtig für Kinder“, erklärt sie. „Die Kinder erleben Stress im Alltag und sind oft schon im Grundschulalter einem gewissen Leistungsdruck ausgesetzt – wir Erwachsenen neigen dazu, das zu unterschätzen.“ Das konzentrierte Arbeiten mit dem eigenen Körper könne dabei helfen, diesen Stress abzubauen und das innere Gleichgewicht der Kinder wiederherzustellen, ist sich Skandrani sicher.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie der Tulane University in New Orleans aus dem Jahr 2018. Ein Forscherteam arbeitete dafür mit den Drittklässlern einer öffentlichen Schule. Schüler, die zu Beginn des Schuljahres auf Angstsymptome untersucht wurden, wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Während die eine normalen Unterricht machte, nahm die andere über acht Wochen regelmäßig an Yogakursen teil. Das Ergebnis: Yoga half den Drittklässlern, ihre Ängste und Sorgen mitzuteilen und ihr Wohlbefinden zu verbessern. Wenn die Arbeit in der Schule immer komplexer wird, so die Forscher, könne Yoga den Kindern dabei helfen, mit dem Druck umzugehen und die emotionale Gesundheit zu verbessern.

Yogis entwickeln Körpergefühl
45 Minuten dauert eine Einheit im Kurs von Mirjam Skandrani. 45 Minuten, in denen die Kleinen verschiedene Asanas, wie die Übungen im Yoga genannt werden, absolvieren. Diese sind den Bewegungen des Erwachsenenyogas sehr ähnlich, tragen aber kindgerechtere Namen, die die Vorstellungskraft ankurbeln sollen: Aus dem Dreieck wird die Giraffe, aus der Stellung des Kindes wird das Mäuschen und der Krieger wird zum Helden. Um die Kinder aktiv in die Gestaltung des Kurses einzubinden, benutzt Mirjam Skandrani Karten, auf denen die Asanas abgebildet sind. Eyez wählt die Palme, die 10-jährige Melissa entscheidet sich für den Hund. So darf sich jeder in der Runde eine Übung aussuchen, die dann alle gemeinsam nachmachen.

Während sich die Kinder in Katzen, Brücken, Giraffen oder Kerzen verwandeln, achtet Mirjam Skandrani genau darauf, ob sie die einzelnen Bewegungen richtig umsetzen. Das sei wichtig, damit sich keines der Kinder beim Yoga verletzt, sagt sie. Außerdem erklärt sie bei jeder Übung, welche Körperpartien und Muskeln beansprucht werden und wofür diese wichtig sind. „Dadurch lernen die Kinder ihren eigenen Körper besser kennen und entwickeln ein Körpergefühl, das sie sicherer und selbstbewusster macht“, so die Trainerin.

Bevor die Kinderyogagruppe aus Konstanz wieder zurück in den Alltag saust, lädt Trainerin Mirjam Skandrani noch zu einer kurzen Entspannungsreise ein. „Jeder wünscht sich in Gedanken jetzt mal an seinen Lieblingsort“, sagt die 31-Jährige, während die Kinder mit geschlossenen Augen auf ihren Yogamatten sitzen. „Das muss ich nicht, da bin ich schon längst“, ruft Eyez‘ neunjährige Schwester Siser mit einem breiten Lächeln im Gesicht.
Kinderyoga
Die Übungen, die Mirjam Skandrani mit ihren Schützlingen macht, sind vom Hatha Yoga abgeleitet – einer Form des Yoga, bei der das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist vor allem durch körperliche Übungen (Asanas), durch Atemübungen (Pranayama) und Meditation angestrebt wird. Der Begriff „Hatha“ bedeutet Gewalt oder Kraft – damit soll die Anstrengung unterstrichen werden, die notwendig ist, um das eigentliche Ziel zu erreichen. In der Kinderyoga-Variante werden viele Asanas leicht abgewandelt und mit kindgerechteren Namen belegt. (svg)