Als der kanadische Astronaut Chris Hadfield und sein Kommandant mit der Raumfähre Atlantis die Allstation Mir erreichten, bekamen sie ein Problem. Die beiden konnten die Luke nicht öffnen, durch die sie in die Station gelangen sollten. Die Tür war zu fest verschlossen.

„Wir brachen in die Mir ein, indem wir ein Schweizer Taschenmesser benutzten“, erinnerte sich Hadfield. Dann gab Hadfield noch einen Tipp zum Schweizer Taschenmesser: „Verlasse den Planeten nie ohne eines.“ Selbstredend gehört das Schweizer Taschenmesser inzwischen zur Ausrüstung für Astronauten der US-Raumfahrtagentur Nasa.

Der kanadische Astronaut Chris Hadfield nach einem Ausflug ins Weltall 2013.
Der kanadische Astronaut Chris Hadfield nach einem Ausflug ins Weltall 2013. | Bild: Mikhail Metzel, dpa

Die schwindelerregende Anekdote vom November 1995 gehört zu den vielen nahezu unglaublichen Erzählungen, die sich um das Schweizer Taschenmesser ranken. Das kleine Instrument genießt nicht nur bei Astronauten Kultstatus, sondern auch bei Millionen anderen Menschen rund um den Globus.

Der präzisionsvernarrte Schweizer und sein Messer

Nur wenige Produkte können es in Punkto Bekanntheit, Unverwechselbarkeit, Nützlichkeit und Multifunktionalität mit dem „Swiss Army Knife“ aufnehmen. Das Klappgerät schaffte es sogar in etliche Museen, etwa das New Yorker Museum of Modern Art. Und fast scheint es so, dass jenes Image des präzisionsvernarrten Schweizers, der immer perfekte Arbeit abliefern will, auch durch das Taschenmesser entstand.

Am Sonntag wird Jubiläum gefeiert

Am  Sonntag feiern die Fans den Geburtstag der helvetischen Ikone. Vor 125 Jahren, am 12. Juni 1897, ließ der Schweizer Karl Elsener sein „Offiziers- und Sportmesser“ gesetzlich schützen. Das elegante Werkzeug, eigens für das Führungspersonal der Schweizer Armee konstruiert, war sogar mit einem Korkenzieher ausgestattet. Der Genuss eines edlen Tropfens war den Offizieren somit stets ermöglicht, in der Kaserne oder im Feld.

Ein Mitarbeiter montiert im Victorinox-Werk ein Taschenmesser.
Ein Mitarbeiter montiert im Victorinox-Werk ein Taschenmesser. | Bild: Gaetan Bally, dpa

Inzwischen lassen auch andere Armeen ihre Soldaten mit Schweizer Messern ausrüsten. Bei den Schweizer Streitkräften gibt es übrigens kein Offiziersmesser mehr. Alle Uniformierten erhalten dasselbe Modell.

Messerschmied aus Ibach im Kanton Schwyz

Die Erfindung bescherte dem Messerschmied Elsener aus Ibach im Kanton Schwyz grenzenlosen Ruhm und ein florierendes Unternehmen, Victorinox, das seine Familie noch heute besitzt – in vierter Generation. Die drei Nachfolger Karl Elseners hießen und heißen Carl Elsener. Für den Konzern arbeiten weltweit 2100 Menschen. Jeden Tag fertigt Victorinox 45 000 Taschenmesser und Taschenwerkzeuge – damit stehen die Eidgenossen im Weltmarkt oben.

Rückzug aus Russland Anfang März

Anfang März aber fiel ein Markt weg: Russland. Victorinox zog sich aus dem Reich des Kriegs-Präsidenten Wladimir Putin zurück, wie viele andere Schweizer Unternehmen auch.

Im Victorinox-Sortiment finden die Kunden auch Haushalts- und Berufsmesser, Uhren, Reisegepäck und Parfums. Doch der Kern des Victorinox-Geschäfts, das pro Jahr rund 400 Millionen Euro Umsatz bringt, bleiben die Taschenmesser. „Die Grundfunktionen unserer Sackmesser kennen Sie bestimmt“, sagt Claudia Mader-Adams, Sprecherin von Victorinox: „Klinge, Dosenöffner, Kapselheber, Schraubendreher, Korkenzieher, Pinzette und Zahnstocher.“

Griffplatten für Taschenmesser, aufgenommen im Victorinox-Werk in Ibach.
Griffplatten für Taschenmesser, aufgenommen im Victorinox-Werk in Ibach. | Bild: Gaetan Bally, dpa

Auch bieten die handlichen Geräte eine Holzsäge, Schere und Inbusschlüssel. „Wussten Sie, dass einige unserer Sackmesser auch noch ganz andere Dienste erfüllen?“ fragt die Sprecherin. „Zum Beispiel können Sie damit einen Draht abisolieren. Wollen Sie es dabei sehr genau nehmen, unterstützt sie die integrierte Lupe.“

Auch bei der Not-OP im Flugzeug war es schon dienlich

Das Topmodell „Swiss Champ“ vereint 33 Funktionen. Es besteht aus 64 Einzelteilen, durchläuft bei seiner Fertigung 450 Arbeitsschritte. Welches Modell ein Arzt auf einem Inlandflug in Indien bei einer Notoperation benutzte, lässt sich nicht mehr ermitteln. Ein Kind hatte ein Bonbon verschluckt und drohte daran zu ersticken. Zwar war medizinisches Operationsbesteck an Bord, aber nicht das richtige. Der Arzt erhielt von einem Passagier ein Taschenmesser. Damit führte er einen Luftröhrenschnitt aus. Das Kind überlebte.

Victorinox – von Victoria

Begonnen hatte alles 1884. Elsener gründete eine Werkstatt für Messerschmiede in Ibach, wo die Firma noch heute ihren Sitz hat. Seine Mutter Victoria unterstützte ihn mit Hingabe. In Gedenken an sie wählte Elsener ihren Vornamen als Markennamen. Die Erfindung des rostfreien Stahls, Inox, 1921 war für die Messerschmiede ein Quantensprung. Die Wörter Victoria und Inox wurden zum Markennamen verschmolzen.

Der Zweite Weltkrieg hatte auch für die Firma aus der neutralen Schweiz seine Folgen – und zwar positive. US-Soldaten, die in Europa stationiert waren, erwarben massenweise die Klappmesser aus dem Alpenland und machten sie in ihrer Heimat bekannt. In der Folge expandierte Victorinox global, selbst im fernen Japan erfreuen sich die Schneidewerkzeuge hoher Beliebtheit.

Schweizer Konkurrenten geschluckt

Einen weiteren Meilenstein passierten die Elseners 2005: Sie übernahmen den alten Schweizer Rivalen Wenger – die Messerschmiede aus Delsberg im Kanton Jura blieb aber bis 2013 eine selbständige Marke von Victorinox. Seitdem stammen alle Soldatenmesser der Schweizer Armee aus dem Victorinox-Verbund. Zuvor hatten Victorinox und Wenger die Armee teils gemeinsam und teils abwechselnd beliefert. Ein typisch Schweizerischer Kompromiss – praktisch wie das Taschenmesser.

 

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