Manchmal werden Dinge, die von Autoren und Regisseuren in Science-Fiction-Serien kühn prophezeit wurden, Jahre später Wirklichkeit. Ein Beispiel ist der Tablet-Computer auf der Brücke von "Raumschiff Enterprise". Etwa 50 Jahre später war er da. Jetzt kommt eine weitere Erfindung hinzu. Sie fliegt lautlos und langsam quer durch die Schwerelosigkeit des Columbus-Labors der Internationalen Raumstation ISS, hört auf den Namen Cimon. Das weiße Ding ist intelligent und freundlich und wurde am Bodensee bei Airbus DS in Immenstaad erfunden.

Cimon ist die Abkürzung von "Crew Interactive MObile CompanioN" und bedeutet frei übersetzt "Interaktiver mobiler Mannschaftskumpel". Ein Vorbild spielte bereits in der US-Zeichentrickserie "Captain Future" mit. In dem Streifen aus den 80er-Jahren hat der Held ein robotisches Helferlein an seiner Seite. Es enthält das Gehirn von Professor Simon Wright in einem runden Gehäuse. Die Kugel kann dank Sensoren und Kameras sehen, besitzt einen Sprachprozessor und ist flugfähig. Kein Wunder also, dass das Team um Airbus-Projektleiter Till Eisenberg den astronautischen Flugbegleiter, der groß wie ein Medizinball und fünf Kilo schwer ist, in englischem Tonfall als "Simon" anspricht.
Datenleitung zur Erde und zurück
Mit Cimon erhält die 6-köpfige Besatzung der ISS quasi ein weiteres Crew-Mitglied – dank Künstlicher Intelligenz (KI), die auch auf der Erde, etwa in Fabriken, künftig immer mehr Aufgaben übernehmen kann und den Menschen entlastet. Denn ein Astronaut hat oft im wahrsten Sinn des Wortes alle Hände voll zu tun und muss teilweise mit dicken Ringbüchern hantieren – siehe Sandra Bullock in "Gravity" – weil man sich nicht alle Prozeduren im Kopf merken kann. Auch die neuere Variante, der ausgeklappte Laptop, ist in der Handhabung unpraktisch. In solchen Fällen springt Cimon ein, der in puncto Faktenwissen dank Programmierung ein Überflieger ist.

Sein Wissen ist im Gegensatz zum Freund von Captain Future nicht in der Kugel gespeichert, sondern auf der Erde, etwa bei der Watson-KI-Technologie in der IBM-Cloud. Eine Datenleitung zur Erde und zurück ruft die Informationen in Sekundenschnelle ab. Man kann Cimon Fragen stellen und er antwortet (auf Englisch) im Abstand von zwei Sekunden. "Das entspricht in etwa einer Unterhaltung zwischen Menschen", sagt Till Eisenberg, wohl wissend, dass es beim Homo sapiens mit der Antwort durchaus länger dauern kann. Die Helfer-Kugel antwortet immer zuverlässig, es sei denn, die Daten-Übertragung zur und von der Erde wird gestört. Künstliche Greifarme wie der Vorfahr bei Captain Future hat der neue Assistent nicht, "doch das wäre ein weiterer Entwicklungsschritt", sagt Till Eisenberg.

Damit man zu Cimon eine emotionale Beziehung aufbauen und ihn als Kumpel eher aktzeptiert, zaubert sein Monitor nicht nur Baupläne und Checklisten auf die Scheibe, sondern auch ein aufs Wesentliche reduziertes Gesicht. Der Astronaut sieht auf dem Monitor Augen, Mund und Nase, nachdem er den Helfer herbeigerufen hat und dieser dank integriertem Mini-Propellerantrieb zu ihm geflogen ist. "Wir versuchen gerade, die Lippen mit den gesprochenen Worten zu synchronisieren", sagt Till Eisenberg. Fünf Computerstimmen stehen zur Auswahl, darunter auch eine weibliche.
Cimon erkennt das Gesicht von Alexander Gerst
Cimon ist zunächst auf den deutschen Astronauten Alexander Gerst konditioniert und erkennt dessen Gesicht. Gerst wird in diesem Sommer Kommandant auf der ISS sein und CIMON sein Buddy. "Im Columbus-Labor gibt es eine große Vielfalt von Technik und entsprechend verwirrend viele Kabelstränge", sagt Till Eisenberg. Da in CIMONs Hirn alle Fakten einprogrammiert werden, hat er immer den Überblick. Der Astronaut kann sich auf das Wesentliche konzentrieren, etwa wenn er die vielen wissenschaftlichen Experimente im Columbus-Labor betreut.

"Das bedeutet mehr Zeit, mehr Effizienz und auch mehr Sicherheit", erklärt Projektleiter Eisenberg. "Denn der Helfer reduziert den Stress bei der Arbeit im Labor." Nur bei einem Außeneinsatz kann er nicht dabei sein, denn seine in Röhren rotierenden Mini-Propeller sind auf Luft angewiesen. "Im Weltraum bräuchten wir stattdessen einen Kaltgas-Antrieb", so Eisenberg zu den ganz anderen Anforderungen beim Einsatz jenseits der ISS-Außenhaut. Weil Cimon sich dank seiner Sensoren selbständig bewegen kann, nennt man solche Geräte "Freeflyer". Die Japaner haben die Technik schon getestet. In Europa ist Airbus DS das erste Unternehmen, das den Freeflyer weltraumtauglich gemacht hat.
Die Wissenschaftler neben Eisenberg, darunter der Airbus Ingenieur Philipp Schulien und der Software-Spezialist Christoph Kössl sowie fast 50 weitere Beteiligte, wollen Cimon indessen nicht auf eine ISS-Enzyklopädie reduzieren, die "Guten Morgen" wünschen und etwas Smalltalk verstehen kann. Das Team hat der ISS-Kugel neben 1000 antrainierten Sätzen und Phrasen weitere Fähigkeiten gegeben. So kann Cimon aus dem Tonfall der von Menschen gegebenen Antworten deren Stimmung herauslesen und verfügt somit über Ansätze emotionaler Intelligenz. Im Sinne eines selbst lernenden Systems lernt er den Menschen immer besser kennen und kann zunehmend differenzierter reagieren. Das geht schon weit über das simple Schema Frage-Antwort hinaus. "Die Dialogtiefe wächst", sagt Eisenberg. Bei vier Stufen ist man bisher angekommen.
Der Weltraum-Kumpel hat es faustdick hinter den Ohren
"Das wird bei künftigen lang dauernden Raumflügen, etwa zum Mars, wichtig werden", erklärt Till Eisenberg. Denn dabei werden die vier oder fünf Astronauten lange Zeit nur auf sich gestellt sein, und ein Funkspruch zur Erde ist 20 Minuten lang unterwegs. "Das verändert Menschen in einer Gruppe, vor allem, wenn man sieht, dass die Erde immer kleiner und unkenntlicher wird." Hier soll Cimon Beklemmungen abbauen und tatsächlich zu "Simon" werden – der den Menschen begleiten, coachen und auch aufheitern kann.
Doch der Weltraum-Kumpel hat es schon jetzt faustdick hinter den Ohren. Auch wenn er scheinbar harmlos in einer Ecke schwebt: Er belauscht alle Gespräche, die die Astronauten führen, so wie der hinterhältige HAL mit seinem roten Auge im legendären Leinwand-Epos "2001. Odyssee im Weltraum". Im Gegensatz zum Astronauten Bowman im Film kann sich die ISS-Crew wehren. Ein "Private"-Knopf auf der Rückseite von Cimon schaltet die Ohren des kleinen großen Bruders einfach aus.
Sehen Sie hier im Video, wie CIMON programmiert wird:
Zahlen und Daten zu Cimon
Der fliegende Assistenz-Roboter Cimon reagiert auf Sprachbefehle, kann selbst antworten und sich per Antrieb frei in der Raumstation bewegen. Weitere Daten und Fakten zu dem ungewöhnlichen Flugbegleiter:
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MaßeCimon wiegt rund fünf Kilogramm und misst im Durchmesser 32 Zentimeter.
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AusdauerZwei große Batterien sorgen dafür, dass er rund zwei Stunden lang im Einsatz sein kann.
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BeweglichkeitCimon kann seinen Kopf in weniger als 10 Sekunden um 180 Grad drehen - damit kann er beispielsweise auf Fragen der Astronauten mit Kopfnicken oder -schütteln reagieren. Fortbewegen kann er sich mit einer Geschwindigkeit von maximal 0,36 Metern pro Sekunde.
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DesignSeine runde Form sorgt unter anderem dafür, dass er bei Zusammenstößen nicht so schnell kaputt geht - und dass er nicht so leicht irgendwelche Knöpfe drücken kann, wenn er versehentlich mal gegen etwas fliegt. Sensoren helfen ihm zudem dabei, sich im Raum zurecht zu finden.
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SendepausePer Knopfdruck können die Astronauten den Roboter in einen privaten Modus schalten - dabei werden alle Streams unterbrochen und die Crew erhält ein wenig Privatsphäre.