Frau Finke, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es wie ein Unfall ist, alleinerziehend zu sein. Wie meinen Sie das?
Das ist für alle Beteiligten erschreckend. Man hat sich ja vorgenommen, man wird zusammen alt und gibt auch nicht gleich auf. Und zack, auf einmal merkt man, das geht nicht. Und wenn wir auf dieser Straße weiterfahren, dann passiert noch etwas viel Schlimmeres und ich muss die Notbremse ziehen oder der Partner zieht sie. Und dann steht man da und muss erst mal sich selbst und vor allem den Kindern erste Hilfe leisten und gucken, wie es jetzt weitergeht. Das ist wirklich so ein großer Knall im Leben. Und dadurch, dass auch noch Kinder beteiligt sind, wird es wahnsinnig anstrengend, weil man nicht nur viel Praktisches zu regeln hat, sondern eben auch mit sich selbst emotional beschäftigt ist.
Bei Ihnen kam mit der Trennung auch der soziale Abstieg.
Ja, ganz klassisch. Ich habe gedacht, das passiert mir nicht. Als ich mich trennte, hatte ich ja noch einen tollen Job in der Schweiz, der aber dann betriebsbedingt gekündigt wurde. Und dann war ich ein Jahr lang noch relativ sicher mit dem Arbeitslosengeld I. Ich war auch zuversichtlich, wieder Arbeit zu kriegen, weil ich ja sehr gut ausgebildet bin. Klappte aber nicht und so habe ich mich als freie Journalistin selbstständig gemacht mit 45 und drei kleinen Kindern, ohne Kontakte. Das wollte ich nie. Natürlich kam dann irgendwann ganz massiv der Geldmangel. Aber ich wollte auch nicht in Hartz IV gehen, ich wollte arbeiten. Das war eine echt harte Zeit, zumal auch der Vater der Kinder den Unterhalt auf die Hälfte zusammengekürzt hat. Und da sind wir sehr ins Schleudern gekommen.

Wie fühlt sich Armut an?
Ich habe jeden Cent umgedreht, ich habe Lebensmittel mit ablaufendem Mindeshaltbarkeitsdatum gekauft, es gab kein Eis mehr für die Kinder im Schwimmbad. Ich habe nachts wach gelegen und mir Sorgen gemacht. Ich kannte als Studentin natürlich auch Zeiten mit wenig Geld, aber da war ich nur für mich verantwortlich und ich hatte auch nicht so unkalkulierbare Ausgaben, wie jetzt für eine Familie doch ab und zu fällig werden.
Sie schreiben, dass man als Alleinerziehende sozial ausgegrenzt wird und immer kurz vor dem Burnout steht.
Zunächst habe ich vor lauter Erschöpfung gar nicht so viel darüber nachgedacht, weil ich immer damit beschäftigt war, uns irgendwie im Alltag durchzubringen. Die Ausgrenzung fiel mir erst auf, als ich dann wieder ein bisschen mehr Luft hatte und dachte, wieso habe ich eigentlich keine Sozialkontakte? Das Dumme ist ja, eigentlich müsste man genau in der Situation sein Netzwerk haben, um sich mal Hilfe und Entlastung holen zu können. Man ist da im Hamsterrad gefangen. Das Risiko von Burnout und Depressionen ist hoch. Eine befreundete Ärztin sagt, dass es den Kindern nur gut geht, wenn es auch der Mutter gut geht. Erst muss man für sich selbst sorgen, damit man sich gut um die anderen kümmern kann. Das ist wahr. Aber in dem Moment, wo man in der Not ist, denkt man gar nicht so nach, sondern handelt erst mal.
Es gibt auch viele Frauen, die sich alleinerziehend fühlen, obwohl sie verheiratet sind.
Ich hätte das ja früher in der gleichen Situation vielleicht auch gesagt. Wie soll man verstehen, was für eine große Verantwortung es ist, auch nachts und jedes Wochenende und die ganzen Ferien lang für die Kinder alleine verantwortlich zu sein, wenn man es nicht kennt? Aber es ist tatsächlich etwas ganz anderes, wenn man immer auf Bereitschaft ist, wenn man die einzige Person ist, die angerufen wird, wenn das Kind mit einer Gehirnerschütterung im Kindergarten vom Klettergerüst fällt oder spuckt. Wenn man einen Zweiten hat, der einen zumindest am Wochenende mal in den Arm nehmen kann oder sich auch nur dafür interessiert, was in der Familie passiert, ist das schon sehr, sehr hilfreich und etwas ganz anderes.
Sie gehen sehr offen mit den Problemen der Kinder nach der Trennung um. Wie geht es ihnen heute?
Heute, also sechseinhalb Jahre nach der Trennung, sagen sie: Mama, es war gut, dass wir nicht mit dem Papa zusammenleben – auch wenn sie ihn sehr lieben. Aber die Zeit direkt nach der Trennung war natürlich ganz schrecklich für die Kinder. Der Mann hat ihnen gefehlt. Und gerade der Sohn, der damals drei war, konnte überhaupt nicht verstehen, was da passiert. Da ist ein Loch. Und das ist massiv schwierig aufzufangen. Zum Glück gibt es heute Kinderpsychologen, die sich auch mit diesen Themen gut auskennen. Ich habe mir auch damals Hilfe geholt.
Lassen Sie uns über die Väter sprechen. Leiden die nicht?
Doch, davon gehe ich aus. Auch die Väter haben es sich ja nicht gewünscht, dass die Familie scheitert, um es mal so hart zu benennen. Ich verstehe nur nicht, warum sich viele dann so zurückziehen. Jedes zweite Kind verliert nach der Trennung im Verlauf von zwei Jah ren den Kontakt zum Vater. Und das bestimmt nicht, weil die Mütter alle blockieren und manipulieren. Denn eine Mutter ist eigentlich froh, wenn der Vater das Kind mal abnimmt, zumindest jedes zweite Wochenende. Aber irgendwie scheint es für Väter leichter, die Verantwortung dann komplett abzugeben, als sich noch um dieses gescheiterte Familienmodell zu kümmern. Vielleicht hat auch das wieder etwas mit Schmerzen zu tun, dass man es lieber nicht anschaut.
Werden Alleinerziehende vom System im Stich gelassen?
Ja. Sie werden fast immer noch wie Singles besteuert, falls sie Arbeit haben. Und es ist für Alleinerziehende enorm schwer, überhaupt einen festen Job zu finden. Alleinerziehende sind schlechter in Arbeit zu vermitteln als Menschen ohne Deutschkenntnisse und als solche ohne Ausbildung, sagt die Statistik der Agentur für Arbeit. Dadurch leben die Kinder über längere Zeiträume – Bertelsmann-Studie, Armutsbericht und so weiter zeigen uns das – in Armut.
Das hat zur Folge, dass sie nicht nur sich selbst als arm wahrnehmen gegenüber den anderen, also sozial anders, sondern dass sie auch Defizite haben, motorische, kognitive. Sie spielen deutlich weniger oft ein Musikinstrument oder gehen zum Sport. Es darf nicht so sein, dass 40 Prozent der Alleinerziehenden in Armut leben, obwohl bei den Alleinerziehenden deutlich mehr in einem Vollzeitjob sind als verheiratete Mütter oder Mütter in Paarbeziehungen. Diese Frauen arbeiten und arbeiten und arbeiten, bringen aber netto kaum Geld nach Hause.
Haben Sie die Trennung je bereut?
Nicht mal eine Sekunde. Es ist eigentlich ein bisschen erschreckend. Aber ich habe lange in dieser Ehe ausgeharrt und habe sehr versucht, das am Laufen zu halten, das war ja mein Lebensplan. Irgendwann war der Punkt erreicht, wo ich dachte, es geht auf gar keinen Fall mehr und dann gab es auch kein Umdrehen.
Zur Person
Christine Finke, Jahrgang 1966, ist promovierte Anglistin, freie Journalistin und Bloggerin. Sie lebt mit ihren drei Kindern in Konstanz und sitzt für das Junge Forum im Gemeinderat. In ihrem Blog „Mama arbeitet“, das täglich mehrere Tausend Leser erreicht, schreibt sie über ihr Leben als alleinerziehende, berufstätige Mutter.
Zuletzt erhielt Finke mit einer Petition zur Abschaffung der Bundesjugendspiele Aufmerksamkeit. Mit „Allein, alleiner, alleinerziehend – wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder im Stich lässt“ erschien gerade ihr erstes Buch im Bastei-Lübbe-Verlag. ISBN: 9783785725597.
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