Roland Knauer und Alexander Michel

Der Kolkrabe scheint nicht lange zu überlegen. Der Vogel im tief schwarzen Gefieder entscheidet sich für den einfachen Schraubverschluss einer Pfandflasche und nimmt sie in seinen Schnabel. Dabei ignoriert er das Holzstäbchen, den Strohhalm und das Stück Baumrinde. Diese drei Dinge haben die Wissenschaftler Can Kabadayi und Mathias Osvath von der Universität Lund im Süden Schwedens dem Vogel ebenfalls angeboten.

Am nächsten tauscht der Kolkrabe seine Plastikkappe dann gegen ein leckeres Stück Hundefutter ein. Der Grund: Vorher hatte das Tier in Experimenten gelernt, dass ihm für den Schraubverschluss eine wohlschmeckende Belohnung winkt. Der Rabe war daher planvoll vorgegangen, um das Leckerli wirklich zu erhalten. Dieses Verhalten klingt für uns Menschen zwar folgerichtig. Für Tiere aber waren solche geplanten Tauschgeschäfte bisher nur bei unserer nächsten Verwandtschaft, den Menschenaffen, bekannt. „Dieses Experiment ist daher ein wichtiger Schritt, die Evolution der Intelligenz zu verstehen“, erklärt der Verhaltensforscher Markus Böckle von der Universität im englischen Cambridge.

Für viele Menschen gehört eine vorausschauende Planung,wie sie der Rabe gezeigt hat, zwar zum Alltag und ist beim Einkauf für das Wochenende genauso wichtig wie beim Packen für die nächste Reise. Auch unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, können sich bei Experimenten mit Verhaltensforschern offensichtlich vorstellen, dass sie ein heute eigentlich wertloses Ding wie den Schraubverschluss einer Flasche morgen gegen einen Leckerbissen eintauschen können. Nur gehen Schimpansen und Menschen gerade einmal seit einigen Millionen Jahren eigene Wege, Vögel dagegen bereits seit 300 Millionen Jahren.

Sollten die Raben also ebenfalls für die Zukunft planen können, liegt die Vermutung nahe, dass sich solches intelligente Verhalten in beiden Gruppen unabhängig voneinander entwickelt hat. Daher schauen sich Markus Böckle in Cambridge und Mathias Osvath in Lund das Verhalten von Rabenvögeln genauer an. Die stehen schon lange in dem Ruf, besonders clever zu sein. So werfen Nebelkrähen in Mitteleuropa gern Nüsse auf Straßen. Rollt ein Auto darüber, übersteht die Schale das nicht, und die Krähe kann sich hinter dem Auto eine leckere Nuss auflesen, sollte dabei aber auf den nachfolgenden Verkehr achten.

Krähen können kausale und abstrakte Zusammenhänge erkennen – und zwar spontan, ohne vorheriges Training.
Krähen können kausale und abstrakte Zusammenhänge erkennen – und zwar spontan, ohne vorheriges Training. | Bild: Christoph Schmidt

Noch weiter gehen die Krähen auf der großen Insel Neukaledonien, die nördlich von Neuseeland und östlich von Australien in der Südsee liegt. „Die Neukaledonien-Krähen stochern mit kleinen Ästchen nach Larven, die im Holz leben und stellen sich solche Werkzeuge sogar gezielt her“, erklärt Markus Böckle. Bis September 2017 untersucht der Wiener Forscher von der Universität in Cambridge dieses intelligente Verhalten der Südsee-Krähen. In Europa ähneln die Kolkraben mit ihrem metallic-schwarzen Gefieder der entfernten Verwandtschaft auf Neukaledonien zwar verblüffend, beim Benutzen von Werkzeugen konnten die Forscher sie in der Natur bisher jedoch nicht beobachten.

Ganz anders sieht die Situation aus, wenn Can Kabadayi und Mathias Osvath diese Vögel in Lund vor eine knifflige Aufgabe stellen: Ein kleiner Apparat gibt einen Leckerbissen in Form von Hundefutter nur heraus, wenn ein Stein von oben in eine Öffnung geworfen wird. Die Kolkraben meistern diese Aufgabe mit Bravour. Danach dürfen die Tiere beobachten, dass der Apparat sich mit verschiedenen anderen Gegenständen nicht öffnen lässt.

Am nächsten Tag sitzen die Kolkraben ohne Stein vor dem Apparat und kommen an ihren Leckerbissen nicht heran. Anschließend entfernen die Forscher das Gerät, lassen die Vögel eine Stunde warten und bieten den anscheinend frustrierten Tieren an einem anderen Ort vier verschiedene Gegenstände an. Auch wenn der Apparat mit dem Leckerbissen gar nicht da ist, nehmen die Kolkraben zielstrebig den Stein, der genau in die Öffnung passt. Eine Viertelstunde später kommt dann das Gerät, und die Vögel können mit Hilfe des Steins endlich ihren begehrten Leckerbissen fressen.

Im nächsten Teil des Experiments lernen die Kolkraben, dass sie für einen Flaschenverschluss ein Stück Hundefutter eintauschen können, das sie als ganz besonderen Leckerbissen sehr schätzen. In der Abschlussprüfung müssen sich die Tiere dann zwischen einem eigentlich begehrten Futter, das sie sofort schlucken können, und einem Stein oder einem Flaschendeckel entscheiden, mit dem sie sich später das noch begehrtere Hundefutter aus dem Apparat holen oder es eintauschen können. Die meisten Tiere ließen das direkt verfügbare Futter liegen und schnappten sich den nicht fressbaren Gegenstand, der ihnen später einen noch besseren Leckerbissen bescherte. Einen überzeugenderen Beweis für ihre voraus planende Intelligenz hätten die Kolkraben kaum liefern können.


Schlaue Betty: Ein Krähenvogel mit der Intelligenz eines 5-jährigen Kindes

 

Die klugen Rabenvögel

Raben haben in Deutschland einen schlechten Ruf. Die Begriffe „Unglücksrabe“ und „Galgenvogel“ zeigen es. Die Tiere gelten als düstere und feindselige Vögel. Doch das wird ihrer Intelligenz nicht gerecht.

  • Gesichtserkennung: Raben erkennen menschliche Gesichter wieder. So identifizieren sie noch fünf Jahre nach einer Fangaktion „böse“ Menschen. Auch Raben, die das Ganze nur beobachtet hatten, zeigten Angst vor den Gesichtern. Nicht nur das: Die Raben warnen auch andere. Unbeteiligten Raben zeigten sie die Gesichter, vor denen sie sich in Acht nehmen sollten.
  • Fürsorge: Raben sind ihr ganzes Leben lang mit dem gleichen Partner zusammen. Jeder Jahr zeugt ein Paar zwischen zwei und fünf Junge, um die es sich fürsorglich kümmert. Junge Raben fallen schnell mal aus dem Nest und hüpfen dann scheinbar elternlos am Boden herum. Das hat wohl den Begriff „Rabeneltern“ geprägt. Aber der Eindruck täuscht. Die Eltern sind immer in der Nähe, füttern und verteidigen ihren Nachwuchs.
  • Sprache: Kolkraben können sogar sprechen, wenn man ihnen einzelne Sätze lange genug vorsagt. Auch der Dialekt des Vorsprechers ist dann noch zu erkennen. Den Inhalt der Worte verstehen die Raben – wie die Papageien – nicht. Zumindest wurde das nicht nachgewiesen.
     
  • Gesang: Trotz ihres als hässlich empfundenen Gekrächzes gehören die Rabenvögel zu den Singvögeln. Die Rabenvögel bilden eine zoologische Familie, zu der unter anderem Dohle, Elster, Eichelhäher, Kolkrabe, Raben- und Nebelkrähe zählen.
  • Rabe oder Krähe? Das fragen sich viele Leute, wenn sie die schwarzen Vögel in der freien Natur sehen. Beide Vogelarten gehören zur Gattung „Corvus“ in der Familie der Rabenvögel. Die großen Tiere nennt man einfach Raben, die kleinen nennt man Krähen. In Europa gibt es mit dem Kolkraben nur eine Rabenart, aber vier Krähenarten, darunter die Saatkrähe. Intelligent sind sie alle. (mic)