Tilmann P. Gangloff

Frau Raeggel, wie sieht es eigentlich bei Ihnen zu Hause aus? Halten Sie sich an Ihre eigenen Ratschläge und werfen regelmäßig Ballast ab?

Ja, natürlich. Ich finde es sehr lästig und unerfreulich, Dinge regelmäßig aufzuräumen und abzustauben, die ich nicht wirklich benötige. Das erspare ich mir und sitze in dieser Zeit lieber auf dem Balkon und genieße das Leben.

Woran erkennt ein Mensch, dass seine Wohnung und sein Dasein „verstopft“ sind?

Ganz allgemein formuliert: wenn er zwar viel besitzt, aber gleichzeitig viel Stress, große Belastung oder wenig Zufriedenheit verspürt. Das bekannteste und gleichzeitig harmloseste Beispiel ist der Kleiderschrank „voll mit nix anzuziehen“.

In Ihrem Buch geht es nicht zuletzt um Menschen, die sich durch Shopping ein vorübergehendes Glücksgefühl erkaufen. Ist das ein Phänomen der heutigen Zeit?

Nein, das gab es früher sicher auch schon. Ich habe aber den Eindruck, es ist sehr viel mehr geworden.

Woran könnte das liegen?

Es ist sehr einfach geworden, sich ständig etwas zu kaufen. Das Problem ist, dass solche Glücksgefühle nur von kurzer Dauer sind. Also kaufen wir wieder und wieder.

Neigen Frauen eher zu Glückskäufen? Männer mit Dutzenden Schuhpaaren dürften die Ausnahme sein.

Männer haben oft nur andere Interessen, die häufig technischer Natur sind: der Ausstattungs-Schnickschnack im Auto, die Stereoanlage, der Werkzeugkasten etcetera.

Und wer hat die größeren Schwierigkeiten, sich von Dingen zu trennen?

Das ist nach meinem Eindruck unabhängig vom Geschlecht.

Gerade Menschen mit dem nötigen Stauraum, sprich: großem Keller, trennen sich nur ungern von Dingen, weil man sie ja noch mal brauchen könnte. Zeigt sich da die Prägung durch Eltern oder Großeltern und deren Erinnerung an die entbehrungsreichen Nachkriegsjahre?

Extreme Mangelerfahrungen haben natürlich eine gewisse Auswirkung. Aber das Horten von Dingen kann auch die jüngere Generation sehr gut. Gerade für Menschen, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren mit viel Konsum aufgewachsen sind, ist es einfach normal, sehr viele Dinge zu besitzen.

Liegt das Sammeln nicht ohnehin in der Natur des Menschen?

Sammeln war und ist in der Tat lebensnotwendig und erforderlich. In Gesellschaften, die von starkem Überkonsum geprägt sind, geht es jedoch eher um Masse und weniger darum, das richtige Maß zu finden.

Beim Entrümpeln, schreiben Sie in Ihrem Buch, soll man darauf achten, welche Dinge „lebenswichtig und relevant“ sind oder „glücklich machen“. Ist das nicht ein allzu strenger Maßstab?

Strenge Maßstäbe in diesem Bereich sind nicht so mein Ding. Ich sehe es eher als eine Orientierungshilfe, um Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

Dankbare Abnehmer für Aussortiertes: Altkleidercontainer.
Dankbare Abnehmer für Aussortiertes: Altkleidercontainer. | Bild: DPA

Viele Menschen besitzen Bücher, die sie nie wieder lesen werden, und Schallplatten, die sie jahrelang nicht gehört haben. Können Sie verstehen, wenn so jemand sagt: Das ist Teil meines Ichs?

Ja, das verstehe ich gut, auch wenn ich da selbst ein wenig anders ticke. Wenn sich jemand wirklich gut damit fühlt, ist das doch prima.

Was empfehlen Sie Paaren, die gegensätzliche Prinzipien leben und lieben, er die Ordnung, sie das Chaos – oder umgekehrt?

Für gemeinsam genutzte Bereiche muss man Kompromisse finden und aufeinander zugehen. Darüber hinaus kann es hilfreich sein, kleine persönliche Bereiche zu schaffen, in denen entweder das Chaos regieren darf oder kein Ding unsortiert herumliegt.

Ganz gleich, ob Kleiderschrank oder Kinderzimmer: Immer wieder empfehlen Sie, Dinge für eine gewisse Zeit wegzuräumen. Wenn man dann feststellt, dass man sie gar nicht vermisst: weg damit! Und was, wenn auf diese Weise auch der Partner auf dem Sperrmüll landet?

Besitztümer können keine Beziehung kitten, aber das Horten und Sammeln von Besitz kann von Beziehungsproblemen ablenken. Vermutlich war dann schon vorher etwas in der Beziehung schwierig und problematisch.

Kinderzimmer sind selten besonders aufgeräumt, doch auch Erwachsene haben damit ihre Probleme.
Kinderzimmer sind selten besonders aufgeräumt, doch auch Erwachsene haben damit ihre Probleme. | Bild: Mascha Brichta -dpa

Bei einer Ihrer Methoden zum Ausmisten soll man nicht nach Räumen, sondern nach Kategorien vorgehen. Wie funktioniert das?

Indem man beispielsweise wirklich sämtliche Kleidungsstücke durchschaut, die möglicherweise überall verstreut sind. Dafür ist aber recht viel Zeit am Stück nötig, wenn man nicht hinterher im Chaos landen will.

Ist es grundsätzlich hilfreich, sich von einem Freund oder einer Freundin unterstützen zu lassen, weil die keine sentimentalen Bindungen an die Dinge haben?

Über persönlichen Besitz sollte jeder selbst entscheiden, ohne sich von anderen beeinflussen zu lassen. Sentimentalitäten sollte man schon ernst nehmen und nicht einfach übergehen.

Ihr Buch legt nahe, Chaos in der Wohnung sei ein untrüglicher Hinweis darauf, dass ein Mensch mit sich und seinem Leben unzufrieden ist. Was ist mit Menschen, die sich in ihrer Unordnung ganz wohl fühlen?

Na, die sollen es dann einfach so belassen. Es geht mir auch eher um den Überfluss, der uns irgendwann über den Kopf wächst, und um den oft unnötigen Aufwand, den wir mit unserem ganzen Zeugs haben.

Das könnte Sie auch interessieren

Ist Chaos nicht ohnehin ein natürlicherer Zustand als Ordnung?

Wie viel Ordnung oder wie viel Chaos natürlich ist, finde ich letztlich zweitrangig. Aber wenn viele Dinge tatsächlich glücklich machen würden, müssten wir Deutschen ein sehr glückliches Volk sein. Das sind wir aber eher nicht, und genau darum geht es.

Fragen: Tilmann P. Gangloff

Diese Sachen können problemlos weg

Wie findet man die Dinge, von denen man sich trennen sollte? Dafür gibt es einige Kandidaten:

  • Nicht getragene und unpassende Kleidung und Schuhe
  • Gegenstände, von denen nicht klar ist, warum sie noch da sind oder wo sie hergekommen sind, zum Beispiel Kabel von längst entsorgten Geräten
  • Übrig gebliebene Einzelteile eines Paares (Schuhe, Handschuhe, Socken)
  • Angefangene, aber nicht beendete Projekte und nicht mehr ausgeübte Hobbys
  • Überflüssiges Küchenzubehör und Dinge, die man mehrfach hat
  • Alles, wovon man längst neuere Varianten besitzt (Küchengeräte, Unterhaltungselektronik)
  • Spielzeug, mit dem der Nachwuchs längst nichts mehr anfangen kann
  • Alles, was man seit circa einem Jahr nicht mehr benutzt hat