Kommt bald der Ausstieg vom Ausstieg? Aktuell sind noch drei Atomkraftwerke in Deutschland in Betrieb – nahe Heilbronn, in Niederbayern und im Emsland in Betrieb. Ende 2022 sollten sie abgeschaltet werden.

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs tobt eine Debatte darüber, wie man den möglichen Gasmangel ausgleichen kann. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will Kohlekraftwerke nutzen, FDP und Union wollen die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängern. Doch welche Argumente sprechen nach Fukushima und Tschernobyl überhaupt noch für Atomkraft?

1. Eine Fortsetzung scheint möglich

Das Wirtschaftsministerium hatte zuletzt ausgeschlossen, Atomkraftwerke weiter zu betreiben: zu teuer, zu gefährlich, zu wenige Brennstäbe. Der TÜV Süd hat nun ein Gutachten vorgelegt. Demnach soll das Atomkraftwerk „Isar 2“ in Niederbayern acht Monate weiterlaufen können.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm vom Atomkraftwerk Isar 2 nahe Essenbach, Bayern.
Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm vom Atomkraftwerk Isar 2 nahe Essenbach, Bayern. | Bild: Armin Weigel

Auch in Gundremmingen sei die Wiederinbetriebnahme des Blocks möglich, der Ende 2021 abgeschaltet wurde. Dort sei es aus Sicht des TÜV Süd „plausibel“, mit vorhandenen Brennelementen einen Reaktorkern zusammenzustellen, der für etwa sechs Monate laufen und 4900 Gigawattstunden Strom erzeugen könnte.

2. Kohle ist der größte Umweltsünder

Um den prognostizierten Gasmangel auszugleichen, will Wirtschaftsminister Robert Habeck mehr Kohle verstromen. Kohlekraftwerke haben gegenüber Atomkraftwerken aber einen entscheidenden Nachteil: Sie sind deutlich klimaschädlicher und können pro Jahr bis zu 30 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Bei der Herstellung von Strom aus Atomkraft entstehen dagegen nur kleine Mengen Kohlenstoffdioxid.

Steinkohle lagert im Hafen neben dem Kohlekraftwerk Mehrum und Windrädern im Landkreis Peine, Niedersachsen.
Steinkohle lagert im Hafen neben dem Kohlekraftwerk Mehrum und Windrädern im Landkreis Peine, Niedersachsen. | Bild: Julian Stratenschulte

Das Umweltproblem ist damit allerdings nicht gänzlich gelöst: Durch Atomstrom entsteht Atommüll. Und wo der hinkommt, ist in Deutschland noch nicht endgültig gelöst. Bis 2031 sollen Endlager-Standorte gefunden werden. Der Hegau ist beispielsweise eines von 90 Teilgebieten, die für ein Endlager grundsätzlich in Frage kommen. Daneben besteht bei Atomkraft auch das Risiko eines Reaktorunfalls und kann fatale Folgen für Mensch und Natur haben.

3. Die Deutschen sind für AKWs

Die Ampel-Koalition streitet und die Union setzt Nadelstiche. Aber was denkt die Bevölkerung? Laut ARD-Deutschlandtrend wollen 61 Prozent der Befragten, dass Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus betrieben werden, 32 Prozent sind dagegen.

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Auffällig ist, dass eine Mehrheit der Bevölkerung trotz offensichtlicher Risiken für die Technologie ist. Anders war es 2011: Nach dem Atomunfall von Fukushima war die deutsche Bevölkerung gegen Atomkraft. Die Stimmung veranlasste die Bundesregierung zum Atomausstieg. 11 Jahre später könnte die Gemütslage der Deutschen die Politik möglicherweise in die entgegengesetzte Richtung führen.

4. Atomkraft macht unabhängig

Der Atomausstieg ist das Ergebnis jahrelanger Debatten – und grundsätzlich richtig. Doch der Beschluss erfolgte 2011 in Zeiten von Frieden in Europa und als Reaktion auf die Atomkatastrophe in Fukushima. Der Ukraine-Krieg hat die Karten neu gemischt und die Abhängigkeiten Deutschlands bei der Energieversorgung offen gelegt – nicht nur von Russland, sondern auch von den Nachbarländern.

Ein Teilnehmer hält auf einer Demonstration des Vereins Nuklearia e.V. für den Erhalt von Atomkraft und Atomkraftwerken vor dem ...
Ein Teilnehmer hält auf einer Demonstration des Vereins Nuklearia e.V. für den Erhalt von Atomkraft und Atomkraftwerken vor dem Brandenburger Tor eine Fahne mit der Aufschrift „Kernenergie ja bitte“ in die Höhe. | Bild: Fabian Sommer

Rund 50 Terrawattstunden Strom bezog Deutschland im vergangenen Jahr aus Ländern wie Frankreich, Dänemark oder den Niederlanden, so Zahlen von Statista. Das sind laut Umweltbundesamt fast zehn Prozent des jährlichen Stromverbrauchs. Wenn Deutschland nicht noch mehr Autonomie bei der Stromversorgung verlieren will, sollte die Regierung die Atommeiler nicht abschalten. Vor allem, wenn der Wind mal nicht weht oder die Sonne nicht scheint.

5. Atomkraft kann eine Übergangstechnologie sein

Im vergangenen Jahr stammten 41,1 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien, so Zahlen des Umweltbundesamts. Im Jahr 2020 lag diese Zahl bereits bei knapp 45 Prozent. Bis Deutschland mehr als die Hälfte der Energieversorgung aus Wind- oder Wasserkraft bezieht, werden noch Jahre vergehen.

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Die Gründe sind oft Bürgerproteste und hohe Auflagen für Planer, Betreiber und Kommunen. Bis Anlagen genehmigt und gebaut werden, vergehen oft mehrere Jahre. Atomkraft könnte daher eine Technologie für den Übergang sein, nicht aber für die Zukunft.