„Geht es da weit nach oben?“ Beim Blick auf die lange Treppe, die das Foyer im Konstanzer SÜDKURIER-Gebäude mit den Redaktionsräumen verbindet, hält Thekla Walker kurz inne. Es ist eines ihrer ersten Pressegespräche nach einer Herzmuskelentzündung, die sie ab Ende April wochenlang aus dem Rennen geworfen hat.

Sie fühle sich jetzt wieder gut, sagt die gelernte Naturpädagogin, die seit etwas mehr als einem Jahr Umwelt- und Energieministerin in Baden-Württemberg ist. Die Ärzte hätten ihr eine „gute Prognose“ ausgestellt. Aber so ganz ist die körperliche Belastungsfähigkeit der passionierten Schwimmern, die in ihrer Freizeit häufig am Bodensee weilt, noch nicht wieder da.

Baden-Württemberg muss massiv Treibhausgas einsparen

Dabei steht die Grünenpolitikerin vor einem Sprintwettbewerb der besonderen Art. Den Takt hat die Landesregierung vorgegeben. Bis 2040 – und damit fünf Jahre eher als der Bund – will der industriestarke Südwesten beim CO2-Ausstoß die Netto-Null erreichen. Das heißt: Es dürfen landesweit nur so viele Treibhausgase ausgestoßen werden, wie gleichzeitig gebunden werden. Konkret bedeutet dass, dass die Landwirtschaft bis 2030 ihren Treibhausgas-Ausstoß um 39 Prozent gegenüber 1990 senken muss.

Ministerin Walker im Gespräch mit SÜDKURIER-Redakteuren Selina Rudolph, Dominik Dose, Wirtschaftsressort-Leiter Walther Rosenberger und ...
Ministerin Walker im Gespräch mit SÜDKURIER-Redakteuren Selina Rudolph, Dominik Dose, Wirtschaftsressort-Leiter Walther Rosenberger und Chefredakteur Stefan Lutz (v. rechts). | Bild: Scherrer, Aurelia

Die Energiewirtschaft um 75 Prozent, die Industrie um 62 Prozent, der Verkehr um 55 Prozent und der Gebäudesektor um 49 Prozent. Dass man angesichts solcher Zahlen schon mal tief durchatmen sollte, gibt die Ministerin offen zu. Eine „nie dagewesene Kraftanstrengung auf allen Ebenen“ sei erforderlich, um den Plan zu verwirklichen, sagt sie. Insbesondere die Strecke bis 2030 sei „sehr kurz“.

Das Problem sind die Tippel-Schritte, mit denen der Umbau Baden-Württembergs zum klimapolitischen Musterländle bislang verlief. Würde man im bisherigen Tempo voranschreiten, könnte man das Projekt guten Gewissens sofort beerdigen. In den fast 30 Jahren zwischen 1990 und 2019 ist der Treibhausgasausstoß im Südwesten nur um knapp 20 Prozent zurückgegangen. Und nun sollen in nicht einmal acht Jahren 45 Prozent obendrauf kommen. Ein illusorisches Vorhaben? „Nein“, sagt Walker, aber „sehr ambitioniert“.

Kernkraftwerk Neckarwestheim. Der deutsche Atomausstieg sieht vor, dass bis zum Ende des Jahres 2022 alle Kernkraftwerke in Deutschland ...
Kernkraftwerk Neckarwestheim. Der deutsche Atomausstieg sieht vor, dass bis zum Ende des Jahres 2022 alle Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden, darunter Neckarwestheim 2 als eines der letzten drei noch aktiven Atomkraftwerke. Ministerin Walker hält einen Weiterbetrieb für nicht nötig. | Bild: Bernd Weißbrod, dpa

Stromtrassen Jahre zu spät

Dabei hakt es eigentlich überall. Der Neubau von Windrädern liegt weit hinter den Erwartungen, was maßgeblich mit Widerständen bei Flächenausweisungen auf kommunaler Ebene und durchschnittlichen Genehmigungszeiten für Anlagen von sieben Jahren zu tun hat. Gleichzeitig ist der Bau der großen Stromtrassen, die künftig Energie von Nord nach Süd leiten sollen, weit hinter dem Zeitplan. Die für Baden-Württemberg zentrale Südlink-Stromtrasse ist nach Branchenangaben mindestens sechs Jahre verspätet.

Bis zu 15 Jahre Planungszeit für Südlink

Über „zwölf bis 15 Jahre Planungs- und Genehmigungsphase“ stöhnte jüngst TransnetBW-Chef Werner Götz in der „Schwäbischen Zeitung“ – bei einer reinen Bauzeit von gerade mal vier Jahren, wie er betonte. Und da mit Ultranet ein weiteres Trassen-Großprojekt hinterherhinkt, stellt man sich in der Energiebranche die bange Frage, ob im Südwesten nicht irgendwann der Saft ausgehen könnte.

Ist sich sicher, dass die Energiewende ab jetzt zügiger geht: Thekla Walker
Ist sich sicher, dass die Energiewende ab jetzt zügiger geht: Thekla Walker | Bild: Scherrer, Aurelia

Walker nimmt die Bedenken ernst und hat der Trassenfertigstellung höchste Priorität verordnet. „Wenn wir den Netzausbau nicht gelöst kriegen, werden wir die Energiewende nicht schaffen, und wir werden in ein Problem mit der Versorgungssicherheit hineinlaufen“, sagt sie.

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Aber auch, dass mit der Windkraft, die wichtigste Säule der künftigen Energieerzeugung nicht so recht in Gang kommt, fuchst die 53-jährige. Daher forciert ihr Haus seine Beratungsangebote auf dem flachen Land.

Man könnte auch sagen: Insbesondere gegenüber widerspenstigen Landräten zieht es die Daumenschrauben an. So arbeitet seit Herbst 2021 eine Taskforce unter Leitung von Staatsminister Florian Stegmann an einer zügigeren Umsetzung der Energiewende und hat dazu in den vier Regierungspräsidien des Landes Stabsstellen eingerichtet.

Kritische Nachfragen bei Landkreisen ohne Fortschritte beim Windradbau

Ihr Ziel ist es, den Windkraftausbau in die Fläche zu tragen. Man wolle „helfen, dass in den einzelnen Landkreisen mehr Windräder errichtet werden“, sagt Walker. Darüber hinaus arbeite man aber an „klaren Zielgrößen“, sogenannte Benchmarks, um die Fortschritte vergleichbar zu machen.

„Und wenn es in einem Landkreis nicht rund läuft, wird bei den Verantwortlichen kritisch nachgefragt werden“, sagt Walker. Man wolle einen Wettbewerb der Landkreise beim Neubau von Windanlagen. Und man wolle den Anlagenneubau, auch bei Photovoltaik, „radikal beschleunigen“. „Jeder muss da mitziehen“, sagt sie.

Dreht Russland Deutschland den Gashahn zu? Das kann sich schon in wenigen Tagen entscheiden. Dann ist die Kontingentierung von Gas nicht ...
Dreht Russland Deutschland den Gashahn zu? Das kann sich schon in wenigen Tagen entscheiden. Dann ist die Kontingentierung von Gas nicht unwahrscheinlich. Auf jeden Fall werden die Preise stark ansteigen. | Bild: Sergei Ilnitsky, dpa

Tatsächlich spricht einiges dafür, dass die Energiewende bald mehr Fahrt aufnehmen könnte. Die Vermarktung von landeseigenen Waldflächen zur Windstrom-Erzeugung schreitet voran, etwa auf dem Schienerberg, wo künftig mehrere Anlagen stehen könnten. Zudem hat die Landesregierung die Widerspruchsmöglichkeiten gegen Ökostrom-Projekte vor Verwaltungsgerichten eingeschränkt.

Weniger Artenschutz, weniger Klagemöglichkeiten

Auf Bundesebene definiert die Neufassung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG), das sogenannte Osterpaket, Wind-, Biogas- und Solarprojekte als von „überragendem öffentlichen Interesse“. Das macht es schwerer, sie zu verhindern.

Zusammen mit geringeren Anforderungen, etwa beim Thema Vogelschutz und der Möglichkeit, Windräder künftig auch in Landschaftsschutzgebieten zu errichten, soll der Knoten platzen. Walker sagt: „Die Zeiten waren noch nie so gut wie jetzt, den Ausbau Erneuerbarer Energien voranzutreiben.“ Die Genehmigungszeiten von Windrädern will sie halbieren.

Gasversorgung bald kritisch?

Bei all dem sind die Auswirkungen des Ukraine-Krieges aber noch nicht einkalkuliert. „Die Gasversorgung könnte schon im Juli kritisch werden“, sagt die gebürtige Nordrhein-Westfälin. Im Moment weiß nämlich niemand, ob Putin nach routinemäßigen Wartungsarbeiten am verbliebenen Strang der Ostseepipeline ab dem 11. Juli, die Gaslieferungen wieder aufnimmt.

Sorgsamer Energiekonsum sei nun das Gebot der Stunde. „Wir müssen jetzt Energiesparen, auch in den Haushalten“, sagt Walker. „Ich dusche auch nur noch maximal fünf Minuten am Tag.“